Hamburg. Der Große Saal schwankt zwischen Besinnlichkeit und Feierlaune. Zum Schluss stimmen alle ein: „O du fröhliche“.

„Sternderln kleben, Geld ausgeben“, heißt es in Georg Kreislers GedichtWeihnachten ist eine schöne Zeit“. Und weiter: „Nicht verschnaufen! Weiter kaufen!“ An Weihnachten ist besinnliche Stimmung vorhersehbar, aber mittlerweile ist die Dekonstruktion dieser Besinnlichkeit ebenso vorhersehbar.

Freilich: Wenn die Dekonstruktion so kunstvoll, so lustig und so originell daherkommt wie bei Kreisler, dann will man nichts dagegen haben. Und wenn jemand wie Katharina Thalbach „Weihnachten ist eine schöne Zeit“ rezitiert, mit ihrer rauen, proletarisch-spöttischen Stimme, dann ist das gleich nochmal schön.

Elbphilharmonie: Katharina Thalbach liest, Daniel Hope moderiert

Ebenso vorhersehbar wie die Besinnlichkeit und die Kritik an ihr, ist auch „Ein Wintermärchen“, ein weihnachtliches Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie, mit Textbeiträgen von Thalbach, moderiert vom irisch-deutschen Starviolinisten Daniel Hope. Weil hier an drei Tagen gleich siebenmal das gegeben wird, was man an den Feiertagen hören möchte: Die Ouvertüre aus Tschaikowskys „Der Nussknacker“ oder aus Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ etwa, Dauerbrenner der Weihnachtsklassik, die vom Belgrade Chamber Orchestra unter der Leitung von Daniel Geiss flirrend, phantasievoll, vielleicht mit ein bisschen wenig Druck gespielt werden. Das erwartet man, das bekommt man.

Aber: Hope schmuggelt auch ein paar interessante Querschläger in den Abend, die dramaturgisch durchaus stimmig ins Programm eingebunden sind. Richard Strauss’ „Morgen!“ etwa ist als sensibles, stilles Lied kein Gassenhauer, aber man kann es dennoch nach Humperdinck bringen, weil, wie Hope weiß, „Hänsel und Gretel“ 1893 unter dem Dirigat von eben Strauss uraufgeführt wurde. Oder Vivaldi!

Es geht um ein „Wintermärchen“, aber gespielt wird nichts aus den „Vier Jahreszeiten“, sondern der vergleichsweise unbekannte 3. Satz aus dem Konzert für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo a-Moll. Dass Hope und Konzertmeister Stanko Madić sich bei dieser Gelegenheit ein effektvolles Violinenduell liefern – sei es drum. Sieht ja auch wirklich beeindruckend aus.

Ein Wintermärchen mit "politisch korrektem" Ausrutscher

Tatsächlich erweist sich dieses „Wintermärchen“ jenseits von Erwartungen und Überraschungen als musikalisch tadellos. Gerade die Gastsolistinnen begeistern: die Sopranistin Fatma Said, die Mozarts „Exsultate, jubilate“ tatsächlich als frühliches Jubilieren und Trilieren zelebriert (und der allerdings zu Christian Sindings „Suite im alten Stil“ verhältnismäßig wenig einzufallen scheint). Und die Trompeterin Lucienne Renaudin Vary, die Johann Nepomuk Hummels Trompetenkonzert E-Dur ebenso wie George Gershwins „Porgy and Bess“ mit fliegendem Jazz anreichert und barfuß durch die Weihnachtsklänge tanzt.

Und Wermutstropfen? Na ja. Natürlich meistert Thalbach die weihnachtlichen und anti-weihnachtlichen Zwischentexte ohne Probleme, Kreisler ist toll, Joachim Ringelnatz’ „Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu“ dem Ort angemessen. Nur Carla Eisfeldts „Politisch korrekt“ ist ein unlustiger, weil biederer Fremdkörper: der Versuch, die Weihnachtsgeschichte „politisch korrekt“ (oder so, wie es sich jemand vorstellt, der eigentlich keine Ahnung von politischer Korrektheit hat) umzuschreiben. Wie gendert man eigentlich „Hirten“, „Hirt*innen“ oder „Hirtende“? Anders gefragt: Sind spießbürgerliche Witzchen über gendergerechte Sprache etwa das Niveau des „Wintermärchens“?

Elbphilharmonie: Zur Zugabe jubelt der ganze Saal "O du fröhliche"

Natürlich nicht, „Politisch korrekt“ ist ein Ausrutscher in einem ansonsten stimmigen Programm, das seinen Höhepunkt in Paul Batemans Arrangement populärer Weihnachtslieder findet. Thalbach wirft sich mit allem, was sie hat, in „I’m Dreaming Of A White Christmas“ und erinnert mit ihrer Whiskystimme tatsächlich ein bisschen an Bing Crosby, Said singt eine Strophe von „Stille Nacht“ auf Arabisch und befreit die Besinnlichkeit mit nahöstlichen Schlenkern elegant aus der rein christlichen Umarmung.

Das ist hübsch gemacht und zeigt tatsächlich eine spielerische Erweiterung des weltumspannenden Weihnachtsgedankens. Und zur Zugabe jubelt der ganze Saal „O du fröhliche“ – nicht in jeder Note ganz sicher, aber der fröhliche, gemeinschaftliche Abschluss eines Abends, der interessanterweise beides bedient: die Sehnsucht nach Erwartbarem und die Freude an der Überraschung.

„Ein Wintermärchen“ wieder 25.12., 16 und 20 Uhr, 26.12., 11, 16 und 20 Uhr Elbphilharmonie, Platz der Deutschen Einheit 4, Restkarten unter www.proarte.de