Hamburg. Der Tenor und das Orchestra of the Age of Enlightenment in der Laeiszhalle: Da hätte viel mehr draus werden können.
Es brauchte erstaunliche, geradezu ermüdende sieben Arien und sechs Orchester-Portionen, bis dieses Konzert, auf seinen allerletzten Metern erst, doch tatsächlich in Schwung kam und seinem programmatischen Anspruch auch nur annähernd gerecht wurde: „Around The World in Song“. In seinen Londoner Opern-Jahren, die hier querschnittartig das Leitmotiv waren, war Händel als Hit-Lieferant mal krachend scheiternder Pleitier, mal der Paul McCartney des Spätbarock. Doch erst bei einem dieser Seelentröster, dem „Scherza infida“ aus „Ariodante“, vermittelten der Tenor Ian Bostridge und das Orchestra of the Age of Enlightenment im Großen Saal der Laeiszhalle die herzergreifende Zeitlosigkeit und die emotionale Unmittelbarkeit dieser Musik. Wen diese Ballade nicht rührt, der braucht einen Termin beim nächstgelegenen Kardiologen.
Bostridge, als überaus smarter, intelligenter Tenor vom Fach eine Instanz als Lied-Sänger im Repertoire späterer Jahrhunderte, lieferte nicht nur, wie in den knapp zwei Stunden davor, die Texte und das Material cool ab, so involviert wie nötig. Er befragte und hinterfrage und inszenierte die Anklage eines Betrogenen; er sah und sang tatsächlich in diesen Abgrund, machte dramatische Pausen, riskierte unschöne Momente und raute den Verlauf dieser Anklage mit den Andeutungen einer Bühnen-Persönlichkeit auf. Bostridge litt singend mit und zeigte einen Menschen, der sich, in Noten gebracht, verzweifelt fragte: Warum ich?
Ian Bostridge und das Orchestra of the Age of Enlightment: Lauwarmes in der Laeiszhalle
Auch das historisch durchaus informierte Originalklang-Orchesterchen, vom Cembalo aus durch Steven Devine eher pragmatisch geruhsam statt funkenschlagend und exaltiert geleitet, kam dort in Wallung und begleitete ganz dich an dieser Stimme entlang, nachdem alle gemeinsam zuvor eher gewirkt hatten, als würde man nur seelenruhig auf den 16:50 nach Paddington warten und sich den Feierabend mit solider Musik vertreiben.
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Zum vorwiegend lauwarmen Verlauf dieses Abends trug allerdings auch bei, dass die Auswahl der Arien und der Instrumental-Kostproben bedingt sensationell war. Theatral aufgeladen, um die fehlende Bühne auch nur ansatzweise zu ersetzen, war wenig. Es händelte so vor sich hin, immer mindestens sehr ordentlich, aber fast immer auch lediglich mittelspannend. Die Entscheidung, neben dem Deutsch-Engländer Händel selbst auch den eine Generation jüngeren und deutlich unbekannteren Deutsch-Franzosen Georg Muffat mit zwei Orchester-Sonatensätzen ins Rampenlicht zu stellen, war löblich, aber nicht zwingend. Und mit seiner Zugabe, „Where’er you walk“ aus dem Oratorium „Semele“, zeigte Bostridge, was aus diesem Konzert hätte werden können.
Nächstes Bostridge-Konzert: 24. August, 19.30 Elbphilharmonie, Kl. Saal. „The Nymph’s Complaint”. Romantische Musik aus England, von Vaughan Williams, Holst u.a., mit dem Oxalys Ensemble.