Hamburg. “Vorhang auf für Cyrano“ sind eigentlich zwei Stücke in einem: Das Ensemble spielt 45 Rollen und fast 80 Szenen.

Wer kennt sie nicht, die Geschichte um den Poeten mit der großen Nase, der mit einem attraktiven Einfaltspinsel um die Gunst der angebeteten Roxane buhlt? „Cyrano de Bergerac“ gehört längst zu den Klassikern der Weltliteratur, ist hierzulande spätestens seit der 1990er-Verfilmung mit dem späteren Wahlrussen Gérard Depardieu bekannt und in Frankreich das bis heute meistgespielte Theaterstück.

Wie aber entstand das Werk des Schriftstellers Edmond Rostand, das Ende 1897 am Pariser Théâtre de la Porte Saint-Martin uraufgeführt wurde? Das hat sich der französische Schauspieler, Regisseur und Autor Alexis Michalik gefragt und mit „Vorhang auf für Cyrano“ eine Komödie über die fiktive Entstehungsgeschichte des Theaterklassikers geschrieben.

Komödie Winterhuder Fährhaus: Cyrano als Mammutprojekt mit 45 Rollen in fast 80 Szenen

Martin Woelffer, Künstlerischer Leiter der Komödie Winterhuder Fährhaus und der Komödie am Kurfürstendamm, hat sich für seine Häuser die deutschsprachigen Rechte gesichert, und so feierte das Stück am Freitagabend Hamburg-Premiere. Ein wahrhaft großer Spaß in Überlänge, teils auch mit Längen.

Das liegt gewiss nicht am spielfreudigen zwölfköpfigen Ensemble, das an diesem gut dreistündigen Abend (inklusive Pause) in 45 verschiedene Rollen schlüpft und fast 80 Szenen mit Leben füllt. Es sind gewissermaßen zwei Stücke in einem, die Christopher Tölle bei seinem Winterhuder Regie-Debüt zu inszenieren hat. Manchmal etwas zu viel des Guten.

Der Autor, dessen Theaterstücke niemand sehen will

Im Zentrum steht Nachwuchsautor Edmond, dessen Theaterstücke niemand sehen will. Philip Butz hat als Protagonist das Privileg, als einziger Schauspieler eine durchgehende Rolle zu haben. Und das nutzt er mehr und mehr aus, indem er den unter finanzieller Not und einer Schreibblockade leidenden romantischen Poeten voll ausspielt. „Du bist wahrscheinlich gestört“, hält ihm sein recht tumber, aber lustvoller Schauspieler-Freund Leo (Matthias Britschgi) vor – „Ich bin Autor!“, entgegnet Edmond. Inspiration findet er ausgerechnet in Leos Schwarm, der Kostümbildnerin Jeanne (Stefanie Darnesa).

Derlei Dialoge sind das Salz in der komischen Suppe der deutschen Fassung von Kim Langner (36). Die junge, doch erfahrene Übersetzerin mit Schauspiel-und Paris-Erfahrung schont mit Klischees weder Schriftsteller noch Schauspieler und Schauspielerinnen, was immer gut für Lacher an den entsprechenden Stellen ist. Und sie schreckt auch vor einer derben Sprache aus der Prä-Metoo-Zeit nicht zurück.

Anton Tschechow langweilt sich im Bordell

Wenn sich die beiden Produzenten des von Edmond unter immensem Zeitdruck zu schreibenden Stücks daran echauffieren und fordern „Möpse, wir brauchen Möpse!“, ist das auch für Theaterbesucherinnen immer wieder komisch. Peer Martiny und Jörg Seyer, Letzterer noch dazu bei Kurzauftritten als Tunte („Ahoi!“) eine Belebung, spielen die beiden Geldgeber mit Melone auf dem Kopf und mit Berliner Luden-Schnauze in bester nörgelnder Waldorf-und-Statler-Manier („Muppets Show“).

Und Oliver Dupont, in Winterhude bestens bekannt, zeigt wieder mal, was er komödiantisch aus Nebenrollen alles rausholt, hier etwa als Theater-Inspizient Lucien, aber auch als Maurice Ravel und als sich im Bordell langweilender Anton Tschechow.

Wie Cyrano de Bergerac entstand(en sein könnte)

Nicht ganz so bekannt ist Constant Coquelin, Ende des 19. Jahrhunderts der größte Komödiant in Paris. Weil der von der Existenz bedrohte Theatermann jedoch dringend einen Bühnenerfolg braucht und bei Autor Edmond einen Dreiakter bestellt hat, kann Cyrano de Bergerac erst entstehen. Dirk Schoedon, in der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ seit mehr als zwei Jahrzehnten als Udo der Pechvogel vom Dienst, gibt seinen Coquelin („Ich brauche unbedingt eine Duell-Szene!“) mit der komischen Überheblichkeit eines Stars – und am Ende auch den Cyrano.

Und eben das zieht „Vorhang auf Cyrano“, in dem Adisat Semenitsch im Männer-Kostüm die stärkste der Schauspielerinnen-Parts hat, bei allem getanzten Cancan und erklingenden „Bolero“ zu sehr in die Länge. Der historisierte Kostümrausch mit den fliegenden Rollenwechseln (Ausstattung: Heike Seidler) ist dennoch vor allem eines: eine große Liebeserklärung an das Theater.

Etwa, wenn die Beteiligten mit wenigen aufgestellten Stühlen eine Art Wettrennen zwischen Postkutsche und Eisenbahn (mit Abteilen) simulieren. Oder Matthias Britschgi als Leo noch mal in Zeitlupe mit der Tür, die auf Rollen mitten auf der Bühne steht, ins Haus fällt und er die Szene unter Beifall wiederholt.

Komödie Winterhuder Fährhaus: Cyrano mit Shakespeare-Anleihen

All das erinnert zeitweise an Michael Frayns 40 Jahre alten alten Komödien-Klassiker „Der nackte Wahnsinn“. In dem 1992 auch verfilmten Werk beschreibt der britische Autor vor und hinter der Bühne höchst amüsant und turbulent Leben, Lügen und Intrigen einer Schauspieltruppe, die verzweifelt um das Gelingen ihrer Aufführung ringt. Während es sich in jenem Stück in drei Varianten nur um den ersten Akt dreht, werden es hier am Ende fünf.

Anleihen beim Kinoerfolg „Shakespeare in Love“, der vor 25 Jahren die fiktive Liebesgeschichte zwischen William Shakespeare und einer jungen Adligen erzählte, die den englischen Dramatiker zu seiner berühmten Tragödie „Romeo und Julia“ inspirierte, sind bei Alexis Michaliks „Vorhang auf für Cyrano“ ebenfalls erkennbar Seine Filmfassung des Theatererfolgs, die 2019 auch in den deutschen Kinos lief, dauerte übrigens nur knapp zwei Stunden ...

„Vorhang auf für Cyrano“, bis 19.4, jeweils 19.30 (So 18.00) bis auf Mo, Komödie Winterhuder Fährhaus (U Hudtwalckerstraße), Hudtwalckerstraße 13, Karten zu 25,-, bis 43,- unter T. 48 06 80 80; www.komoedie-hamburg.de