Albrecht Schrader gründete das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld. Jetzt hat er ein neues Album. Aufgewachsen ist er in Nienstedten.
- Hamburger Musiker Albrecht Schrader gründete das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld
- Neues Album "Soft" entstand in Rothenburgsort
- Weshalb der Ex-Bandleader von Jan Böhmermann noch immer mit seiner Heimatstadft ringt
In einem seiner neuen Songs singt Albrecht Schrader davon, dass er wenig trinkt. Gut möglich also, dass die in der Ecke neben dem Sofa stehende angebrochene Weinflasche, sie passt als Accessoire des Genusses eigentlich recht gut in dieses popkulturelle Ensemble aus Schallplatten, Büchern und Veranstaltungsplakaten, nicht von ihm stammt. Sondern von dem Musikerkollegen, der einmal die Woche das gemeinsame Studio nutzt.
Ein herrlicher Raum, jede Menge Verstärker, Synthesizer, Aufnahmegeräte, ein Computer, ein Klavier, viele Gitarren. Hier wird gearbeitet. Teppiche, natürlich, der schalldämmenden Wirkung wegen. Albrecht Schrader hat hier, in Rothenburgsort, sein neues, exzellentes Album „Soft“ produziert, ein introspektives, oft stilles, zurückgenommenes, manchmal auf ganz eigene Weise radikales Werk.
Jan Böhmermanns Ex-Bandleader als Special-Guest bei Konzert
Die Besinnung auf das eigene Ich, die Absage an Störmanöver von außen und eine Konzentration auf sanfteste Regungen der Seele; so könnte man die Kunst Schraders auf den Punkt bringen. Intimität als Leitidee – und als absolut gegenteilige Erfahrung eines Konzertabends in der Sporthalle.
Dort war Schrader neulich, zusammen mit 7000 anderen Menschen, bei einem Konzert Jan Böhmermanns. Er war dort auf der Bühne, bei zwei Liedern als von TV-Entertainer Böhmermann angekündigter Special Guest. Als derjenige, sozusagen, alte Fahrensmann des Rundfunk Tanzorchesters Ehrenfeld, der diese Böhmermann-Begleitband einst aufgebaut und bis 2019 geleitet hat.
Böhmermann-Sidekick Schrader: Schlechtes Timing?
Er wisse, sagt Schrader an einem freundlichen Januartag an seinem Arbeitsplatz in einem eher rauen Teil Hamburgs, zu welchem Zeitpunkt er das Orchester verlassen habe. Nämlich da, wo es gerade erst losging mit dem Erfolg und der Bekanntheit und den ausverkauften Hallen. Klar, Corona bremste auch hier.
Aber wer sich ansieht, wie viele Tausend Menschen die aktuelle Tournee besuchen, von Böhmermanns Sendung „Neo Magazin Royale“ und ihrem Stellenwert zu schweigen, der könnte den Verdacht bekommen, dass in diesem Falle das Timing schlecht war.
Aber was sagt der in diesem Jahr 40 Jahre alt werdende, einen aus wachen Augen anschauende Musiker in diesem Moment selbstgewiss? Dass er die Entscheidung nie bereut habe. „Es hat sich seitdem immer richtig angefühlt“, berichtet Schrader, und er hat noch die Bilder im Kopf von seiner letzten Tournee mit Böhmermann und Band. Morgens nach dem letzten Konzert im Nieselregen ankommen mit dem Nightliner in Köln und so, aber klar, „es war eine harte Entscheidung, auch menschlich“.
Böhmermann – Schrader macht noch Arrangements für die Sendung
So ist das, wenn es um Karriererichtungen geht. Sicher hat Schrader („Es ist toll, vor so vielen Menschen wie in der Sporthalle aufzutreten““) anlässlich des Böhmermann-Konzerts in Hamburg ein weiteres Update gemacht, vielleicht eine erneute Selbstbefragung durchgeführt. Und ist wieder zu dem Schluss gekommen, „dass ich angesichts des Stresses, den die Arbeit mit dem Tanzorchester mit sich bringt, niemals nebenher noch Soloalben aufnehmen könnte“.
Gekappt sind die Verbindungen eh nicht. Schrader macht noch Arrangements für die Sendung, in der er drei Jahre so oft, mitunter auch prominent wie in einem gemeinsamen Auftritt („Marijke Amado“) mit den Düsseldorf Düsterboys, eine und seine Rolle spielte. Dass er nun in Hamburg seine Kollegen von einst unbedingt treffen wollte, eh klar.
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Dass es am Ende mehr als ein netter Backstagetermin (mit dem anderen Special Guest H.P. Baxxter als Smartphone-DJ) wurde, umso schöner. Mit Jan Böhmermann (Schrader: „Wir haben zusammen Songs geschrieben, er liebt einfach Musik“) hatte er eine ertragreiche Arbeitsbeziehung, seit er ihn einst über gemeinsame Bekannte von der Kölner Kunsthochschule für Medien kennenlernte.
Mit Johann Scheerer ging Schrader aufs Christianeum
Einer, der noch früher Schraders Weg kreuzte, ist der Hamburger Musiker, Labelbetreiber und Buchautor Johann Scheerer. Mit dem hat Schrader ab und zu als Studiomusiker gearbeitet, „ich war in meiner Kölner Zeit öfter hier“. Als Scheerer ihm vor ein paar Jahren sagte, dass in dem Gebäude, in dem seine Musikfirma Clouds Hill Recordings beherbergt ist, weitere Räume für Plattenstudios frei würden, „hat das die vorher getroffene Entscheidung, zurück nach Hamburg zu kommen, beschleunigt“, erzählt Schrader.
Scheerer und Schrader kennen sich seit ihrer gemeinsamen Schulzeit auf dem Christianeum. Schrader („Ich wollte nach 13 Kölner Jahren nach Hamburg zurück, die Nähe zum Meer, das Wetter, der Himmel, all das beruhigt mich“) ist in Nienstedten aufgewachsen. Im Elbvorort der Begüterten, der Reichen. Er selbst nennt das, was ihn über mehrere Jahre begleitet hat, „Herkunftsscham“; „in Köln habe ich mir manchmal eingebildet, niemand anders habe einen vergleichbaren Hintergrund“. Auf seinem 2020 erschienenen Album „Diese eine Stelle“ thematisierte Schrader das Los der Überprivilegierten.
Albrecht Schrader – aufgewachsen in Hamburger Edelstadtteil
Ganz unironisch, das festzustellen ist ihm weiterhin wichtig. Er ist als mittlerer von drei Brüdern in einem bildungsbürgerlichem Haushalt aufgewachsen, mit musikalischen Eltern – Kirchenchor! – und Klavierunterricht.
„Ich bin ein sensibler Mensch, ich konnte nicht ausblenden, was für eine Rolle Reichtum in meiner Umgebung spielte“, sagt Schrader. Die meisten wüssten, dass es nicht in Ordnung sei, „sich so homogen abzuschotten, und manche Leute haben durchaus ein Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit, aber obdachlose Menschen möchte man dann doch lieber nicht vor der eigenen Haustür sehen“.
Schrader lebt heute im Grenzgebiet von Schanze und Eimsbüttel
In Liedern wie „Elbchaussee“, „Wir sind die Eliten“ und „Auf dem Golfplatz“ schrieb er sich den scheinbaren Widerspruch vom Leib, selbst mit einem Bein in der Subkultur zu stehen, aber in einem Edelstadtteil aufgewachsen zu sein. Johann Scheerer, der Sohn Jan Philipp Reemtsmas, beschreibt in seinem Roman „Unheimlich nah“ auf andere Weise die Nöte eines Musikers mit dem eigenen Herkommen aus der Villengegend.
Schrader war lange weg, aber wenn man ihm zuhört, wie er über seine Heimatstadt spricht, er lebt jetzt im Grenzgebiet von Schanze und Eimsbüttel, dann glaubt man, dass er fern im Rheinischen immer ein Ziehen gespürt haben muss. Einen ganz kleinen Distanzschmerz, dass ausgerechnet zu Hause eigentlich die Musik spielt.
Die Hamburger Schule hat er, der 1983 Geborene, verspätet mitbekommen, und er war ein Riesenfan von Studio Braun. „Ich habe im Onlineshop der Hanseplatte über die Jahre ein Vermögen gelassen“, sagt Schrader. Natürlich entdeckt er in seinem neuen Hamburg immer noch etwas, das er noch nicht kennt. Östlich der Alster sei er früher fast nie gewesen, „es ist beeindruckend und erschreckend zugleich, wie viele reiche Viertel es auch da gibt“.
Hamburg: Zwischen Kaufmannschaft und linker Alternativkultur
Früher, in seiner Jugend, haben seine Freunde und er immer den Hohenzollernring „als psychosoziale Grenze“ betrachtet, nach der eine andere Welt als ihre begann. Als er vor drei Jahren nach Hamburg zurückzog, wusste er: Ich kann, von Nienstedten aus betrachtet, ausschließlich jenseits des Altonaer Bahnhofs leben.
Der Reichtum, die kaufmännische Tradition einerseits, die linke Alternativkultur andererseits: Für Künstler sind Widersprüche immer befruchtend. Aber Schrader zieht es eindeutig dorthin, wo Vielfalt ist und das Nebeneinander von unterschiedlichen Lebensentwürfen.
Albrecht Schrader kann von der Musik leben, seiner ganz eigenen und der, die er für Auftraggeber macht, in Aufnahmestudios und am Theater etwa. Sein drittes Album „Soft“, dessen Lieder er am 27. Januar im Nochtspeicher vorstellt, ist ein Kernstück seines Schaffens. Mit dem Synthiepop und den Klavierballaden dieses reifen Werks zielt Schrader noch mehr als früher auf ein gleichermaßen anspruchsvolles wie Pop-verrücktes Publikum. Die Texte sind intelligent, der Blick auf das Ich und die Welt kommt ohne Klischees aus.
Schrader: Neues Album als „softes“ Gesprächsangebot
Das zentrale Stück ist die erste Single „Für dich bleibe ich ein Mann“ (Tipp: Unbedingt die geschmackvollen Videoclips auf Youtube anschauen). Sie gibt das aktuelle Thema Schraders vor, das noch grundsätzlicher ist als die vielbehauptete „toxische Männlichkeit“ der Gegenwart. Das „Unbeholfensein, mit Emotionalität umzugehen“, wie Schrader das nennt, gut zu besichtigen an den älteren Generationen. Wobei er Wert darauf legt, dass der von ihm im Song adressierte Vater eine allgemeine Figur ist.
Was seinen Blick auf tradierte Rollenzuschreibungen angeht, sagt der sanfte Songwriter Schrader noch einen sehr schönen Satz mit Bezug zum Albumtitel: „Mit meinem Song will ich allen ein softes Gesprächsangebot machen.“
Das beste ist, dass er, dem seine Mutter, so erzählt er es, immer ermahnt, auf Fotos bloß das Lächeln nicht zu vergessen, dabei keineswegs lacht. Hier ist einer, der seine Kunst und das Leben ernst nimmt, ohne dabei humorlos zu sein.