Hamburg. Jan Böhmermann brannte vor 7000 in der Sporthalle ein Feuerwerk aus Ironie und Ambition ab. Mit einem Seitenhieb gegen Andy Grote.

Eine der Selbstbezeichnungen, die der Moderator, Satiriker und Investigativ-Entertainer Jan Böhrmermann sich gibt, ist: Quatschvogel. Ich mache einfach Quatsch, sagt der 41-Jährige über sein so ergiebiges, gefeiertes, beargwöhntes und kontroverses Schaffen. Mit seiner Form des Enthüllungsjournalismus befeuert Böhmermann im „Neo Magazin Royale“ Systemkrisen, löst Staatsaffären aus, bringt Personen zu Fall.

Man darf diese Inszenierung von satirischem Journalismus ganz sicher kunstvoll nennen. Auch, weil zum Böhmermann-Programm seit langem der schmissige, in Komik und Kritik gebadete Song gehört.

Jan Böhmermann: Ein Performer, der den großen Auftritt sucht

Von denen hat Böhmermann längst so viel in petto, dass er mit seinem Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld, der „Neo Magazin Royale“-Truppe, auf Tour gehen kann. Jetzt war der Fernsehmann mit Band in der ausverkauften Sporthalle zu Gast. Und da offenbarte sich einmal mehr die ernsthafte Ambition hinter dem Quatsch. Böhmermann ist ein Performer, der den großen Auftritt sucht, die Bühne, das Rampenlicht.

Leicht erkennbar der Antrieb, musikalisch was herzumachen neben all den politischen Aussagen und dem humoristischen Furor. Mehr als 20 Songs hat die Setlist der aktuellen Tour. Eigenkompositionen, die in der Show und auf Youtube längst den Tauglichkeitstext bestanden haben, sowie einige Coverversionen wie „Can You Feel It“, mit dem Böhmermann auch in Hamburg das Konzert eröffnete.

Jan Böhmermann: „Hallo Hamburg, ihr Pimmel“

Mit Schwung geschah dies, beklatscht von der Böhmi-Crowd. Denn die hatte sich natürlich eingefunden zum „politischen Liederabend“ (Böhmermann). Was sind das für Leute? Reflektierte Menschen, deren Lebensmodell zwischen Spaßhedonismus und Gesellschaftskritik angesiedelt ist. Fun muss immer einen größeren Kontext haben, und für Engagement und Bewusstsein gilt: Unterhaltsam ist besser.

Der Hauptcharakterzug der Kunstfigur Böhmermann, der in einem Interview mal sagte, seine Ironie sei „pathologisch“, ist ihr pausenloses Surfen auf der Uneigentlichkeit. Man muss dieselbe Sprache wie er sprechen, erst dann entfaltet sich das volle Böhmi-Aroma. Voilà: „Hallo Hamburg, ihr Pimmel“ begrüßte der Bremer Böhmermann das Publikum.

Dann holte er mit dem Après-Ski-Song „Ischgl-Fieber“ alle ab, auch die, die lieber noch mit Maske in die Sporthalle kamen. „Uns ist alles scheißegal“ als Partyparole machte allen gute Laune, Pandemie-mäßig ist ja das Schlimmste vorbei.

Hier ging es auch um eine gute Show

Böhmermanns Humorpanzer gegen die Zumutungen der Welt und Witz als Waffe, seinen durch Ironie auf Distanz gehaltenen Moralismus musste man beim Konzert jedoch nicht immer mitdenken. Hier ging es, aber ja, auch ohne zweite Ebene um eine gute Show. Kay Ones „Style & das Geld“ (Böhmermann: „Große deutsche Dichtkunst“) ist leider keine Satire, die Misogynie und tendenzielle Blödheit des Raps, Gift für junge Hirne, womöglich auch für ältere.

Jan Böhmermann brannte in der Sporthalle ein Feuerwerk aus Ironie und Ambition.
Jan Böhmermann brannte in der Sporthalle ein Feuerwerk aus Ironie und Ambition. © Funke Foto Services | Roland Magunia

Könnte Böhmermann aber trotzdem Spaß machen, derart unwürdige und absurde Lines (“Ey yo, du studierst Mathe?/Schön, ich studier’ Bitches/Ich lauf’ in die Disco rein, jeder Blick trifft mich/Kein Schulabschluss, doch mein Portemonnaie ist voll“) rauszurotzen. Verbalinkontinenz kann ja auch befreiend sein.

Die Coverversion eines Schamoni-Songs

„Damit ein bisschen GEMA-Geld in den Taschen der bedürftigen Hamburger Kulturszene landet“, wurde Rocko Schamonis „Gegen den Staat“ dargeboten, und Böhmermann tat auch gleich mal sein ästhetisches Credo kund, Kultur baue grundsätzlich aufeinander auf, „man steht immer auf den Schultern of giants“.

Das Konzert also als famose Mischung, mit allen Spielarten der Popmusik. Böhmermann und die Ehrenfelder, Eklektiker aus Überzeugung, Parodisten aus vollem Herzen. Gangstarap, Disco, Schlager, Swing, eine Wundertüte, das Publikum bekam, was es aus der Sendung kennt.

Als Animateur ist Böhmermann (“Geht aus euch raus, ich weiß, ihr seid Hamburger, das ist schwer für euch“) mit Empathie gesegnet, und als Frontmann ist er alles andere als eine Niete, seine – top eingespielte, sehr fähige – Big Band folgt ihm blind in jedes Gefecht; auf der Bühnen-Leinwand glotzen die Musiker mit ihrem Anführer in einer stilisierten Illustration alle mit Erobererblick in unendliche Weiten.

Vor dem Auftritt gab es Tipps von Olli Schulz

Tipps für den Auftritt will der Entertainer von Olli Schulz, seinem Podcastpartner und „vor Hans Albers bekanntesten Hamburger“, bekommen haben. Benehmen solle er sich und „auch was mal Privates“ offenbaren. Logisch, natürlich auch alles wieder Ironie. Man weiß ja praktisch nix über den Böhmi hinter dem Böhmermann, der Mann ist ja nicht blöd.

Und angemessen ernst beim Antikriegslied „Meinst du, die Russen wollen Krieg“. Übrigens ein Stück, bei dem Böhmermann seine Stimme in voller Pracht ausführt: Er kann ja durchaus singen, wie man längst weiß. Wäre aber nix ohne sein Orchester, dessen Coverversion des Beastie-Boys-Krachers „Intergalactic“ viel Freude machte.

Böhmermanns kostenintensive Beziehung zu Hamburg

Stefan Aust, der zuletzt nach einem satirischen Beitrag eine einstweilige Verfügung gegen „Neo Magazin Royale“ erwirkte, adressierte Böhmermann (was seine Feinde angeht, ist er manchmal ziemlich angefasst) mehr als einmal spöttisch. Böhmermann und juristische Scharmützel gehören seit langem zusammen. Gerade in Hamburg war es ihm deshalb wichtig, seine besondere und in juristischer Hinsicht kostenintensive Beziehung zu genau dieser Stadt zu betonen.

Jura-Hymnen hat er ebenfalls im Programm, bei „Hallo, Herr Scherzanwalt“ (mit der charakteristischen Line „Ich werd vom Landgericht gefickt“) begrüßte er den Hamburger Musiker Albrecht Schrader auf der Bühne, der einst das Tanzorchester Ehrenfeld mit aufgebaut hatte.

Es wurde noch besser. Direkt danach holte Böhmermann, es war der Gipfel der Umwertung aller geschmacklichen Werte, H.P. Baxxter vors Publikum, damit der seinen bestechenden Pandemie-Hit „FCK 2020“ zum, tja, Allerbesten geben konnte. Lauter, auch im Publikum, wurde es an diesem Abend nicht.

Jan Böhmermann: „Ich hab Polizei“ kam zum Schluss

Blöd nur, dass die Leute (“Döpp Döpp“) ihren inneren Baxxter danach weiter rausließen. Der Tadel Böhmermanns („Die Elmshorn-Fraktion hier vorne, jetzt mal die Schnauze halten, das ist ein anspruchsvoller Abend“) war ihnen sicher.

Jan Böhmermann hatte auch Jura-Hymnen im Programm.
Jan Böhmermann hatte auch Jura-Hymnen im Programm. © Funke Foto Services | Roland Magunia

Es war ein reiner Konzertabend ohne politische Ansagen, ein Ritt durch die für die Sendungen komponierten fröhlich-fiesen Themensongs. „Menschen Leben Tanzen Welt“ ist auch live entlarvend, aber so unsagbar eingängig, dass der Text ganz unparodistisch beinah selig mitgeschmettert wurde.

Im Zugabenteil kam dann Böhmermanns Renommiernummer „Ich hab Polizei“. Spätestens beim Live-Erleben des Musikers Böhmermann dachte man endgültig: Der zieht den Gangstarap durch den Kakao, aber er liebt ihn halt auch.