Hamburg. Die Karriere des Geigers Augustin Hadelich startete rasant. Interview über Reife und Üben, Brettspiele und Selbstdisziplin.

Hört man sich nach gerade ganz tollen Geigern um, fällt der Name Augustin Hadelich noch nicht so häufig. Sollte er aber. Die Karriere des End-Dreißigers startete rasant, um sich für die weitere Entwicklung die notwendige Zeit zu nehmen. Demnächst ist er wieder in der Elbphilharmonie. Das Gesprächs-Leitmotiv: Reife.

Hamburger Abendblatt: Ihr Vater – ein Amateur-Cellist – war Ihr erster Geigenlehrer. War das besonders gut oder besonders schlecht? Die Ausrede „Aber sicher habe ich ganz viel geübt…!“ nutzt einem unter solchen Umständen ja nur wenig.

Augustin Hadelich: Unterricht von den Eltern hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist die Zeit, die er sich nahm, dass er beim Üben dabeisaß. Ein Nachteil: Er war kein Profi. Ich habe mit fünf Jahren begonnen. Als ich acht oder neun war, hat er mich zu anderen Lehrern mitgenommen.

Es lief dann meistens nicht so lange gut, weil es nach ein paar Unterrichtsstunden zum Streit zwischen meinem Vater und dem Lehrer kam. So hatte ich sehr viele, und auch sehr viele gute Lehrer. Inzwischen unterrichte ich auch selbst Jüngere, und wenn da die Mutter dabei ist, ist das total nervig. Damals war mir nicht klar, wie lästig das für den Lehrer ist.

Kann ein Stück im Laufe der Zeit für Sie auch „schlechter“ und umso uninteressanter werden, je öfter Sie es spielen?

Für mich ist Abwechslung im Konzertplan wichtig, damit es nie dazu kommt, dass ich mich langweile. Die Konzerte von Beethoven und Sibelius kann ich unendlich oft spielen. Bei anderen mache ich eine kleine Pause, bei Tschaikowsky und Dvorak beispielsweise; Stücke, die sich etwas spontaner entfalten.

Gibt es beim Üben etwas, das Sie – abgesehen vom Üben selbst – nervt? Oder nervt Sie nicht einmal das?

Üben macht mir eigentlich keinen Spaß; ich finde es komisch, wenn jemand das von sich behauptet. Da frage ich mich schon, ob dieses Üben wirklich produktiv ist. Eine leichte Falle, in die man beim Üben geraten kann, ist, dass man zu viel herumgeigt und nicht ganz zielgerichtet Dinge verbessert. Mir geht es eher darum, möglichst viel in kurzer Zeit zu erreichen, als möglichst viele Stunden zu üben.

Seit 2020 spielen Sie die „Le Duc“-Guarneri, die vorher auch schon Henryk Szering spielte. Was macht so ein Spitzen-Instrument mit einem Geiger wie Ihnen?

Man muss besser werden, weil das Instrument einen sonst sofort abstraft? Sie ist sehr anders als die Stradivari von 1723, die ich vorher spielte. Die war auch schön, aber ziemlich gnadenlos. Ich musste sehr hart auf ihr arbeiten, in jedem Konzert gab es ein Gefühl von Gefahr.

Wie ein wildes Pferd, das gleich durchgeht. Etwas zu viel Kraft und der Klang veränderte sich sofort, von einem schönen in einen ziemlich hässlichen, gepressten. Bei der Guarneri fühle ich mich viel freier, weil diese Geige etwas nachsichtiger ist. Man braucht viel mehr Kraftaufwand, man muss etwas mehr anschieben.

Der Satz „So eine Geige spielt sich von allein“ ist also bei beiden blöd?

Der trifft bei beiden nicht zu. Hart zu arbeiten ist bei der Stradivari leichter, weil es am Ohr so unbefriedigend klingt und im Saal besser. Das spornt mich sehr an.

Es gibt also diese zwei Glaubensrichtungen, Stradivari oder Guarneri, und das ist wie mit der Frage Beatles oder Stones? Sie aber haben gewechselt.

Ja, die Guarneris, die ich ausprobiert früher hatte, fand ich nicht so aufregend. Immer der gleiche schöne Klang, die ganze Zeit.

Gardner bändigt seine Musiker, der Moderator die Zuhörer


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  • Betrübt es Sie, dass Sie wahrscheinlich ein „besserer“ Geiger sind als, sagen wir mal: André Rieu oder David Garrett – aber eindeutig weniger bekannt?

    Es gibt immer jemand, der bekannter ist. Das ist nicht unbedingt das Ziel. Und natürlich freut es mich, wenn der Saal voll ist. Ich freue mich, wenn ich viel zu tun habe, es geht in erster Linie um diejenigen, die in meinen Konzerten sind.

    Sie haben in New York an der Juilliard School studiert, einer berühmten Kaderschmiede. Waren das hunderte beste Freunde oder eine ganze Hochschule voller Konkurrenz?

    Das kommt auf die eigene Einstellung an. Ich bin dort nicht mit einer Konkurrenzmentalität hingegangen, das wäre deprimierend. Es waren schon viele gute Geigerinnen und Geiger dort, durchgängig über 100 – sehr, sehr gute, normalere und manchmal auch welche, die aus sehr wohlhabenden Verhältnissen kommen und die sehr hohen Studiengebühren ohne Stipendium zahlen. Dass alle dort wie Heifetz spielen, ist nicht der Fall.

    Ich fragte auch, weil Sie 2006 in Indianapolis nicht nur einen wichtigen Wettbewerb, sondern auch gleich sieben Spezialpreise gewonnen haben. Über Sie wurde geschrieben, Sie seien „der Mann mit dem vielleicht schönsten Geigenton“. Mir würde es schwerfallen, danach noch die Bodenhaftung zu behalten. Müssen Sie sich zwingen, nicht zu glauben, was Sie so über sich lesen?

    Man muss schon auch eine gute Meinung über sich haben und zu sich stehen – sich aber auch nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Ich hatte immer gute Mentoren und wusste, dass der eigentliche Wettbewerb nach dem Wettbewerb kommt.

    Auf einer Skala von Eins bis Zehn, wo sind Sie Ihrer Meinung nach: als Pianist?

    Ich bin kein Profi und hatte in meiner Jugend auch kein Klavierunterricht, aber es ist ein Instrument, dass man bis zu einem gewissen Grad auch selbst lernen kann. Es gibt aber vieles, was ich technisch nicht kann. Eine Fünf oder Sechs gebe ich mir.

    Als Koch?

    Eins oder Null.

    Sie sind begeisterter Brettspiel-Spieler, also: beim Monopoly?

    Das habe ich schon seit Jahren nicht gespielt, aber es gibt viele andere: Agricola, Taverna… eine Fünf oder Sechs.

    Als Geiger?

    Da sollte ich mich lieber nicht selbst bewerten, aber das Ziel ist natürlich Elf oder Zwölf.

    Würden Sie Ihre jetzige Geige auch blind erkennen, wenn Sie jemand anderes spielt?

    Blind erkennen? Da bin ich mir nicht sicher. Der größte Faktor ist ja nicht die Geige, sondern der Geiger. Aber wenn ich sie blind spielen würde, würde ich sie wahrscheinlich wiedererkennen, weil ich das Spielgefühl kenne und so nah mit dem Ohr dran bin.

    Der Geiger Pekka Kuusisto macht gern Liegestütze vor Auftritten, um die Betriebstemperatur zu erreichen. Welche Notwendigkeiten und Rituale haben Sie?

    Genug Ruhe, sorgfältiges Einspielen. Die Liegestütze verstehe ich. Nervosität hängt ja auch damit zusammen, dass zu viel Energie im Körper ist und man versucht, sie rauszulassen, damit man ruhiger ist. Aber das hat bei mir nie funktioniert.

    Sie müssen es ja beurteilen können: Welches Violinkonzert ist nun wirklich überschätzt?

    Von den ganz großen keines. Es gibt aber einige, die ich nicht spiele und andere Geiger, die sie wahnsinnig lieben und besser spielen. So geht es mir mit dem Korngold-Konzert, und vielleicht auch mit Vaughan Williams‘ „The Lark Ascending“.

    Julia Fischer hat kürzlich in der Elbphilharmonie das Mendelssohn-Violinkonzert mit der Staatskapelle Dresden gespielt und sich danach zum Mitmachen bei der „Schottischen“ Sinfonie in die Ersten Geigen gesetzt. Fehlt Ihnen als Solo-Künstler dieses Tutti-Gefühl?

    Als ich mit Julia auf einer Tournee mit Doppelkonzerten war, habe ich das einige Male gemacht, und es hat auch Spaß gemacht. Aber wenn ich mich mit einem Konzert verausgabt habe, ist es auch schön, den Anzug aufzuhängen, fertig zu sein und mir den Rest aus dem Publikum heraus anzuhören. Und so einfach ist dieses Mitspielen auch nicht.

    Sie haben mit 13 in Dresden ein Konzert gegeben, bei dem der große Geiger Yehudi Menuhin dirigierte. Wie war das da mit der Nervosität?

    Ich habe ihm schon mit neun vorgespielt, dann später nochmal. Er war ein sehr großzügiger und lieber Mensch, man musste keine Angst vor ihm haben. Als Kind war ich eigentlich nie nervös. Das fing mit 15, 16 an, weil ich mir selbst im Konzert zusah und zuhörte. Nervös bin ich immer noch, doch eigentlich genieße ich das Gefühl. Es hat aber Jahre gebraucht, bis ich an diesem Punkt war.

    In unserem Archiv fand ich etwas über ein Konzert mit Ihnen, anno 1996, die Überschrift war passenderweise „Sympathisches Wunderkind“: „Beim Weihnachtskonzert der Hamburger Camerata in der Großen Musikhalle spielte der zwölfjährige Augustin Hadelich Mozarts Violinkonzert Nr. 4 D-Dur, und schon nach wenigen Takten war klar, dass sich hier ein singuläres Talent äußerte. Mit konzentrierter Ernsthaftigkeit und der Selbstverständlichkeit eines routinierten Virtuosen attackierte der sympathische Knirps die Saiten seines Instruments.“ So. Ab da war die Weltkarriere vorprogrammiert. Erinnern Sie sich noch?

    Ich erinnere mich gut an die Camerata und an Max Pommer, wir haben mehrmals miteinander gespielt. Schöne Erfahrungen. Mittlerweile ist „Wunderkind“ gar kein so großes Thema mehr, man stellt sie auch nicht mehr sofort vor die Berliner Philharmoniker.

    Haben Ihre Eltern damals alles stolz aufgehoben, jedes Programmheft, jede Kritik, in Alben geklebt?

    Irgendwo gibt es einen Ordner… All das war schon sehr aufregend, aber im Mittelpunkt stand die langfristige Entwicklung, die Frage: Was kommt als nächstes? Und wenn man als Kind sehr oft auftritt, kommen irgendwann Jüngere, auf die sich dann alle stürzen. Als ich erwachsen wurde, wurde ich mit allen verglichen, aus allen Generationen.

    Die NZZ schrieb über den erwachsenen Hadelich: „Sein Anspruch an sich selbst ist so hoch, dass man meint, er müsse darunter leiden.“ Das klingt zwiespältig, nach Druck nicht nur von außen.

    Das war wohl eher der Eindruck des Autors. Ich habe mittlerweile eine relativ gesunde Einstellung dazu. Es muss auch Phasen geben, in denen man mit sich und dem eigenen Können unzufrieden ist. Sonst kann man diese Selbstdisziplin nicht aufbringen. Gut genug ist eben nicht gut genug.

    Hadelich-Auftritte in der Elbphilharmonie: 19. / 20.5. mit dem Beethoven-Konzert, dem NDR Elbphilharmonie Orchester und Alan Gilbert. Aufnahme: „Recuerdos“ Musik von Prokofiew, Sarasate, Britten und Tarrega (Warner Classics, CD ca. 17 Euro)