Hamburg. Im Interview erzählt der Hamburger vom Dreh der neuen Serie “Luden – Könige der Reeperbahn“. Auch seine Lieblingsszene verrät er.
Klaus Barkowsky gibt es wirklich, und Aaron Hilmer spielt ihn: Der gebürtige Freiburger wuchs in Hamburg auf und war zuletzt in dem Oscar-nominierten Kriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ zu sehen. Er gehört auch zur Darstellerriege in dem Viren-Thriller „Sløborn“. Nun also „Luden – Könige der Reeperbahn“. Das Abendblatt traf den Jungschauschauspieler, der in der Amazon-Produktion neben Kolleginnen und Kollegen wie Jeanette Hain, Noah Tinwa, Lena Urzendowsky, Henning Flüsloh, Stefan Konarske, Lara Feith und Stephan Kampwirth spielt, zum Gespräch.
Hamburger Abendblatt: Haben Sie den echten Klaus Barkwosky kennengelernt?
Aaron Hilmer: Nein, ich habe mich vor
allem über Fotoarchive und Dokumentationen mit der Figur beschäftigt. Das Produktionsteam hat sich aber viel mit ihm auseinandergesetzt und Gespräche geführt.
Wie war es für Sie persönlich, in die Rolle eines Ludens zu schlüpfen?
Mir war es wichtig, dass die Geschichte zeitgemäß erzählt wird. Deswegen fand ich es toll, dass es aus der Perspektive von Jutta, einer Anfang 50-jährigen Frau, passiert. Auch in der Zusammenarbeit mit Laura Lackmann als Regisseurin hatte ich immer wieder das Gefühl, dass wir etwas machen, das nichts beschönigen will und auch in das Jahr 2023 passt.
Hatte die Figur Jutta ein reales Vorbild?
Nein, das ist eine zusammengesetzte Figur, die sich an realen Geschichten orientiert. Ich finde den Charakter von Jutta sehr gelungen. Am Anfang heißt es „Ein Lude wird nicht geboren, sondern gemacht“, in dem Fall hat Jutta Klaus zum Luden gemacht. Dass es in der Serie so
erzählt wird, finde ich eine spannende Perspektive. Jutta ist in gewisser Weise sein Zuhause und gibt ihm die Möglichkeit, aus der zuvor sehr armen Welt aufzusteigen. Diese Verbindung ist für die Figur Klaus, glaube ich, sehr wichtig.
Wie gut kennen Sie die Reeperbahn?
Als Hamburger gehört es für mich dazu, dass man dort immer mal wieder hingeht. Vielleicht nicht direkt auf die Reeperbahn, aber in die schönen kleinen Seitenstraßen. Jeder Hamburger versteht schon früh, dass das eine besondere Straße ist. Als Kind im Auto über die Reeperbahn zu fahren, war etwas ganz Aufregendes für mich, da habe ich immer versucht, ganz viel aufzuschnappen und mitzubekommen.
An welchen Orten wurde gedreht?
Es ist nicht einfach, auf St. Pauli zu drehen, da ist einfach zu viel los. Wir haben aber trotzdem unter anderem in der Ritze und anderen Orten, aber auch in der Sietas Werft in Hamburg gedreht. Ein großer Teil der Serie ist jedoch in einem nachgebauten Draußen-Studio in München entstanden.
Wie haben die St. Paulianer reagiert?
Wir waren vor allem in der Ritze, dort waren die Leute sehr gastfreundlich, locker und offen. Ich habe mich dort sehr willkommen gefühlt.
Wie haben Sie sich auf die Rolle des berühmten Zuhälters Klaus Barkowksy vorbereitet?
Mir hat es geholfen, dass ich St. Pauli als einen besonderen Ort kennengelernt habe. Dadurch war mir klar, dass ich die Rolle des Klaus ausgefallen spielen muss. Das habe ich dann über die Körperlichkeit und den „Hamburger Schnack“ gemacht. Die Persönlichkeiten von St. Pauli sind sehr speziell, das in der Figur zu verkörpern war mir wichtig.
Wie hat die Adaption des Hamburger Kiez-Slangs funktioniert?
Ich kenne das von meinen Hamburger Freunden, gerade wenn man ein bisschen was getrunken hat, kommt der Hamburger Schnack oft durch. Bei einem meiner Freunde ist das sehr extrem, was mich sehr inspiriert hat. Gleichzeitig habe ich mich selbst auch immer weiter in den Slang reingesteigert und meine eigene Sprache gefunden.
Wie sehr ist die Serie an den wahren Begebenheiten orientiert?
Die Grundbausteine wie die Geschichte der „Nutella-Bande“, der „GMBH“, Frida Schulz, Chicago und des Eros-Centers beruhen auf echten Begebenheiten. Es bleibt aber eine Serie und ist keine Dokumentation, die Zeit der 80er-Jahre auf St. Pauli wurde dennoch gut eingefangen. Um die Geschichte in sechs Folgen zu erzählen, muss man gewisse Dinge überdrehen oder extremer machen. Oder auch verschiedene Personen in einer Figur vereinen: Andi ist für mich beispielsweise eine Kombination zwischen Stefan Hentschel und Thomas Born.
Welche Kiez-Originale waren bei der Produktion dabei?
Unter anderem der ehemalige Polizist Waldemar Paulsen. Auf dem Kiez war sein Spitzname früher „Rotfuchs“. Er war früher für alles, was mit Rotlicht und Zuhälterei zu tun hatte, zuständig. Dann hatten wir noch das Elbschlosskeller-Original Mario mit an Bord, einen der „GMBH“- Luden. Auch mit meinem ehemaligen Boxlehrer, der eine Rotlicht-Vergangenheit hat, konnte ich gut sprechen. Er hat mir zum Beispiel gesagt, dass der Kiez früher „hoch entzündlich“ gewesen sei, „man hat nicht lange rumgefackelt, es hat sofort geknallt.“ So habe ich immer wieder Dinge aufgeschnappt, die mir bei der Rolle geholfen haben und auch dabei, mein Gefühl für die damalige Zeit zu formen. Jeder erzählt dabei seine eigene Wahrheit davon, wie es gewesen ist. Wenn du alles glaubst, hast du verloren.
Gab es am Set häufiger Momente, in denen angesichts der Machtverhältnisse auf St. Pauli moralische Fragen aufkamen?
Ja, die Momente gab es auf jeden Fall. Schön war, dass darüber nicht hinweggegangen wurde. Es wurde sich Zeit genommen, um die richtige Lösung zu finden.
Die Serie ist oft auch sehr humorvoll, passt das zum Thema?
St. Pauli lebt davon. Das war für das ganze Projekt wichtig.
Welche Sympathieträger gibt es für Sie?
Die Figur des Boxers Andi wird durch sein trotteliges Dasein sympathisch. Man merkt, dass Klaus ihn gegen seinen Willen versucht, in das Luden-Leben hineinzuziehen. Deswegen finde ich, dass er eine spannende und auch sympathische Figur ist. Auch er hat natürlich seine Schattenseite, die sich in der Gewalttätigkeit widerspiegelt. Genauso wie der Rotfuchs, so wie wir ihn erzählen, auch er hat seine Schattenseite. In der Serie wurde das versucht aufzuzeigen, egal ob Polizist oder armer Typ aus dem Elbschlosskeller: Alle haben ihre Abgründe.
Und Jutta?
Jutta ist natürlich das Zugpferd und die Seele der Geschichte. Sie ist es, die das alles schon durchgemacht und verstanden hat. Es ist rührend zu sehen, wie sie alles hinter sich gelassen hat, aber nicht wirklich loslassen kann: einmal St. Pauli, immer St. Pauli. Aber auch Klaus Barkowksy muss auf eine gewisse Art und Weise sympathisch sein, ansonsten hätte er es gar nicht geschafft, sich in diesem Geschäft so zu etablieren. Dazu gehört ein gewisser Grad an Charme. Gleichzeitig war es mir wichtig, in den richtigen Momenten messerscharf zu werden und zu sagen: Das macht ihn noch viel gefährlicher.
Haben Sie eine Lieblingsszene?
Es gibt diesen einen Moment im Elbschlosskeller, als Andi am Automaten steht und sein gesamtes Geld verzockt. Da fallen dann solche Sätze wie „Ich schraub dich auseinander.“ Immer wenn dieser Hamburger Schnack und Humor durchkamen, wurde es mir warm ums Herz. Diese Szenen haben mir total Spaß gemacht.