Hamburg. Mohamed Mbougar Sarr, umjubelter senegalesischer Literaturstar, besuchte das Literaturhaus. Und berichtete Intimes aus seinem WC.

Es dauerte nicht lange, bis Mohamed Mbougar Sarr sich unter dem Gelächter des Publikums ein wenig verlegen mit den Händen im Gesicht herumfuhr. Weil er die Pein spürte, ein Star zu sein, jedenfalls nach Maßstäben der Literatur. Sein Roman „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ ist ein Kritiker-Hit, und seit neuestem kursiert auch das Urteil des Bundeskanzlers („Ein großartiges Buch“) über Sarrs Werk. Olaf Scholz hat gesprochen, bäm. Man weiß nun also auch, dass der sachliche Hamburger gerne Romane liest.

Von VIP-politischer Leserschaft war im Literaturhaus am Dienstagabend nicht die Rede, Moderator Alexander Solloch vom NDR sprach lieber vom „Wunderkind der afrikanischen Literatur“ und zitierte noch weitere Elogen der vergangenen Wochen. Weil „Wunderkind“ ein Wort-Export ist, verstand Sarr Sollochs wortreiche Ausführungen sehr gut und damit, dass es in diesen einführenden Sätzen zunächst wieder mal um den Lobpreis seiner Person ging. Sarrs Reaktion, siehe oben, war unbezahlbar.

„Die geheimste Erinnerung der Menschen“: Story vom verschwundenen Autor

In Hamburg saß der Senegalese, der als erster Autor seines Landes mit dem Prix Goncourt die wichtigste französischsprachige Literaturauszeichnung erhielt, lässig im ockerfarbenen Troyer am Pult und lenkte den Blick schnell von all den Lobes-Arien auf seinen Roman. Aus dem las die Schauspielerin Franziska Herrmann zwei längere Passagen und brachte im prall besetzten Saal Sarrs mitreißenden Text (Solloch: „Ein Buch, das einen umhaut, in seiner Radikalität, seiner ungebärdigen Schönheit“) denjenigen wenigstens auszugsweise nahe, die ihn noch nicht kannten. Die Story vom mysteriösen Schriftsteller T.C. Elimane, der vor langer Zeit einen Roman schrieb und ebenso schnell wie dieser von der Bildfläche verschwand, und die von dem Mann, der ihn Jahrzehnte später sucht: Das zielt mitten hinein in das Verhältnis von Frankreich und Europa.

Der 32-jährige Sarr, ein eloquenter Mann, führte aus, wo er die spezifische Aktualität seines Romans sieht. Er erzähle von jungen Autoren aus Afrika, die ihren Platz in der westlichen Gesellschaft suchen. Sind sie marginalisiert oder gehören sie fest zur französischen Gesellschaft?

Gewidmet ist „Die geheime Erinnerung der Menschen“ dem 1940 in Mali geborenen Schriftsteller Yambo Ouologuem, der einst nach Plagiats-Vorwürfen das Schreiben einstellte. Sarrs Romanheld Elimane wird ebenfalls des Sätzeklaus bezichtigt, dabei macht er das, die Weltliteratur in seinem (fiktiven) Roman zu verschmelzen, doch mit voller Absicht. Also, wie ist Sarrs Haltung zum Plagiieren, wollte der frankophone Moderator Solloch wissen. Und der in Paris lebende Autor antwortete klug. Im Grunde sei ohnehin alles gesagt, also alles ein Plagiat, „es kommt darauf an, wie man es sagt“. Die Einzigartigkeit eines Autors liege im Stil.

Prix Goncourt: Zehn Euro für den Gewinner

Als er nach der Prix-Goncourt-Kür 2021 mit einem Male im Rampenlicht stand, sagte Sarr, er sei nun die Miss France der Literatur. Alexander Solloch prüfte nun in Hamburg den Ironiegehalt der Aussage, und Sarr hielt durchaus an der Ruhm-Analogie fest, unterstrich jedoch die Unterschiede. Anders als die Schönheitskönigin bekommt der bepreiste Schriftsteller nämlich weder Auto noch ein wirkliches Preisgeld. Der Prix Goncourt belohnt die Dichter, indem er die Buchverkäufe enorm ankurbelt; das tatsächliche Preisgeld ist rein symbolisch. Er habe, erklärte Sarr, sich den Zehn-Euro-Scheck eingerahmt auf der Toilette aufgehängt.

Was die ernsteren Konsequenzen der neuen Prominenz angeht: Sarr, so teilte er es dem Publikum im Literaturhaus mit, hinterfragt seine Rolle nun noch vehementer. Er wisse, dass er nicht mehr am Rande stehe, „alles was ich sage, wird jetzt beachtet, ich kann mich nicht mehr verstecken“.