Hamburg. Im Allee Theater wird Rossinis Oper dramaturgisch aufgepeppt – mit wunderbarem Esprit. Ist Figaro trotzdem der Gleiche geblieben?
Wer ist hier eigentlich der Boss? Rossinis beliebteste Oper heißt „Der Barbier von Sevilla“. Da zieht der pfiffige Figaro die Fäden und verhilft dem Grafen Almaviva dazu, seine Angebetete Rosina am Schluss zu heiraten. Bei der Uraufführung 1816 musste Rossini die Oper „Almaviva oder Die nutzlose Vorsicht“ nennen. Der damalige Superstar-Tenor Manuel Garcia verlangte wohl, dass er im Titel auftauchte.
In der neuen Inszenierung der Hamburger Kammeroper im Allee Theater gibt es noch einen weiteren Boss. Regisseur Marius Adam und Librettistin Barbara Hass haben den sonst oft griesgrämig und tölpelhaft dargestellten Bartolo zum windigen Mafiaboss gemacht. Für den auch ein bisschen windigen Figaro eine echte Konkurrenz.
Ein Schuss in der Dunkelheit, am Anfang ein Mord. Später versteht man, warum Bartolo Rosina, sein Mündel, so mit Argusaugen bewacht und sie einschließt. Der Schuss hat den Mafia-Capo, Rosinas Vater, ins Jenseits befördert. Vorher konnte er seine Tochter noch in die Obhut Bartolos geben. Genüsslich steckt der sich den Ring des Capo an, er ist der neue Boss, das Vermögen seines Vorgängers will er sich durch Heirat mit Rosina sichern. Kleiner Vorspann und geschickter Kniff zu der durch Verkleidungen, Tricks und Lügen durchaus verworrenen Geschichte.
„Der Barbier von Sevilla“: Viel Witz und Tempo
Allee Theater-Intendant Marius Adam setzt die turbulente Handlung mit viel Witz und Tempo um. Almaviva ist bei ihm nicht nur reicher Graf und jugendlicher Liebhaber, sondern auch Mafia-Jäger. Figaro ist wie bei Rossini der gewiefte Frisör, der für Geld neben Haareschneiden auch gern Intrigen einfädelt und bei Bedarf auch als Zahnarzt faule Zähne zieht, mit einer an einem Fahrrad befestigten Schnur. Robert Elibay-Hartog hat sichtlich Vergnügen an der Rolle und singt die virtuose Partie bravourös. Mafiaboss Bartolo hält mit qualmender Zigarre die Fäden fast immer in der Hand.
Da ist der Allee Theater-Publikumsliebling, der charismatische Bariton Titus Witt, in seinem schauspielerischen Element. Das Durchtrieben-Konspirative liegt ihm. Nur einmal verkalkuliert sich Bartolo. Figaro und Almaviva steigen mit einer Leiter durchs Fenster bei ihm ein, um Rosina zu entführen.
Eine Partitur, die gekonnt für exzellente Musiker eingerichtet wurde
Bartolo nimmt die Leiter weg, um das zu verhindern. Das wird aber zur „nutzlosen Vorsicht“: In der Zwischenzeit ist schon der von Bartolo bestellte Notar ankommen, der ihn mit Rosina verheiraten soll. Kurzerhand lassen sich aber die eingesperrten Almaviva und Rosina trauen. Bartolo trägt’s mit Humor und gibt seiner Hausangestellten Berta, die ihn schon immer liebte, das Ja-Wort. Happy End.
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Gesungen wurden die kniffeligen Rossini-Partien von fast allen mit viel Verve, besonders brillant Iva Krušić und Feline Knabe als Rosina und Berta. Einmal mehr hat Dirigent Ettore Prandi Rossinis Partitur gekonnt und wirkungsvoll für fünf exzellente Musiker eingerichtet und diese mit wunderbarem Esprit immer kurzweilig geleitet.