Hamburg. Klein, aber großartig: Alan Gilbert dirigierte im „Visions“-Finale Musik von Esa-Pekka Salonen und John Adams in der Elbphilharmonie.

Ein geradezu klassisches Happy End nach anderthalb Wochen und zehn Konzertprogrammen abseits des Handelsüblichen: Riesenapplaus, von einem Publikum, das sich deutlich von der bekannten Stammkundschaft für zeitgenössische Musik unterschied. Für die Zielgerade hatte man sich bei der Planung des „Visions“-Festivals gezielt zwei ganz Populäre als Publikumsmagnetchen zurückgelegt: den Finnen Esa-Pekka Salonen, als Komponist wie als Dirigent ein smarter Charmeur mit raffinierter Stil-Vielfalt in seiner Handschrift.

Und als ergänzenden Kontrast den US-Amerikaner John Adams, dessen Musik immer vielschichtiger und im besten Sinne radikaler und freier wird. Alan Gilberts Faible für die komplex ausgereizte „Anything goes“-Mentalität der beiden machte diesen Abend im Großen Saal der Elbphilharmonie zu einem rasanten Abschluss auf hohem Niveau. Im Februar 2025 soll es mit der nächsten Runde dieser Biennale weitergehen.

„Visions“ in der Elbphilharmonie übertrifft Erwartungen

Auch ihre Bilanz an der Kasse ist ordentlich: Knapp 12.600 Besucher wollten dabei gewesen sein, eine durchschnittliche Auslastung von 75 Prozent kam zusammen, 48 Prozent der Kartenkäufer waren Neukunden.

Generalintendant Christoph Lieben-Seutter sagte: „Das Festival hat nachdrücklich die Aktualität und Attraktivität zeitgenössischer Musik vor Augen geführt. Das künstlerische Niveau war herausragend. Wir hatten die große Hoffnung, mit diesem Festival auch neue Zuhörer für ungewöhnliche Klänge zu begeistern. Ich freue mich deshalb sehr über die vielen Neugierigen, die zum ersten Mal in der Elbphilharmonie waren und zur fantastischen Stimmung bei den Konzerten beigetragen haben. Die positiven Reaktionen von Publikum und Künstlern haben unsere Erwartungen sogar noch übertroffen."

„Visions“-Finale: Salonen als handliches Vorspiel zu Adams’ Sheherazade

Als handliches Vorspiel zum großformatigen Reißer des letzten Abends präsentierte das Elphier-Quartett, formiert aus Mitgliedern von Gilberts NDR-Orchester, Salonens „Homunculus“-Streichquartett. Gemein schwer und bestechend klar strukturiert, faszinierend Haken schlagend und hochtourig, in seiner vertrackten Verspieltheit aber eingängig genug, um so auch jene Zuhörerinnen und Zuhörer zu packen, die sich ansonsten nicht regelmäßig durch Uraufführungen oder Höchstneues hören mögen.

Politisch hochaktuell und mit brisanter, anklagender, mitfühlender Bedeutung aufgeladen, ist Adams’ „Sheherazade.2“ weit mehr als nur eine mit Höchstschwierigkeiten zutapezierte Sinfonie mit Solo-Violine. Ein Stück, das sich zustimmend auf die „1001 Nacht“-Verklärung dieser Märchenheldin durch Rimsky-Korsakows verniedlichende Tondichtung bezieht, ist es schon gleich gar nicht.

Sheherazade ist der Ultraman-Lauf unter den Violinkonzerten

Diese Sheherazade wehrt sich mit aller Vehemenz, gegen Unterdrückung und Einengung, in einem der vier Abschnitte gegen die „Verfolgung durch die wahren Glaubenden“, in einem anderen durch „die Männer mit Bärten“. Adams hat es für Leila Josefowicz komponiert, sie hat es 2015 mit Gilbert in New York aus der Taufe gehoben. Ideale Voraussetzungen geradezu also für diese funkensprühende Wieder-Auseinandersetzung.

Dieser Viersätzer ist so etwas wie der Ultraman-Lauf unter den aktuellen Violinkonzerten, eine furchtlosere, weniger selbstsichere Solistin als Josefowicz würde unter dem enormen Druck, den das Stück 45 Minuten lang erbarmungslos ausübt, wahrscheinlich schnell kollabieren. Sie aber fiel und spielte sich mühelos, mit vollem Körpereinsatz von einem Extrem ins andere, eben noch lange lyrische Linien ausbreitend, dann aber mit harschen Akzenten und kräftig zulangender Intensität nach vorn drängend. So zog sie das Tutti mit – oder trieb es vor sich her.

Die Herausforderung, bei derart viel Tempo, so viel Reibung und Drama in der Spur zu bleiben, reizte offenkundig auch das NDR-Orchester, das sich keineswegs einschüchtern ließ, sondern alle Wendungen geschmeidig mitmachte. Und Gilbert musste man ohnehin nicht von Adams’ Qualität überzeugen.