Hamburg. Omer Meir Wellber und Augustin Hadelich zu Gast beim NDR Elbphilharmonie Orchester: ein „ehrlich anderes“ Konzert.

Brittens Violinkonzert, im Schicksalsjahr 1939 geschrieben, ist nichts für Angeber, nichts für blendende Saitenakrobatik. Ein sonderbare, unhandliche, gerade deswegen faszinierende Angelegenheit; oft knapp neben jener Spur, die man von einem Stück aus der Urururenkel-Generation des Beethoven-Ideals erwarten würde. Das will nicht überwältigen, das soll packen und nicht wieder loslassen, bis zum letzten Ton. Feuerwerk? Fehlanzeige.

Für diese durchdachte Intensität ist der Geiger Augustin Hadelich, der es mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester ins Rampenlicht des Großen Saals brachte, eine ideale Wahl. Hadelichs Ton ist nicht satt und mächtig, sondern eher, ein schöner Widerspruch in sich, zurückhaltend und anziehend zugleich.

Die Gratwanderung, das Ausbalancieren des Solo-Parts mit der Begleitung, das Sicharrangierenwollen mit den gedeckteren Farben und der gedrückten Grundstimmung – all das liegt Hadelich, er erzählte die nur oberflächlich spröde Dramatik mit empathischer Eindringlichkeit, immer darauf verweisend, dass die eigentlichen Absichten andere Gefühlswelten enthüllen, mit Musik, die zweifelt, sucht und fragt. Und sehr uneindeutig endet.

Elbphilharmonie: Omer Meir Wellber und Augustin Hadelich zu Gast

Ohne einen Dirigenten, der offen ist für derartige Mutproben, ginge es nicht. Hier aber ging es bestens. Denn auch NDR-Gastdirigent Omer Meir Wellber ist kein Freund einfacher Wahrheiten. Er ermöglichte es dem Orchester, Vergnügen daran zu empfinden, sich bis aufs Nötigste zurückzuhalten, die seltenen Momente der sportiven Leichtigkeit nicht zu übertreiben und die serenadigen Abschnitte behutsam auszuleuchten. Immer eine Spur weniger offensiv, als es ginge. Clever gemacht. Und mit seiner Zugabe, dem Andante aus der 2. Bach-Sonate, zeigte Hadelich, dass er auch ohne Tutti im Nacken einen Saal beglückend mit Musik füllen kann.

Beethoven kam zeitlebens nie, wie er es 1821 in einem Brief fantasierte, bis nach Jerusalem, noch nicht mal bis ans Mittelmeer. Doch die israelische Komponistin Ella Milch-Sheriff hat 2019 aus diesem Gedanken ihr Was-wäre-wenn-Melodram „Der ewige Fremde“ gesponnen, in dem orientalische Anmutungen und ein sehr poetischer Text (gesprochen und verkörpert von Eli Danker) auf eine gedankliche Wanderschaft mitnehmen. Interessanter wurde es allerdings, weil der letzte Satz „Ein Mann beobachtet Menschen an einem fremden Ort“ mitsamt der Musik fließend in den Anfang von Beethovens Vierter überleitete.

NDR Elbphilharmonie Orchester: Mutproben und Glücksmomente

Wie es begann, so ging es weiter: Meir Wellber nahm sich viele, erstaunlich gut funktionierende Freiheiten heraus. Insbesondere im Kopfsatz bremste und beschleunigte er großzügig, wo immer es ihm gefiel, und das Orchester gehorchte so geschmeidig, als würde er alles mit einer Servo-Lenkung steuern. Lieber eine Partitur-Vorgabe ignorieren als die Chance auf einen kleinen Glücks-Moment verschwenden.

So wurde aus der strikt reglementierten sinfonischen Struktur ein liebenswertes, sinnliches Schöne-Stellen-Sammelalbum, tänzerisch leicht, immer von einem nach vorn drängenden Grundpuls getrieben. Man könnte das glatt „respektlos“ nennen. „Ehrlich anders“ wäre aber passender.

Das Konzert wird am 17.12. um 19.30 Uhr in der Lübecker Musik- und Kongresshalle und am 19.12. um 11 Uhr in Hamburg wiederholt. Karten: www.elbphilharmonie.de. Aufnahme: J.S. Bach „Sonaten & Partiten“ Augustin Hadelich (Warner Classics, 2 CDs, ca. 16 Euro)