Hamburg. Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin gastieren im Großen Saal mit durchaus unterschiedlichen Schumann-Sinfonien.

So hält eine Nobelkarosse, sagen wir, englischer Bauart. Das Blubbern des Motors verrät eine Kraft, die er nicht braucht, denn es ist ja alles unter Kon­trolle. Gelassen rollt das Gefährt aus und kommt genau am rechten Ort zum Stillstand.

Ungefähr so endet Schumanns Erste, genannt „Frühlingssinfonie“ im Großen Saal der Elbphilharmonie: souverän, unfallfrei, klanglich satt und ohne einen Hauch Aufregung. Die Nobelkarosse, das ist die Staats­kapelle Berlin unter der Leitung ihres Chefdirigenten auf Lebenszeit Daniel Barenboim. In 30 Jahren gemeinsamen Wegs hat der Klangkörper eine faszinierende Entwicklung genommen, seine Qualität ist unüberhörbar.

Elbphilharmonie: Zwei Konzerthälften, zwei verschiedene Schumann-Sinfonien

Nur das mit der Faszination kommt bei der ersten Konzerthälfte nicht so rüber. Dabei steht die Sinfonie doch für eine geradezu rauschhafte Aufbruchsstimmung. In den Jahren 1839 und 1840 war Schumann im Begriff, seinem früheren Lehrer Friedrich Wieck die Zustimmung zur Heirat mit dessen Tochter Clara abzutrotzen (ohne einen Rechtsstreit sollte die Sache nicht abgehen). Kompositorisch hatte ihm ein überwältigendes Erlebnis geholfen, sich von dem erdrückenden sinfonischen Übervorbild Beethovens freizumachen: Felix Mendelssohn Bartholdy hatte Franz Schuberts Große C-Dur-Sinfonie im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt. Die Sinfonie wurde Schumanns Leitstern.

Seine Erste trägt in der Harmonik und im feinen Gewirk der Mittelstimmen unverkennbar die Handschrift ihres Schöpfers. Die crescendo anrollenden Skalen münden in spannende, rätselhafte Harmonien. Aber diese Entwicklungen bleiben in der Elbphilharmonie saubere Ausführung. Schon in der schreitenden Einleitung zum Allegro molto vivace des ersten Satzes scheint Barenboim auf der Bremse zu stehen. Musikalische Impulse gehen, soweit das von hinten zu beurteilen ist, von ihm nicht aus. Sein Schlag ist starr, oft senkrecht, fast herrisch.

Lohnende Einzelklänge der Celli, Streicher und Posaunen

Es ist ein Gezeichneter, der da vor Orchester und Publikum steht. Im vergangenen November und Dezember hatte der 79-Jährige wegen Rückenproblemen Engagements absagen müssen. Schon die paar Meter zum Dirigentenpult haben ihn sichtlich Beherrschung gekostet, die Miene ist konzentriert und gefasst.

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Natürlich bietet die Sinfonie einem derart federnd lebendigen, im Opernbetrieb auf Flexibilität geschulten Orchester wie der Staatskapelle auch so noch genügend lohnende Einzelmomente: Die Celli kosten ihre Kantilenen aus, der Streicherklang hat die berühmte runde, dunkle Wärme, die Musiker spielen sehr unangestrengt zusammen. Der langsame Satz immerhin entfaltet sich zu einem Blühen. Wunderbar der fast altertümlich wirkende Posaunenklang vor dem Übergang zum Scherzo, und im Schlusssatz spielt die Flöte kokett mit ihrer Überleitung zum Tutti. Aber der Gesamteindruck bleibt episodenhaft, es fehlt der innere Zusammenhang.

Zwischen den zwei Schumann-Sinfonien liegen Welten

Pause. Fünf Jahre liegen zwischen Schumanns Erster und der Fertigstellung seiner Zweiten. Die Glückseligkeit der frühen Ehejahre wich einer Zeit, in der Schumann von Depressionen, Schlaflosigkeit und Nervenzusammenbrüchen heimgesucht wurde. Bekenntnismusik hat er nicht schreiben wollen, dennoch scheint seine Verfassung hin und wieder durch die Partitur hindurch, insbesondere im langsamen Satz.

Welten liegen zwischen den beiden Sinfonien, was die Intensität der Darbietung betrifft. Nach der Pause gibt Barenboim den Musikern ganz anders Raum zum Atmen und Gestalten. Er wählt ruhigere Tempi, als man sie auf der inneren Tonspur hat, aber so eine Reibung von Erwartung und Höreindruck hat ja dem Erkenntnisgewinn noch nie geschadet.

Im Kopfsatz treten die Figuren dank der geschärften dynamischen Kontraste plastisch hervor, die Streichergruppen werfen einander die Passagen zu wie in einer von gegenseitigem Interesse und Respekt geprägten Debatte.

Zwischen den Sätzen hat niemand geklatscht

Das Scherzo, es steht in dieser Sinfonie ausnahmsweise an zweiter Stelle, ist für die Geigen ein durchaus heikles Dauergewimmel. Gelegentlich klingt Mendelssohns sommernächtlicher Elfenzauber an, dann wieder fasst Barenboim das Ganze kompakt zu etwas Eigenem zusammen. Und findet immer andere Wege, das Zeitmaß für die Übergänge aufzufangen.

Im c-Moll-Adagio spannt er die Kantilenen himmelweit auf. Während Oboe und Geigen singen, greifen untendrunter die rhythmischen Rädchen unfehlbar ineinander und heben jede quasi amtliche Eindeutigkeit auf. Das ist Schumann, wie er ins Herz trifft. Und macht die paar Intonationstrübungen bei den tiefen Holzbläsern vergessen.

Diese zweite Konzerthälfte versöhnt mit der ersten. Nur eins bleibt ein Rätsel: Entgegen der in der Elbphilharmonie so verbreiteten Übung hat niemand zwischen die Sätze geklatscht. Große ­Erleichterung. Aber wie kommt das? Lässt sich das bewahren?