Hamburg. Das Festival „Theater der Welt“ mit einer musikalisch überzeugenden Event-Version von Haydns Oratorium in der Elbphilharmonie.

Wer zu einem Theaterprojekt der international gefragten Verspektakelungs-Gruppe La Fura dels Baus geht, braucht optische Unterwältigung nicht zu befürchten. Bühnenzauber gibt es da satt, Lichtspiele sowieso, und wenn der jeweilige Veranstalter-Etat es hergibt, dann auch akrobatisch baumelnde Akteure mit anspruchsvollen Kunstturn-Aufgaben.

Je mehr Material ins Spiel kommt, desto plakativer und grobkörniger fallen die Erkenntnisweisheiten notgedrungen aus, die dem Publikum noch ­geliefert werden können, weil alle ja alle Hände voll ­damit zu tun ­haben, das Hightech-Spektakel pannenfrei am Laufen zu halten. „Unser Durst nach ­Leben ist unendlich“ leuchtete es einem vor Ende des Hamburger Gastspiels entgegen, oder man las und durchlitt so herzensgut gemeinte Kalendersprüche wie „Natur ist Unschuld, ­Unschuld ist Leben“. Doch auch clever digitalisierter Kitsch bleibt: Kitsch.

Wie bei Cirque de Soleil

Natürlich ist es theoretisch höchst verführerisch, Haydns gute alte „Schöpfung“ einer amtlichen Furadelsbausierung zu unterziehen, geht es in dem Oratorium doch um nicht weniger als alles, den ­Beginn von allem und den ganzen Rest. Um Urknall und Licht, Gott und die Welt, Adam und Eva. Alle und alles in diese allerliebste Musik des Wiener Klassikers ein­gerahmt, ­deren optimistischer Freundlichkeit und charmant naiver Verbindlichkeit man sich kaum entziehen kann, weil sie so voller Gottvertrauen ist und das erhellende historische Licht der Aufklärungssehnsucht verströmt.

Das ­alles im Großen Saal der Elbphilharmonie (lediglich halb gefüllt, weil der knifflige Bühnenaufbau es so verlangt), als Prestige-Programmpunkt in das Hamburger „Theater der Welt“-Sortiment eingekauft – und praktisch fertig wäre die Festival-Sensation, die man an einem ihrer beiden Abende erlebt und vor allem gesehen haben muss.

Übermacht der Bilder

Ganz so einfach und ganz so schön war es allerdings nicht. Denn der bessere Teil des Abends war Haydns gute alte, frische Musik. Sie hatte es jedoch allzu schwer, gegen die Übermacht der allzu vielen Bilder anzuspielen, die vor allem Wow-Schauwert sein und – irgendwie, irgendwo, irgendwann – mit unsereins zu tun haben sollten. Der Accentus Kammerchor erinnerte an Flüchtlinge im Hier und

Jetzt, jeder von ihnen mit einem großen, weißen Heliumballon ausgestattet, ein poetisches Unschuldssymbol, das sich mit seiner penetranten Schwenkbarkeit aber auch abnutzte. Mit ihnen wurde im Laufe des Abends weihevoll auch durch die Publikumsränge gewandert; sie dienten zusätzlich als Projektionsfläche für die vielen, sehr vielen Video-Wabereien, die durch den Großen Saal flackerten, der sich als ­Abspielstätte seltsam ungeeignet und fehlbesetzt anfühlte, durch Entertainment und Event wie bei Cirque de Soleil, nur mit deutlich besserer Musik.

Optisch überladene Show

Für eine perfektere Illusion, die dieser Musik mehr zu ihrem Recht verholfen hätte, hätte die Bühnentechnik entschieden unsichtbarer sein müssen. Doch insbesondere die Schwenkkran-mit-Wasserbassin-Konstruktion, die eine Hauptrolle zu spielen hatte, weil an ihr einer oder mehrere singende Erzengel hingen oder dekorativ im Wasser herumplanschten, war immer als solide konstruierte, die Blicke anziehende ­Spezialeffektmaschine klar im Bild.

Sonne, Mond und Sterne wurden im Laufe der ersten Universums-Woche auf die Bühnen-Vorhänge gezaubert, hollywoodschön programmiert, Donner und Wetter, riesige Käfer. Die Solisten trugen aus unerklärlichen Gründen ­innenbeleuchtete Turbane und Bling-Bling-Kostüme, der Chor hatte moderne Tablets dabei statt vorgestriger Tontafeln, mit Speicherplatz für sehr viel mehr als nur zehn Gebote. An so ziemlich nichts wurde ­gespart, eigentlich fehlten der optisch arg überladenen Show nur noch virtuelle Einhörner.

Einfühlsame Solisten

Für die nachhaltigere Überzeugungskraft des Konzepts war neben den drei hörenswert einfühlsamen Solisten Sunhae Im (Gabriel/Eva), Martin Mitterrutzner (Uriel) und Daniel Schmutzhard (Raphael/Adam) das exquisite ­Ensemble verantwortlich, das das ­Regie-Schicksal nur leider auf eine akustisch undankbare Position vor dem Bühnenrand geklemmt hatte. Von dort aus, zur wohltönenden Randbebauung ­degradiert, fiel es dem dynamisch ­de­zenten, historischen Instrumentarium eher schwer, sich ausgewogen zu artikulieren.

Dass die Französin Lau­rence Equilbey – als Harnoncourt-Schülerin stilistisch sattelfest, zielstrebig und mit charismatischer Selbstbescheidenheit gesegnet – der Versuchung widerstand, ihr kleines, feines ­Insula Orchestra unter Druck zu setzen, sorgte für einen Haydn-Klang, der subtil war und wohldosiert. Ohne Verspannungen und ohne Übertreibungen. Sanft und eindrücklich fließend. Für einen festivalreifen Abend auf höchstem Niveau hätte allein das schon genügt. Doch dann ­wäre es ja keine verfuradelsbausierte Schöpfungs-Sause gewesen, sondern ­lediglich ein weiteres tolles Konzert.