Hamburg. Lebhafte Debatte zur Medienkrise im Hamburger Presseclub. Kultursenator Brosda kritisiert Werbeverbotsideen von Özdemir scharf.
RTL zerschlägt Gruner + Jahr; der Axel-Springer-Verlag plant bei seinen Marken „Bild“ und „Welt“ einen Stellenabbau, und die öffentlich-rechtlichen Sender stecken in Schwierigkeiten. Seit bald einem Vierteljahrhundert befinden sich die Medien im permanenten Krisenmodus – ein Teil der Krise ist hausgemacht, ein beträchtlicher Teil aber von außen verursacht. Hamburg als traditionsreiche Medienhauptstadt trifft diese Entwicklung besonders hart.
Medienkrise: Kultursenator nennt Werbeverbote „dumm“
Auf Einladung des Allgemeinen Hamburger Presseclubs diskutierten am Dienstag vier Experten in der Design-Agentur vonschmidt im Oberhafenquartier über die Zukunft. Und dabei ging es schnell zur Sache. Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda (SPD) kritisierte dabei scharf die „Nonchalance“ des grünen Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir, der überraschend ein Werbeverbot für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt plant.
Brosda forderte ein gemeinsames Interesse am Funktionieren des Gemeinwesens, der Res Publica, ein. Als Medienpolitiker habe er die Refinanzierungsmodelle im Blick und nannte Werbeverbote „dumm“: „Ich halte es nicht für schlau, wenn man etwas Gutes will, eine Spur der Verwüstung zu hinterlassen.“ Angesichts der schwierigen Situation vieler Medien dürfe man die Krise nicht noch politisch verstärken.
Hochschullehrer: Medien haben Digitalisierung verschlafen
Dass die Lage ernst ist, daran bestand kein Zweifel in der Runde. Nur die Ursachen schätzten die Experten unterschiedlich ein. Christian Stöcker, Leiter des Studiengangs Digitale Kommunikation an der HAW, gab den Medien eine Mitschuld an der Situation: „Seit 15 Jahren diskutieren wir die Digitalisierung und jetzt sind alle überrascht“, sagte er.
Der Journalismus habe sich zu lange darauf verlassen, dass das Geschäft weiter funktioniere. Er zog den Vergleich zum Fotomarktführer Kodak, der wegen der Digitalisierung 2012 in die Insolvenz rutschte.
Burda-Vorstand von Regierung enttäuscht
Diesen Vorwurf wies Philipp Welte, Vorstand der Hubert Burda Media und Vorstandsvorsitzender des Medienverbands der freien Presse, klar zurück. Er verwies beispielsweise auf die Entwicklung der eigenen Suchmaschine Cliqz, die trotz hoher Datenschutzstandards und sehr guter Funktionen floppte.
„In Berlin spüren wir ein maximales Desinteresse“, kritisierte er die Politik der vergangenen Jahre. „Als wir dort unsere Suchmaschine vorgestellt haben, sagte die Bundesregierung, wir haben doch Google.“ 2020 verabschiedete sich Burda von Cliqz.
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Nun habe sich die Krise verschärft. „Die digitale Transformation kostet Geld. Doch jetzt bringen und die hohen Energie- und Papierpreise an die Grenze.“ Viele Verlegerfamilien engagierten sich außerordentlich, auch deshalb gebe es hierzulande noch eine einzigartige Medienvielfalt.
Gruner + Jahr ist ein „Alarmsignal an die Politik“
Die Entwicklung bei Gruner + Jahr, die bis zu 1000 Beschäftigten ihren Job und 23 Magazinen die Existenz kosten kann, nannte er ein „Alarmsignal an die Politik“. Es gehe inzwischen um das Überleben des freien Journalismus. „Das ist keine Selbstverständlichkeit. Auch die Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit – wenn wir dafür nicht mehr aufstehen, stirbt sie.“
Meinolf Ellers von dpa Online und dem Next Media Accelerator sieht Fehler in der Branche. „Den Zustand haben wir kommen sehen – der Journalismus muss sich transformieren“, sagte er. Das sei einigen besser gelungen als anderen. Vorbildlich sei die Financial Times Deutschland (FTD) gewesen, die schon vor 20 Jahren mit Newslettern, Push-Nachrichten, Mobile Services und einer intelligenten Website voll auf Digitalisierung gesetzt habe.
„Da hat die FTD eine Transformationselite geschaffen.“ Ende 2012 stellte Gruner + Jahr die Zeitung ein. Ellers warnte die Branche davor, zu sehr Moll-Töne anzuschlagen. Der Erfolg der Online Marketing Rockstars zeige die Möglichkeiten der Digitalisierung. „Transformation kann gelingen. Wir können nicht an den analogen Modellen festhalten.“
Finanzierung von Journalismus wird schwieriger
Wie Transformation gelingen kann, war eine der zentralen Fragen des Abends, den 80 Zuschauer interessiert verfolgten. Brosda brachte es auf den Punkt: „Wir sehen zwei gegenläufige Tendenzen. Der Journalismus ist so zugänglich wie nie, weil die Digitalisierung ganz neue Möglichkeiten bietet. Aber das klassische Geschäftsmodell ist zerbrochen. Journalismus kann sich nur selten aus sich selbst heraus finanzieren.“
Jetzt stehe man an der Kante. Leider sinke in Zeiten fallender Renditen auch die Bereitschaft der Unternehmen, Journalismus zu wagen. Darin sieht der Senator die Gefahr. „Es gibt eine gesellschaftliche Bedeutung jenseits der ökonomischen Bedeutung. Wir müssen Unternehmer finden, die auch mit niedrigeren Renditen zufrieden sind.“
„Für die Zukunft der Demokratie ist Schöner Wohnen nicht entscheidend.“
„Journalismus wird in zehn Jahren kleiner sein als heute, es wird mehr wegfallen, aber es wird noch guten Journalismus geben“, prophezeite Stöcker. Die Konkurrenz durch Künstliche Intelligenz werde den Wettbewerb zusätzlich anheizen. Stöcker will die Entwicklung nicht dramatisieren: „Für die Zukunft der Demokratie ist Schöner Wohnen nicht entscheidend.“
Verlagsmanager Welte sah das naturgemäß anders. „Journalismus hat eine hohe Relevanz für die Gesellschaft. Er steht für Meinungsfreiheit und Wahrhaftigkeit“. Er trage als vierte Gewalt zum Gelingen des demokratischen Zusammenlebens bei.
„Mit jeder Evolutionsstufe der Digitalisierung ist der Journalismus mehr gefährdet.“ Auf die Frage, ob es Journalismus noch in zehn Jahren gebe, antwortete Welte so ehrlich wie vage: „Es kann sein.“