Hamburg. „Secret of Light“ in den Deichtorhallen ist die umfangreichste Werkschau, die es je zu dem berühmten US-Fotografen gegeben hat.

Ralph Gibson hat schon auf dem Podium Platz genommen, lange bevor Pressevertreter in der Halle für aktuelle Kunst eintreffen. Der 84 Jahre alte Amerikaner gibt Interviews, mit lässig auf der Stuhllehne abgelegtem Arm, gekleidet in sportlich schwarze Hose und Jacke, dazu ein strahlend weißes Hemd. Und es ist witzigerweise genau diese Kombi, die seine Art zu fotografieren spiegelt.

Seine Bilder, die er in bemerkenswerten Serien seit den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart fasst, bestechen durch den Kontrast von Weiß und Schwarz, oft verstärkt durch eine grafische Struktur, die er über seine Motive legt. Mal wird ein Gesicht durch einen Schatten exakt symmetrisch in zwei Hälften geteilt, mal ein Frauenkörper wie durch eine Jalousie hindurch betrachtet.

Gibson, der während seiner Zeit bei der US-Marine zum Fotografen ausgebildet wurde, sich anschließend in Los Angeles selbstständig machte und in New York für die Agentur Magnum Photos arbeitete, ist nicht dafür berühmt geworden, die Realität möglichst detailgetreu wiederzugeben. Nein: Er erhebt die Fotografie zu seiner Realität, indem er mit dem Licht zeichnet.

F. C. Gundlach sammelte den Fotografen seit den 1980er-Jahren

„Ich war nie an Nachrichten oder Ereignissen interessiert. Was ich ausdrücken will, ist, wie ich auf das jeweilige Sujet blicke“, sagt Gibson. An die 250 Ausstellungen hat er bereits mit seinen Bildern bestückt; doch die Hamburger Retrospektive „Secret of Light“, die mit 300 Bildern, darunter 260 in Schwarz-Weiß, die umfangreichste überhaupt darstellt, sei „die schönste“. Hier fühle er sich „wirklich verstanden“.

Man konnte aus dem Vollen schöpfen: F. C. Gundlach hatte schon in den 1980er-Jahren begonnen, den amerikanischen Kollegen privat zu sammeln, und überließ den Deichtorhallen später diesen fotografischen Schatz als Dauerleihgabe. Außerdem konnte Kuratorin Sabine Schnakenberg in Gibsons Privathaus weitere Werke sichten. In diesem Zusammenhang lobte er ihre „visuelle Intelligenz“.

Über dem Podium ist eins seiner ikonischen Werke großformatig angebracht: Darauf ist der Oberkörper eines Mannes vom Kinn bis zur Brustmitte zu sehen; unter seiner schwarzen Anzugjacke blitzt ein schmaler weißer Kragen hervor, der mittig schräg von einem Schatten durchschnitten wird. Das Bild stammt aus der Serie „Quadrants“, die er zwischen 1975 und 1988 unter anderem im südfranzösischen Arles schuf.

Die nackten Frauen sind ein spezielles Thema der Ausstellung

Dort habe ihn das spezielle Licht gereizt, das auch schon den Maler Vincent van Gogh nicht nur inspiriert, sondern sogar verrückt gemacht habe, so Sabine Schnakenberg. „Gibson fotografierte jeweils zur Mittagszeit bei hohem Sonnenstand. Der Abstand zum fotografierten Objekt betrug jeweils etwa einen Meter. Dadurch entstehen auf der Bildfläche extreme Gegensätze von Licht und Schatten.“

Aus der Serie „The Somnambulist“, 1970
Aus der Serie „The Somnambulist“, 1970 © Ralph Gibson | Ralph Gibson

Seine Bilder erzählen Geschichten und transportieren Gefühle; nicht umsonst heißt auch eine Serie von Gibson so: „Deja-vu“. In der Serie „The Somnambulist“, mit der der Fotograf seinen Durchbruch hatte, schafft er eine Welt aus Träumen und mentalen Zwischenzuständen: ein Mann, der am hellen Tag tief schläft, eine nackte Frau, die sich rücklings mit geschlossenen Augen in einem See treiben lässt.

Überhaupt: Die nackten Frauen sind ein spezielles Thema der Ausstellung. Eigentlich machten die „Nudes“ laut der Kuratorin keinen besonders großen Teil seines Werkes aus, obwohl Gibson sich zwischen 1968 und 2005 immer wieder dem Sujet gewidmet hat. Auffällig ist ihr Anteil aber doch, zumindest in der Hamburg-Schau. Brüste, Schenkel, Rücken, Hintern sind zumindest an zwei Wänden überpräsent.

Naturbilder zeigen den Meister von Licht und Schatten

Und auch wenn die Körperschau „nicht übergriffig, sondern häufig eher an Marmorstatuen erinnert“, so Sabine Schnakenberg, und keinesfalls die Aufdringlichkeit und Vulgarität der gleichnamigen Serie von Gibsons langjährigen Freund Helmut Newton oder die fragwürdige Nähe von Peter Lindbergh zu seinen Modellen hat, hat die Häufung dieser Motive doch Geschmack.

Aus der Serie „Days at Sea“, 1974
Aus der Serie „Days at Sea“, 1974 © Ralph Gibson | Ralph Gibson

Sie hinterlässt – bei aller künstlerisch und ästhetisch gelungenen Perspektive auf den menschlichen Körper, bei der sich der Fotograf von Kollegen wie Paul Outerbridge und Erwin Blumenfeld sowie von Francisco de Goya, Diego Velazquez und Pablo Picasso inspirieren ließ – doch ein voyeuristisches Moment. Vielleicht, weil ebenso wie bei Newton und Lindbergh das männliche Pendant fehlt.

In seinen jüngsten, zum Teil farbigen Arbeiten der Serie „Nature/Object“ (2015–2022) hat sich Gibson dem Universum der Natur zugewandt. Das vorsichtige Umkreisen und intensive Beobachten von verschiedenen Oberflächen und Strukturen an Bäumen, Blüten und Landschaften wirken fast kontemplativ und offenbaren erneut seine Meisterschaft im Spiel mit Licht und Schatten.

„Ralph Gibson. Secret of Light“ bis 20.8., Deichtorhallen/Halle für aktuelle Kunst (U Steinstraße), Deichtorstraße 1-2, Di–So 11.00–18.00, jeden 1. Do im Monat 11.00–21.00, Eintritt 12,-/7,- (erm.), www.deichtorhallen.de