Hamburg. Acht Jahre nach seinem Tod steht der Star mit dem Album „da capo“ an der Charts-Spitze. In Hamburg spielte er so oft wie nirgendwo.
Die Besten gehen oft zu früh. Diese bittere Erkenntnis herrschte, als sich am 21. Dezember 2014 die Nachricht vom Tod Udo Jürgens’ verbreitete. Der Komponist, Sänger und Entertainer war bei einem Spaziergang in seiner Schweizer Wahlheimat plötzlich an Herzversagen gestorben – drei Wochen, nachdem er auf seiner „Mitten im Leben“-Tournee 10.000 Menschen in der Hamburger O2 World, der heutigen Barclays Arena, begeistert hatte. Der Auftritt am 29. November sollte sein letztes Deutschland-Konzert sein. Nun begegnet er einem plötzlich wieder in den Charts.
Nach Hamburg war Udo Jürgens immer wieder gern gekommen – er nannte die Hansestadt einmal seine „zweite Heimat“. In keiner anderen Stadt gab Jürgens so viele Konzerte wie hier, mehr als 150 waren es im Laufe seines 80-jährigen ereignisreichen Lebens. Der 1934 als Udo Jürgen Bockelmann im österreichischen Klagenfurt geborene und am dortigen Konservatorium ausgebildete Musiker fühlte sich Hamburg auch aus familiären Gründen verbunden: Seine Mutter Käthe, eine geborene Arp, stammte aus Prasdorf im Kreis Plön, und sein Vater Rudolf Bockelmann brachte seine Familie in den Kriegsjahren 1943/44 auf dem Familiengut Barendorf bei Lüneburg in Sicherheit. Dort lernte der kleine Udo mit den abstehenden Ohren auch selbst das Klavierspielen.
Udo Jürgens trat in Hamburg erstmals im Bademantel auf
Hamburg war für Jürgens stets Anlaufpunkt, für seine große Bühnenkarriere als Entertainer sogar ein entscheidender Ort mit der „Geburtsstunde“ seines Markenzeichens. Auf seiner ersten Tournee 1967 unter dem Titel „Udo Jürgens singt seine Welterfolge“ gastierte der Grand-Prix-Sieger des Vorjahres (mit dem internationalen Hit „Merci, Chérie“) am 4. Oktober in der Musikhalle, wie die Laeiszhalle damals noch hieß.
Der Große Saal war mit 2000 Menschen ausverkauft. Eine Viertelstunde nach Konzertende riefen weibliche Fans immer noch nach Zugaben. Sein damaliger Manager Hans R. Beierlein und der Hamburger Konzertveranstalter Hans-Werner Funke (heute 84) beknieten ihn: „Udo, du musst noch mal raus!!“ Jürgens ging, so wie er war, noch einmal auf die Bühne. Im weißen Bademantel.
Bei den folgenden Auftritten blieb dieser zunächst in der Garderobe. Spätestens mit der zehnmonatigen „Udo 70“-Tour durch 153 Städte und mit 266 Konzerten und unzähligen weiteren schweißtreibenden Auftritten in den Jahren danach kam das weiße Frottee immer wieder bei Zugaben zum Einsatz. Für Udo Jürgens war es das Symbol äußerster Verausgabung für sein Publikum.
Udo Jürgens' Familie von erneutem Charterfolg überwältigt
„Man teilte ihn mit den Fans, auch wenn die damals wahrscheinlich mehr von ihm gehabt hatten“, sagte Jenny Jürgens (55) nun im ZDF. Weil die eheliche Tochter, von Beruf Schauspielerin und Fotografin, ebenso wie ihr Bruder John (58) alias DJ John Munich selbst Fans der vielfältigen Musik des Vaters waren, haben die Geschwister als Gesellschafter der Udo Jürgens Master AG Zürich mithilfe von Sony Music Mitte Dezember eine Compilation mit 61 teils bisher unveröffentlichten Songs des Ausnahmemusikers als 3er-CD-Box herausgebracht.
Dass „da capo, Udo Jürgens – Stationen einer Weltkarriere“ vor Weihnachten in den GfK-Album-Charts auf Nummer eins einstieg, überwältigte Jürgens’ Kinder. „Für uns war und ist er immer die Nummer eins. Wir sind voller Freude und Dankbarkeit, dass unser Vater und seine unvergessliche Musik in den Herzen der Menschen weiterlebt“, taten Jenny und John kund.
In der Tat zeigt „da capo“, dass Udo Jürgens, der sich manchmal selbst „Schlagerfuzzi“ nannte, seine Anfänge im Jazz hatte und wie viele zeitlos gute Stücke er geschrieben hat. Mit der Veröffentlichung, die bewusst kein Best-of-Album ist, lässt sich dem Künstler beim Hören noch mal neu nahekommen. Etwa auf der dritten CD mit seinen ersten Live-Aufnahmen wie „All Of Me“ mit Combo von 1957 oder als Solist live bei „Wien“ 2001 in der dortigen Staatsoper. So bleibt die Erinnerung an einen Künstler, der stets bereit war, musikalisch zu neuen Ufern aufzubrechen und doch oft auch ein Getriebener war.
Zu Uwe Seelers Abschied trat Udo Jürgens als Letzter auf
„Ich habe ihn gemeinsam mit Hans Rudolf Beierlein zum Star gemacht“, sagte Konzertmacher Funke, von 1967 bis 1975 als Tourneeveranstalter für Jürgens, bei der Geburtstagsgala zu Udos 75. Die fand – fürs ZDF aufgezeichnet – selbstredend in Hamburg statt, im Operettenhaus. Hier hatte 2007 im Beisein des Künstlers auch das Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“ seine Uraufführung gefeiert. Aus dem Titellied von 1982 wurde ein Stück mit 23 Liedern aus seiner Feder. Fast vergessen: Bereits das von Jürgens geschriebene Musical „Helden, Helden“ hatte 1974 am Operettenhaus deutsche Erstaufführung gefeiert.
Hamburg, immer wieder Hamburg. Ob in der Musikhalle, im alten Saal 1 des CCH am Dammtor oder zuletzt mehrmals in der Arena am Volkspark, mit dem obligatorischen Kamillentee auf dem Flügel und dem Bademantel bei der Zugabe dauerten Jürgens’ Konzerte zwei Stunden und mehr. Er kam – auch zu besonderen Anlässen. Am 1. Mai 1972 beim Bankett im Hotel Atlantic nach dem Abschiedsspiel für Fußball-Idol Uwe Seeler trat Udo Jürgens nach Mitternacht als Letzter auf. Kurzerhand und dem Anlass entsprechend textete er sein Lied „Vergiss die Liebe nicht“ um zu „Vergiss den Uwe nicht“.
Lange Hamburger Signierstunde mit Udo Jürgens
Geschichten und Geschichte. Die Präsentation seines biografisch geprägten und später auch verfilmten Romans „Der Mann mit dem Fagott“ hielt Udo Jürgens 2004 ebenfalls in der Musikhalle ab. Die gut eineinhalbstündige Lesung mit Co-Autorin Michaela Moritz über Jürgens’ Familiengeschichte, sein Leben und die großen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts in Europa bekam im ausverkauften Kleinen Saal fast so viel Applaus wie ein Konzert.
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Und die Signierstunde dauerte an jenem 21. September fast genauso lange, erinnert sich eine ältere Hamburgerin, die damals mit in der langen Schlange ausharrte und für sich und eine Freundin gleich zwei Exemplare mit Widmung erstand. Der Künstler nahm sich Zeit für Alt und Jung.
Udo Jürgens' Texter ist Wahlhamburger
Rund 1000 Lieder hat Udo Jürgens komponiert, mehr als 50 Alben und mehr als 105 Millionen Tonträger veröffentlicht. „Siebzehn Jahr, blondes Haar“ wurde 1965 zum Titel eines deutsch-italienischen Kinofilms. „Griechischer Wein“ war 1975 der deutsche Hit des Jahres. Der griechische Ministerpräsident Karamanlis empfing Jürgens und Textdichter Michael Kunze, einen Wahlhamburger, zum Dank sogar in Athen. Die genannten Hits sind auf Teil zwei von „da capo“ diesmal auf Englisch zu hören. Klingt auch.
Manfred Bockelmann (heute 79) hatte Udo mit seinem Lied „Mein Bruder ist ein Maler“ schon 1977 ein musikalisches Denkmal gesetzt. Bockelmann hat auf dem Wiener Zentralfriedhof auch Udo Jürgens’ Grabstein gestaltet. Es ist ein Klavier. Wohl doch besser als ein Mantel.