Hamburg. Der Familienvater probt gleich in dreifacher Funktion für die Januar-Premiere „Der Sandmann“. Worauf sich Zuschauer hier freuen können.

Es gibt Theatermenschen, die agieren eher in der zweiten Reihe, übernehmen meist Nebenrollen, und doch sind sie kaum zu übersehen. Philipp Plessmann ist so jemand. Als Schauspieler war er zuletzt in Charlotte Sprengers Wolfram-Lotz-Adaption „Die Politiker“ zu sehen.

Unter anderem als Italien-Tourist im Sommerkostüm, den Italo-Hit „Volare“ schmetternd. Plessmann erwies sich als Gewinn für die Inszenierung – und stand dort in einer seltenen Dreifach-Funktion auf der Bühne: als Schauspieler, Livemusiker und musikalischer Leiter. Die gleiche Aufgabe erwartet ihn nun in Robert Wilsons E.T.A.-Hoffmann-Oper „Der Sandmann“, die am 8. Januar Premiere im Thalia Theater feiert.

Theater Hamburg: Premiere sollte im März stattfinden

Endlich muss man sagen, oder (ein paar Tage sind es ja noch hin) vielleicht sogar: hoffentlich. Denn eigentlich sollte sie schon im März dieses Jahres über die Bühne gehen, aber da machte die Pandemie der Premiere einen Strich durch die Rechnung. Stattdessen gab es einen kleinen Liederabend im Bühnenbild als Vorgeschmack. Schon dort war der feine, melancholische Neo-Blues der britischen Songwriterin Anna Calvi zu hören, den Plessmann für eine kleine Trio-Besetzung arrangiert hat.

„Die Musik steht bei uns im Zentrum“, sagt er. Die typische Bob-Wilson-Spielweise, mit der der US-Theatermacher selbst „Der Sandmann“ 2017 am Düsseldorfer Schauspielhaus zur Uraufführung brachte, spielt keine Rolle. Weiß geschminkte Gesichter und aufgerissene Augen in blaustichigem Licht wird man also nicht sehen. Die Ästhetik werde dennoch traumähnlich sein, so der Musiker.

Plessmann arbeitete zuerst als Puppenspieler

Im Gespräch ist Plessmann, 1977 in Trostberg geboren, von angenehmer Zurückhaltung und großer Ernsthaftigkeit. Gerne unterstreicht er seine Sätze mit Gesten, als dirigiere er ein imaginäres Orchester. Plessmann hat zunächst als Puppenspieler gearbeitet und die renommierte Ernst-Busch-Schauspielschule besucht. Zum Musizieren kam er eher zufällig. Mit 16 Jahren brachte er sich das Klavierspiel mehr oder weniger selbst bei und verfeinerte Wissen und Können mit der Zeit.

Er bezeichnet sich als „professionellen Laien“. Irgendwann erhielten die Musik-Anfragen gegenüber den Rollen-Angeboten die Überhand. Plessmann hat auch dank seines besonderen Schauspiel-Hintergrunds ein einzigartiges Gespür für die Verbindung von Text und Musik. Wie bewältigt man nun diese dreifache Herausforderung?

"Musik ist im Theater ja immer ein spezieller Weg"

„Ich sehe es als ein großes Ganzes. Musik ist im Theater ja immer ein spezieller Weg, weil der Text der Lieder eine große Rolle spielt. Mich interessiert die Frage, wie man Musik nutzen kann, um Texte anders hörbar zu machen“, erzählt Philipp Plessmann. Die musikalische Leitung sieht er als große Aufgabe, aber Musik und Schauspiel haben stets eine enge Verbindung. Die dreiköpfige Band ist mitten auf der Bühne platziert. Größere Streicherpartien übernimmt der Synthesizer.

Und natürlich spielt Plessmann mit dem Vater der Hauptfigur auch wieder eine Nebenrolle. „Wir reduzieren uns stark. Es gibt aber umso mehr Gesang, weil die Songs sehr zart sind auf eine Art, die wir über komplexe Vocalharmonien herausstellen können“, erläutert Philipp Plessmann. „Die Texte sind auch spannend, weil sich Anna Calvi mit Hoffmann wirklich auseinandergesetzt hat.“ Die Musikerin war ihm vorher kein Begriff, aber nun schätzt er ihre Sensibilität und ihre Kraft, die besonders gut zu dem „Sandmann“ passe.

Ein Kunstmärchen der Schwarzen Romantik

„Im Theater steht das Sehen stark im Vordergrund, hier aber auch das Hören, weil wir sehr viele gesungene Texte haben. Beides geht Hand in Hand“, erläutert Plessmann. Wenn Schauspielerinnen und Schauspieler singen, hat das für ihn durch den geübten Umgang mit Texten immer eine besondere Qualität.

Die Geschichte erzählt ein klassisches Kunstmärchen der Schwarzen Romantik. Der Student Nathanael berichtet von unheimlichen Erlebnissen, die auf ein Kindheitstrauma zurückzuführen sind. In Gestalt des Wetterglas-Händlers Coppola trifft er den Advokaten Coppelius, der gemeinsam mit Nathanaels Vater alchemistische Experimente durchgeführt hatte, durch die der Vater starb.

Stück funktioniert auch als Gesellschaftssatire

Zwei Frauenfiguren werden wichtig. Nathanaels Verlobte Clara verkörpert die ehrliche Stimme der Vernunft und äußert sich als Partnerin auf Augenhöhe auch mal kritisch zu seinen Gedichten. In Olimpia lernt er die Tochter eines italienischen Physik-Dozenten kennen, die als Automat nur „Ach! Ach!“ zu sagen vermag und neue, verwirrende Begehrlichkeiten in ihm weckt. Wahnsinn und unbewältigte Traumata führen zu einem tragischen Ende.

Philipp Plessmann war mit 18 Jahren ein „Riesenfan“ des Autors. Vor allem das Fantastische habe ihn gelockt. „Erst in der erneuten Auseinandersetzung habe ich gemerkt, wie schlau das auch als Gesellschaftssatire funktioniert“, so Plessmann. „Es ist ja eine familiäre Geschichte über einen Ballast aus der Kindheit.“ Es gehe auch darum, der Reaktion einer Gesellschaft ausgeliefert zu sein.

„Ich liebe es auch, selbst zu performen"

Der Augenblick, indem Nathanael durch ein Perspektiv des Wetterglashändlers Olimpia erblickt, wird zum Schlüsselmoment der Inszenierung. Als traumatisierter Mensch bekommt Nathanael seine Partnerin Clara, die ihm seinen Ballast spiegelt, und die reine, unschuldige Schönheit der Olimpia nicht überein. Sind es am Ende zwei Seiten ein und derselben Frau? Ist alles nur ein Traum in Nathanaels Kopf? Dazu lächelt Philipp Plessmann nur geheimnisvoll.

Die Inszenierung ist nach „Vor dem Fest“, „Opening Night“ und „Die Politiker“ bereits die vierte Zusammenarbeit des Musikers mit der Regisseurin Charlotte Sprenger. Sie habe eine vornehm zurückgenommene Art, mit Texten umzugehen, die auf der Bühne eine starke Kraft entfalte, findet er. Ursprünglich trafen sich beide am Schauspiel Köln. Dort war Philipp Plessmann überwiegend als Puppenspieler beschäftigt. „Ich liebe es auch, selbst zu performen. Das kommt manchmal zu kurz“, sagt er.

Theater Hamburg: Plessmann träumt von eigenem Ton-Studio

„Inzwischen brenne ich aber am meisten für die Musik.“ Hinzu kommt, dass diese Art der Arbeit leichter mit dem Leben des dreifachen Familienvaters aus Berlin-Moabit zusammengeht. Dort träumt er derzeit von einem eigenen professionellen Ton-Studio. Und vielleicht ja auch eines Tages von einer eigenen Oper.

„Der Sandmann“ Premiere So 8.1., 19.00, Thalia Theater, Alstertor, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de