Hamburg. Der Isländer ist im Phoxxi mit einer beeindruckenden Retrospektive über den Klimawandel zu erleben. Eine wichtige Ausstellung.

Wie wollen wir leben? Die Frage, die Kurator Ingo Taubhorn schon bei seinen vergangenen großen fotodokumentarischen Ausstellungen mit Künstlern wie Paolo Pellegrin, Lauren Greenfield oder Matt Black umtrieb, liegt auch der gerade eröffneten Retrospektive um Ragnar Axelsson zugrunde.

In „Where The World Is Melting“ geht es um nichts weniger als die durch den Klimawandel ausgelöste Lebensbedrohung von Menschen, Tieren und der sie umgebenden arktischen Natur in Grönland und Island, Nordkanada und auf den Faröer Inseln, in Nordskandinavien und Sibirien.

Axelsson reist seit 40 Jahren an die entlegensten Ränder der bewohnbaren Welt, fängt dort die Einsamkeit und Extreme mit seiner Kamera, einer Leica, ein, baut Vertrauen zu und Beziehungen mit den dort Lebenden auf und darf sie – mit viel Glück – porträtieren. „Ich will dieses Leben zeigen“, sagt der bekannteste isländische und international renommierte wie preisgekrönte Fotograf bei der Pressekonferenz im Phoxxi. Und ergänzt: „Ich lerne auf jeder meiner Reisen etwas hinzu.“

Ausstellung Hamburg: Was wird aus der Natur zwischen Vulkanismus und Eis?

Seine Bilder, die in Magazinen wie „Life“, „Stern“, „Time“, „Geo“, „Newsweek“ und „National Geographic“ erscheinen, nehmen die Betrachtenden mit in die menschlichen Schicksale: Jäger, die mit ihren Speeren in endlose Weiten aufbrechen oder in winzigen Zelten dem Schneesturm trotzen, Fischer in ihren nussschalengroßen Booten zwischen Schollen ewigen Eises, Bauern vor ihren verwitterten, windschiefen Häuschen.

Ganz intuitiv wird aus der Frage „Wie wollen wir leben?“ die Frage „Wie kann man so leben?“. Und, beim Anblick des „Melting Iceberg“ im grönländischen Scoresbysund von 2014: „Wie werden die Menschen und Tiere dort in Zukunft leben können? Und was wird aus der fantastischen Natur?“

Hinter dem Podium bei der Pressekonferenz ist eine Fotoserie zu sehen: Die Bilder zeigen, wie der Wind vulkanische Asche in kreativen Mustern auf das Land verteilt hat. In Schwarz und Weiß, wie alle anderen Fotografien Axelssons – „so sind die Kontraste stärker, schwarz-weiß fesselt mich einfach“, sagt der Fotograf.

Die Bilder berühren in ihrer Drastik und Dramatik

Und es spiegelt natürlich auch die unwirkliche Welt seiner Heimat, aus schwarzer vulkanischer Landschaft und arktischem Eis. Für Axelsson eine prägende Kindheitserinnerung, als er mit sieben Jahren zum ersten Mal die atemberaubende Schönheit eines Gletschers aus dem Fenster einer Douglas DC-3 erblickte – und mit der kostbaren väterlichen Leica das Fotografieren für sich entdeckte.

Es war eine Nachricht, die Isabel Siben schockierte und aufrüttelte: „Kürzlich las ich, dass einem Gletscher in Island der Gletscherstatus aberkannt werden soll. Ich fand die Vorstellung absurd, dass in ein paar Jahren an der Stelle des einstigen Gletschers nur noch eine Gedenktafel daran erinnern wird“, so die Kuratorin vom Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung in München.

„Deswegen brauchen wir Dokumentarfotografen wie Ragnar Axelsson, die uns mit Drastik und Dramatik in ihren Bildern berühren.“ Sie hat ihn vor der Ausstellung im Phoxxi groß in München gezeigt und hofft, dass seine Botschaften möglichst weit in die Welt hinausgetragen werden.

Fotografie kann neue Perspektiven aufzeigen

Dabei geht Axelssons Engagement weit über die des Fotoreporters hinaus: Er begleitet Klimaforscher und Vulkanologen bei ihren Reisen und unterstützt andere Künstler wie Paolo Pellegrin und Ólafur Elíasson bei ihren Arktis-Projekten als Pilot.

„Nie war es wichtiger als jetzt, das Leben der Menschen und die Veränderungen, die sie in der Arktis durchmachen, in Worten und Bildern zu dokumentieren, damit die ganze Welt sehen kann, was geschieht“, sagt Axelsson. „Eine Fotografie ist in dem Puzzle, aus dem sich das Gesamtbild ergibt, nur ein kleines Teil, doch manchmal sind es diese kleinen Teile, die uns die Augen für die größere Realität öffnen.“

Dazu gehört auch, die unfassbare Schönheit und Wildheit dieser isolierten Gegenden zu zeigen; um diese wertzuschätzen und zu erhalten. „Die arktische Landschaft ist einfach schön“, so der Fotograf. „Man kann sie nur hässlicher machen, indem man ein Selfie von sich macht“ – Seitenhieb auf den Massentourismus, etwa in Island.

Austellung: Gäbe es die Hunde nicht, gäbe es kein menschliches Leben in der Arktis

Immer wieder tauchen Hunde in den Bildern auf. Wie sie scheinbar unermüdlich die Schlitten ziehen, dicht neben ihren Besitzern im Schnee ausharren. Tolle Einzelporträts im Close-up wechseln sich mit spannungsgeladenen Gruppenbildern ab.

Sie sind die eigentlichen Helden dieser Ausstellung und eines Fotobands mit dem Titel „Arctic Heroes“ von 2018. „Wenn es die Hunde nicht gäbe, gäbe es kein menschliches Leben in der Arktis“, sagt Axelsson. Jeder, der dort lebt, habe mehr als eine persönliche Geschichte, die ihn mit seinen Tieren verbindet.

Zurzeit arbeitet er an einem Dreijahresprojekt, mit dem das Leben der Menschen in allen acht arktischen Staaten dokumentiert werden soll. In dieser entscheidenden Zeit, in der die natürlichen und überlieferten Gegebenheiten ihrer Welt durch den Klimawandel unwiederbringlich zerstört werden, legt der Fotograf Zeugnis ab von der unmittelbaren Gefahr, die die Erderwärmung für das Überleben der gesamten Menschheit darstellt.

„Ragnar Axelsson. Where The World Is Melting“ bis 18.6., Phoxxi (U Meßberg), Deichtorstr. 1–2, Di–So 11.00–18.00, Eintritt 8,-/5,- (erm.), www.deichtorhallen.de