Hamburg. Trotz zweier Weltstars war die Laeiszhalle nicht ausverkauft – und ein Teil des Publikums benahm sich wie in der Elbphilharmonie.
Tun sie’s? Tun sie’s nicht? Wenn zwei Sänger einen Abend lang die erotische Spannung auf der Bühne hochhalten können, ohne sich zu küssen, dann verrät schon die Beherrschung der gestischen Mittel das Niveau der Darbietung. Die Sopranistin Diana Damrau und der Tenor Jonas Kaufmann sind ein im besten Sinne eingespieltes Dreamteam des Liedgesangs. Nun sind sie mit ihrem langjährigen Weggefährten, dem Pianisten Helmut Deutsch, in die Laeiszhalle gekommen, um Schumann und Brahms zu singen, immer schön im Wechsel in Gruppen von sechs, sieben, acht Liedern.
Helmut Deutsch, eine Autorität der Liedgestaltung, macht es gleich bei der eröffnenden „Widmung“ von Schumann klar: Lied, das ist keineswegs immer nur zart, leise und innerlich. Die Dreiklangswellen nimmt er so betont stark, dass Kaufmann gar nicht anders kann, als seine ersten Worte „Du meine Seele, du mein Herz“ geradezu zu rufen. Was zu dem Überschwang des Liedes ganz wunderbar passt.
Jonas Kaufmann sprengt in der Laeiszhalle fast die Akustik
Schumann schrieb den Zyklus „Myrthen“, aus dem es stammt, im Jahr seiner Hochzeit mit Clara Wieck. Während Friedrich Rückerts Gedicht die angesprochene Geliebte immer weiter überhöht, zu Ruh, Frieden, gutem Geist und gar zum besseren Ich, scheint die Musik kaum noch Luft holen zu können angesichts der Größe der Empfindung.
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Vom vielbeschworenen Unterschied zwischen Opern- und Liedgesang ist zunächst wenig zu hören. Kaufmann sprengt beinahe die Akustik, aber er regelt das Volumen bald herunter auf kammermusikalisches Format – ein Klavier ist nun mal kein Orchester.
Stimme von Jonas Kaufmann ist dunkel timbriert und leicht körnig
Es ist immer einen Hauch aufregend, diesem Sänger zuzuhören. Seit jeher ist seine Tenorstimme überraschend dunkel timbriert und leicht körnig. Seine Tiefe ist stark, bei den Übergängen in die höheren Register zeigen sich allerdings bisweilen Brüche in der Klangfarbe. Wenn er einen Intervallsprung nach oben hat, klingt der Zielton oft erst einmal sehr plan und belebt sich erst allmählich. Das klingt zumindest eigenwillig, doch entschädigt Kaufmann mit seiner sublimen Gestaltung.
Damrau wiederum zeichnet vom ersten Ton an hauchfein und ist durch alle diskreten Stauungen und Beschleunigungen hindurch unfehlbar eins mit Deutsch. Man möchte sich hineinlegen in diesen Stimmklang von flüssigem Silber, mit dem sie sich durch alle Register bewegt. Noch in die kleinsten Regungen bezieht sie den ganzen Saal ein.
Weltstars schaffen es nicht, den Saal auszuverkaufen
Der Regisseur des Ganzen sitzt am Klavier. Helmut Deutsch stellt mühelos die dynamischen und metrischen Relationen her und hat es im kleinen Finger, wie viele Sekundenbruchteile er abwartet, bevor er das nächste Lied anschließen lässt.
Ein Liederabend ist ein Liederabend bleibt ein Liederabend. Ohne Elbphilharmonie-Bonus ist es nicht einmal diesen beiden Weltstars gelungen, den Saal auszuverkaufen. Rätselhafterweise benimmt sich ein Teil des Publikums, als wäre es in der Elbphilharmonie, lässt an leisen Stellen Gegenstände fallen, wickelt hörbar Bonbons aus oder zerklatscht die Werkgruppen. Eigentlich geht man doch in die Laeiszhalle, um alledem zu entkommen.
Jonas Kaufmann in Hamburg: Das Vergnügen bleibt
Die Künstler lassen sich davon das Vergnügen nicht nehmen. Mit den Schumann-Duetten „Unterm Fenster“ und „Das Glück“ drehen sie das Komödiantische noch einmal kräftig auf und entlassen das Publikum dann mit Brahms‘ anrührend schlichtem, resigniertem „Da unten im Tale“ in den kühlen Frühlingsabend.