Hamburg. Murat Yeginer inszeniert „Dat Füerschipp“ als packenden Thriller in toller Kulisse, mit Musik und zwei herausragenden Protagonisten.
Eines mal vorweg: Es fallen Schüsse, es fließt Blut, es sterben respektive verschwinden Menschen. Das ist im Ohnsorg-Theater nicht die Regel und in diesem Stück gewiss nicht das Wichtigste. In, besser gesagt auf „Dat Füerschipp“ geht es letztlich darum, ob und wie man(n) Gewalt und Terror begegnet, ob Vernunft und Diplomatie noch die Oberhand gewinnen können.
Insofern lässt einen Siegfried Lenz’ Erzählung „Das Feuerschiff“ von 1960 im Zeitalter neuer großer Bedrohungen und Kriege auf mehreren Kontinenten manchmal auch an die gegenwärtige Weltlage denken. Kalt lässt dieses Stück ohnehin keinen, wie der minutenlange Applaus des Premierenpublikums am Heidi-Kabel-Platz am Sonntagabend zeigte. Nach „De Mann in’n Stroom“ im Herbst 2018 hat das Ohnsorg erneut einen in den 50er-Jahren spielenden Stoff des bedeutenden deutschen Nachkriegs-Schriftstellers und Hamburger Ehrenbürgers Lenz adaptiert. Und wie schon bei „Der Mann im Strom“ haben Regisseur Murat Yeginer mit seiner Inszenierung und Frank Grupe, Yeginers Vorgänger als Oberspielleiter, mit seiner Bühnenfassung auf Platt- und Hochdeutsch ganze Arbeit geleistet. Indes längst nicht allein.
Lenz am Ohnsorg: Hochspannung op Platt und auf Hochdeutsch
Egal ob man das Ohnsorg wie schon in der Vergangenheit geschehen als Dickschiff oder als Tanker bezeichnen mag, bei „Dat Füerschipp“ erzeugt eine große Mannschaft auf und unter Deck, vor und hinter den Kulissen gut zwei Stunden lang Hochspannung, Dramatik und viele starke Bilder. Für Letztere haben Peter Lehmann (Kostüme) und Bühnenbildner Jürgen Höth mit seiner spektakulären Schiffs-Kulisse: gesorgt: Dank der Drehbühne im Großen Haus spielt das Stück abwechselnd auf dem Deck mit Brücke und Luke, unter Deck in der Messe oder darüber auf dem Gang zum Funker-Raum, manchmal sogar zeitlich parallel in beiden. Zudem hat der renommierte Leipziger Theatermusiker Jan Paul Werge einen Soundtrack komponiert, der einer Filmmusik gleichkommt und für zusätzlichen Thrill sorgt.
Dreimal bereits ist „Das Feuerschiff“ verfilmt worden, Mitte der 80er-Jahre auf Englisch mit Weltstar Klaus Marina Brandauer, zuletzt vor 15 Jahren fürs ARD-Fernsehen mit Jan Fedder und Axel Milberg. Doch wie so oft in Lenz’ Werken stehen auch bei Yeginers Inszenierung die Menschen im Mittelpunkt. Hier namentlich Kapitän Freytag und Doktor Caspary. Der wird als vermeintlicher Schiffbrüchiger mit seinen beiden Kumpanen im Beiboot an Bord des Feuerschiffs genommen. Als sich die drei als bis an die Zähne bewaffnete Gangster entpuppen, die auf der Flucht sind, spitzt sich die Lage mehr und mehr zu.
Immer wieder sitzen und stehen sich der Kapitän und Caspary gegenüber. Soll man es verhandeln nennen? Mit Peter Kaempfe und Oskar Ketelhut sind diese Antipoden äußerst treffend besetzt, sie ragen heraus. Ketelhut gibt in einer seiner wohl besten darstellerischen Leistungen in mehr als 25 Ohnsorg-Jahren mit Sonnenbrille und protzigem Siegelring im Mantel mit Pelzkragen einen Verbrecher mit gleich drei verschiedenen Identitäten. Gekonnt changiert er als gescheiterter Rechtsanwalt zwischen Verschlagenheit, Überheblichkeit bis hin zur Selbstverliebtheit und lässt dabei doch mehrmals Menschliches durchschimmern.
Psycho-Spielchen in i Verbalduellen und Lenz’ Text
„Der geborene Gefangene“, kontert Caspary ironisch im Gespräch mit dem Kapitän dessen Standpunkt, dass das Feuerschiff nicht für die Fahrt eingerichtet sei, „sondern für die Kette“. Es müsse am Meeresgrund verankert bleiben, um die Sicherheit der Schifffahrt nicht zu gefährden. Kaempfe spielt im kompletten Marineblau (inklusive Wollmütze) nicht nur mit seiner wohlklingenden Stimme einen gealterten Fahrensmann und Stoiker kurz vor der letzte Wache; er steht überaus glaubwürdig für Prinzipientreue und Ordnung seinen Mann und ist gewissermaßen die Verkörperung des gewaltlosen Widerstands. „Das Schiff bleibt hier!“, betont er immer wieder – erst recht als Caspary ihm ein unmoralisches Angebot über 30.000 Mark als Fluchthelfer macht.
Der Schachzug der beiden Theatermacher Yeginer und Grupe (auch in der Nebenrolle des handfesten Smuutje Trittel mit an Bord), den gerissenen Caspary und den Kapitän zumindest im Angesicht mit dem Ober-Gangster Hochdeutsch sprechen zu lassen, erweist sich als richtig. Die Psycho-Spielchen in ihren Verbalduellen und Lenz’ Text kommen so zur berechtigten Geltung.
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Die wachsenden Spannungen zwischen der Crew und dem Kapitän sowie dessen Vater-Sohn-Konflikt sind dagegen komplett op Platt zu erleben. Der angehende Abiturient Nikolai Lang, der wie vor viereinhalb Jahren in „De Mann in’n Stroom“ mit Ben Alm alternierend den Filius spielt, zeigte bei der Premiere bereits eine reife Leistung. „En Bangbüx“, nennt er seinen Bühnenvater mehrmals.
Lenz’ „Das Feuerschiff“: eine Parabel über den gewaltfreien Widerstand
Die vermeintliche Feigheit vor dem Feind beziehungsweise hier vor dem verbrecherischen Gegner führt zum dramatischen Showdown, in der nicht mehr alle Darsteller an Deck sind. In der durchweg überzeugenden zehnköpfen Männerriege jedoch können Anton Pleva als grenzdebiler, aber keineswegs unsympathischer kleiner Gangster Eugen neben dem großen Bruder und Scharfschützen Edgar (Colin Hausberg) sowie Jannik Nowak als 1. Offizier und interner Rivale des Kapitäns weitere spezielle Signale senden.
Trotz der Schüsse, handfesten Auseinandersetzungen, visuellen und akustischen Effekte – auch in der technisch opulenten Version am Ohnsorg bleibt Lenz’ „Das Feuerschiff“ in erster Linie eines: eine Parabel über den gewaltfreien Widerstand. Und dafür sollte, ja muss auch im modernen Volkstheater Platz sein.
„Dat Füerschipp“ wieder Di 7.3., 19.30, bis 13.4., Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten zu 22,- bis 35,50 unter T. 040/35 08 03 21; www.ohnsorg.de