Hamburg. Polohemd statt Punk: Der aus Hamburg stammende Musiker Albrecht Schrader hat ein jugendweises Pop-Album vorgelegt.
„In meinem Viertel, in meinem Elternhaus“. So hebt dieser entzückende Songreigen an, der unter der Titel-Devise „Diese eine Stelle“ läuft. So heißt dieses erste Lied, so heißt diese ganze Platte, in der ein nicht mehr ganz junger Mann auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist, den Stunden der Empfindsamkeit, den Jahren der Empfänglichkeit. Was ist diese Stelle, um was geht’s da? Es gibt sie auch „an meinem Körper, in meinem Lieblingsfilm“, wie der traumwandlerisch – oder eher sedierend? – dahersingende Mann preisgibt, „immer diese eine Stelle“.
Die etwas in ihm auslöst. Ihn durchschüttelt, beflügelt, irgendeinen alten Schmerz einhämmert oder seine Seele streichelt. Die ihn vielleicht melancholisch aus der Polohemdenwäsche gucken lässt? Hm, so in etwa am ehesten. Ihn, Jung-Hamlet von der Privilegiertenfront.
Albrecht Schrader hat Musik mit allem drum und dran studiert
Albrecht Schrader, 1983 in Hamburg geboren. Musik mit allem drum und dran in Köln studiert dann und dortselbst berühmt geworden. Als Böhmi-Beschaller. Als Leiter des Rundfunk-Tanzorchesters Ehrenfeld von Jan Böhmermanns „Neo Magazin Royale“. Mit dem Orchester, das so wunderbar nach Tanztee klingt, war er zuletzt auf Tour. Wie es jetzt weitergeht, weiß man noch nicht so recht; überhaupt gilt das für das gesamte „Neo Magazin Royale“ angesichts des Umzugs ins ZDF-Hauptprogramm. Da kann man schon mal innehalten und zurückblicken. Ganz zurück. An die Elbchaussee.
Dahin, wo man aufwuchs und die Gitarre als Distinktionsmerkmal hatte. Dahin, wo man allenfalls erahnen konnte, dass hier einer ist, der mal ein vielgebuchter Studiomusiker sein wird, für Peter Doherty etwa, für Herrenmagazin.
Ist das wenigstens Punkrock?
Halt mal, sprechen wir etwa von Punk? Oder wenigstens Punkrock? Gar nicht. Beim nämlichen „Diese eine Stelle“ sind pluckernde Beats zu hören, schwebende Synthies. Anti-Punk. Vom Sound her jetzt. Wer Albrecht Schraders neues Album hört, der denkt an Erdmöbel, an PeterLicht und Blumfeld, sogar an Tocotronic, an das Beste aus allen Welten, in diesem Fall Köln und Hamburg. An deutsche Texte mit Niveau, die auf den eigenen Nabel schauen, selbst wenn der von Lacoste verdeckt wird. „Diese eine Stelle“ ist das Bekenntnis zum Uncoolsein. Konsequenterweise heißt der Schlüsselsong „Auf dem Golfplatz“. Sein Text geht so: „Wir treffen uns im Jenischpark/Der Tag war lang und heiß/Da kommt ein Mädchen, das ich mag/Ich glaub, dass man es weiß/Ich trinke viel, jemand sagt/Hol die Gitarre raus/ Ich möchte, doch ich trau mich nicht/Und geh lieber nach Haus‘“.
Lesen Sie auch:
Gwildis: Wie in „Blues Brothers“ – die Band spielt wieder
Konzert-Mitschnitt mit Sicherheitsabstand
Knust Acoustics: Der Corona-Neustart einer Konzertreihe
Dort, wo Hamburg seine Leute so wohlsituiert sein lässt, wie sie nur wollen, wachsen auch die Identitätsneurosen. Vor allem, wenn man Musik mag, die doch mindestens in der Adoleszenz eine rebellische Attitüde haben muss oder sogar tatsächlich rebelliert, und wenn nur gegen die Hochkultur. Nichts ist weiter weg vom Jenischhaus als das Molotow. Da kommt man bei der Körperertüchtigung ins Grübeln: „Auf dem Golfplatz teenage angst im Reichensport/Wohlbehütet und verwirrt/Wohlerzogen und geniert“. Aber die Punchlines des Flagellanten sind diese: „Der Hafen strahlt von fern/Im Licht der Straßenlampe funkelt ein Mercedesstern/Der Ort, wo meine Jugend glüht/Ist nicht wo Hamburg brennt/Tränen fließen unverblümt in mein Polohemd“.
Traurig-schöne Elbchaussee
Ein schöner, trauriger Song ist auch „Elbchaussee“, der die großbürgerliche Gegend, sie hat so wenig popkulturelle Kredibilität, klar ausstellt: „Elbchaussee, Blankenese/Von Mühlenberg bis Teufelsbrück/Riesenhäuser, Wahnsinnsblick/An der Elbchaussee und gegenüber/Fluglärm von Airbus“. Genau, der Lärm, der auch vom Fuhlsbütteler Himmelsverkehr herstammt, um genau zu sein: Doch, schon, es gibt Brüche im Idyll. Sie werden in der vom Piano nicht allein gestemmten Ballade von dramatischen Streichern untermalt. Die Elbchaussee als Metapher für Widersprüche: Nehmen wir. Das gilt eh für Schraders Selbstinszenierung als Wohlstandsmelancholiker. Dass er nicht ungeküsst blieb, sei hier erwähnt: Auch in Groß Flottbek und Nienstedten gibt es Prinzessinnen, die auf sensible Ritter warten.
„Wir sind die Eliten/Wir haben es bequem/Wir besetzen alle Stühle/Und sehnen uns nach dem Sozialismus der Gefühle“ heißt es danach im beschwingten Upperclass-Diss „Wir sind die Eliten“. Diese Platte, eine der besten im deutschen Pop seit langem, ist ein sarkastischer Bildungsroman. Die Leiden des jungen Elbvorortzöglings, der mit Mitte 30 rekapituliert, wie unsicher er doch immer aufgrund seiner Herkunft gewesen ist. „Mein Privileg steht mir im Weg/Ich kann nicht klagen, doch muss es sagen/Wohin ich geh/Folgt das Klischee/Mit gutem Recht/Denn es ist echt“ heißt es in „Was denkst du über mich“.
Tja, andere möchten solche Probleme haben. Aber wir spotten nicht über jemanden, der solche feinen Lieder komponiert. Elektro, Pop, große Melodien: Mit „Diese eine Stelle“ übertrifft der Musiker Albrecht Schrader sein Debüt „Nichtsdestotrotz“. Den Mann muss man jetzt wirklich im Auge behalten.