Hamburg. Beim Satire-Gipfel von „Lesen ohne Atomstrom“ kritisierte Lisa Politt die Außenministerin scharf. Auch “Titanic BoyGroup“ spottete.

War was?“, lautete zum 25. Jubiläum der Titel des Programms von Herrchens Frauchen. Deutschlands zweitältestes Kabarettduo hat sich nach 38 Jahren bekanntermaßen 2022 von der Bühne verabschiedet, sein Theater in St. Georg heißt nach zwei Jahrzehnten jetzt Centralkomitee statt Polittbüro. Dass Ex-Namensgeberin Lisa Politt, die weibliche Hälfte von Herrchens Frauchen, nichts von ihrer Schärfe eingebüßt hat, zeigte sie unter dem eingangs erwähnten Motto beim prominent besetzten Satire-Gipfel als Teil des Festivals „Lesen ohne Atomstrom“ in Alma Hoppes Lustspielhaus.

Im bis unter das Dach gefüllten Eppendorfer Kabarett-Theater machte die streitbare Spötterin nach der Begrüßung durch Oliver Neß und Frank Otto vom Veranstalter Kultur für alle e.V. und dem Warm-up von Hausherr Jan-Peter Petersen (eine Hälfte von Alma Hoppe) in einer Mischung aus Kabarett und Lesung auf ihre Art reinen Tisch. Die Grünen mit ihren Umfrage-Lieblingen Robert Habeck und Annalena Baerbock waren in Zeiten von Energiekrise und Krieg Hauptzielscheiben ihrer Kritik. „Habeck will kalt duschen, weil er als Kind zu heiß gebadet wurde“, meinte sie. Baerbock strafte sie ab als „Annalena, das Funkenmariechen der deutschen Rüstungsindustrie“.

Satire: Baerbock – „Funkenmariechen der deutschen Rüstungsindustrie“

Und was die von der Ministerin propagierte „feministische Außenpolitik“ betrifft, da braucht man respektive frau der noch immer provokanten Linken Politt nichts vormachen. Vertritt sie doch seit den frühen 80er-Jahren feministische Positionen auf den Kleinkunstbühnen des Landes. Und so knüpfte sich Politt auch die „stets gut frisierten“ sogenannten Friedensforscherinnen a la Claudia Major vor, die in Talkshows immer mehr Waffen für die Ukraine fordern. Und die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung? Für Politt inzwischen die „Heinrich-Böller-Stiftung“.

Mit Henning Venske feierte ein weiterer Hamburger Kabarett-Veteran ein Bühnen-Comeback. Dezidiert wies er vom Standpunkt eines libertären Linken aus auf die Unterschiede von „Gedankenfreiheit“ und „Meinungsfreiheit“ hin. Letztere brauche immer auch Information: Doch woher komme die, fragte Venske skeptisch. Launisch-gekonnt spannte der 83-Jährige am Lesetisch einen Bogen von den 50er-Jahren bis zur deutschen Gegenwart mit alltäglichen Fragen der Verkehrspolitik im Dialog mit seiner Enkelin. Wie und ob er mit ihr im Auto, mit dem ÖPNV oder sogar dem Fahrrad in die City kommen solle? Venske verzweifelte fast,. Als Vertreter „der drittletzten Generation“ zeigte der 83-Jährige indes Sympathie für die Bedeutung zivilen Ungehorsams.

Sonneborn als Anbieter von nur 110 Volt „als eine Art Schnelltarif“

Der lange zweite Teil des Gipfels gehörte dann der „Titanic BoyGroup“ und Kabarett-Star Urban Priol. Genüsslich breiteten sich die drei früheren Chefredakteure des Satire-Fachblatts aus, Oliver Maria Schmitt, Martin Sonneborn und Thomas Gsella. Passend zum Motto des Abends tischten Sonneborn, „unterstützt von Vattenfall“ wie er ironisch anmerkte, und Schmitt alte „Titanic“-Aktionen auf: Schon Mitte der 90er-Jahre hatten sie in einer großen deutschen Tageszeitung für billigen Strom geworben und ihr vermeintliches Unternehmen „Power Plus“ gegründet, um Strom an den Mann zu bringen.

Ihre nachgespielten Anrufe mit Sonneborn als Anbieter von nur 110 Volt „als eine Art Schnelltarif“ oder günstigen „Polen-Strom“ stießen beim komisch sächselnden Schmitt auf offene Kunden-Ohren – und beim Publikum auf nachhaltige Begeisterung. Dazu kamen aktuelle Spitzen von Schmitt und dem Europa-Abgeordneten Sonneborn (Die Partei) zur Berliner Friedensdemo von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht, satirisch gipfelnd auf dem Transparent „Wir verteidigen den Pazifismus – zur Not mit Waffengewalt in der Hand“.

"Lesen ohne Atomstrom": Urban Priol kriegt gerade noch die Kurve

Dem ständigen und emsigen unterfränkischen Pointen-Fabrikanten Priol blieb es vorbehalten, mit dem aktuell verantwortlichen Polit-Personal im Bund abzurechnen, mit Kanzler Scholz und insbesondere mit Tempolimit-Gegner „Wirsing“ alias Verkehrsminister Wissing. Parodien auf Baden-Württembergs Landesvater Kretschmann CDU/CSU-Oppositionsführer Merz, den „Avatar der Konservativen“, und „seinen“ Landesvater Markus Söder hat der Kabarettist ohnehin in petto. Als Priol schließlich noch die Proteste auf dem Land gegen Windräder karikierte, hatte er am Ende des dreistündigen Abends die Kurve zum Namen des unabhängigen Literatur-Festivals doch noch gemeistert.

„Lesen ohne Atomstrom“ noch bis 10.3. u.a in Schmidtchen, Fabrik, Centralkomitee; Einlass jeweils 30 Minuten vor Beginn, Eintritt jew. frei; Programm: www.lesen-ohne-atomstrom.de