Hamburg. Mit „Ensemble“ beendet Choreografin Jenny Beyer auf Kampnagel ihre „Trilogie der Begegnung“. Ein starker Abend.

Das „Ensemble“ ist schon da. Man betritt die Kampnagel-Halle durch die Hintertür, während auf der Bühne längst getanzt wird, nicht koordiniert, aber immerhin: Rosalías „Saoko“ dröhnt ohrenbetäubend aus den Boxen, acht Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich einzeln, immer wieder schälen sich Strukturen heraus, Israel Akpan Sunday und Nina Wollny suchen den Kontakt, ein angedeuteter Pas de deux, kurz aufscheinende Intimität, dann lösen sich die Bilder wieder auf, verschwinden im Beat und in der Gruppe.

Jenny Beyer beendet mit „Ensemble“ ihre „Trilogie der Begegnung“. Nach dem Solo in „Début“ (2019) und dem Pas de deux in „Deux“ (2021) geht es jetzt um das Corps de Ballet, die Gruppe, die im klassischen Ballett als großer Gleichmacher fungiert, und die bei Beyer de- und rekonstruiert wird. Ein Körper, der aus Individuen besteht, die als Einzelpersonen kenntlich bleiben.

Kampnagel: Abstrakte Ästhetik und Nähe zum klassischen Ballett

Manchmal entwickeln sich kurze Gruppenchoreografien aus der Bewegung heraus, synchrone Figuren, die ihre Wurzeln im klassischen Ballett haben, aber das sind zeitlich begrenzte Passagen, die das Ensemble nicht in ein vorgegebenes Muster zwängen. Was verstärkt wird durch die bewusst diverse Zusammensetzung: Menschen, die dünn sein können oder muskulöser, die geschlechtlich eindeutig zuordenbar sein können oder nicht binär, die unterschiedliche Hautfarben haben können. Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit, die kurz eine Einheit bilden, im Rhythmus und in der Bewegung.

Unter den zentralen Protagonistinnen der freien Hamburger Tanzszene war Beyer immer schon diejenige mit der abstraktesten Ästhetik, auch diejenige mit der größten Nähe zum klassischen Ballett. Diesen Ansatz treibt „Ensemble“ auf die Spitze, umgeht dabei aber geschickt die Gefahr intellektueller Sprödigkeit: indem immer klar ist, dass es hier um echte Körper geht.

Kampnagel: Ballett – und plötzlich möchte man selbst tanzen

Um Körper, die schnaufen und schwitzen, deren Fußsohlen auf den Boden klatschen. Das Ballett mag ätherische Luftwesen als Ideal haben, Bayer aber zeigt Fleisch und was dieses Fleisch so machen kann. Und plötzlich möchte man selbst tanzen, in dieser reizend tanzkritischen Choreografie. Gegen Ende wird eine Zuschauerin von Chris Leuenberger auf die Bühne gebeten, und, ja, sie scheint sich wohlzufühlen.

Der Abend ist vom Ansatz her ein Nachdenken über die (Zwangs-)Strukturen der Ballettkonvention, aber er ist auch humorvoll und sinnlich, er freut sich über die Körperlichkeit, er reißt mit, mit seinem Spiel mit dem Unfertigen. Und er zeigt damit: Die Choreografin steht Solo, Pas de deux und Corps de Ballet kritisch gegenüber, aber in dieser Kritik steckt vor allem tief empfundene Liebe.

„Ensemble“ bis So, 21.1., 19.30, Kampnagel (Jarrestraße 20), Tickets unter 27094949 und unter www.kampnagel.de