Hamburg. Die Joseph-Roth-Inszenierung „Hotel Savoy“ wird zur anarchischen Show. Die Motivation der Regisseurin bleibt im Dunkeln.

Das „Hotel Savoy“ ist ein merkwürdiger Ort. Ganz zugekleistert ist er mit französischen Jugendstil-Fliesen vom Beginn des 20. Jahrhunderts (Bühne: Aleksandra Pavlović). Sie erstrecken sich sogar über die Livree des Liftboys Ignatz. André Szymanski gibt ihn mit verhärmtem Gesicht unter blonder Punk-Frisur, ab und zu die Hand zum Schellen einer Glocke erhebend. Ignatz verbindet die oberen und unteren Etagen des Hotels. Unten wohnen die Wohlhabenden, oben die Verarmten, die ihre Koffer verpfänden.

Wenn sie nichts mehr zu verpfänden haben, wie die Varieté-Tänzerin Stasia, müssen sie nackt zum Amusement von Fabrikanten und anderen Begüterten zur Verfügung stehen. Soweit wirkt Charlotte Sprengers Lesart des Joseph-Roth-Romans „Hotel Savoy“ zur Saisoneröffnung im Thalia in der Gaußstraße wie eine Art surrealer David-Lynch-Traum.

Theater Hamburg: „Hotel Savoy“ wird zur anarchischen Show

Der 1924 veröffentlichte Roman spielt zwischen den Kriegen. Das Hotel – in Polen nahe der russischen Grenze – wird zum Sammelort für allerlei verkrachte Existenzen, die genau wie die Welt aus den Fugen geraten sind. Hier landet der von Pascal Houdus gegebene Frontheimkehrer Gabriel Dan auf der Suche nach einem warmen Bett und Hilfe durch seinen wohlhabenden Onkel Phöbus Böhlaug (Falk Rockstroh) und seinen Vetter Alexander Böhlaug (Merlin Sandmeyer).

Wenn Houdus zu Beginn nackt zusammengekrümmt auf den Jugendstil-Fliesen kauert, werden die Versehrtheit an Leib und Seele, die Ortlosigkeit, das Epochenende spürbar. Bald erhält er sportive Kleidung, die in groteskem Kontrast zur Eleganz seiner Verwandten (Kostüme: Anna Degenhard) steht. Die Begegnung mit der Varieté-Tänzerin Stasia, Cathérine Seifert, lässt die ganze Inszenierung jedoch schnell in eine mehr oder weniger anarchische Show implodieren.

Am Thalia in der Gaußstraße implodiert eine Premiere

Immer steht irgendwo ein Mikrofon bereit. Philipp Plessmann übernimmt diverse Rollen als „Verwandlungskünstler“, greift aber auch beherzt in die Klavier-Tasten oder schmettert eine italienische Schnulze. Gabriel nähert sich Stasia nur unbeholfen. Ohnehin geht es hier weniger um Liebe als ums Überleben. Also lässt sie sich von Merlin Sandmeyers leichtfüßigem Vetter Alexander dazu einladen, von Paris zu träumen.

Seifert gelingt ein bemerkenswerter Sprung aus der Rolle der liebenswürdigen Stasia in jene der herb-lakonischen Hirsch Fisch, die sich ihr Glück mit Lotterie-Losen sucht. Und der vielseitige André Szymanski wird gleich noch zum Devisenschieber Abel Glanz, bevor er sich in den verstörten Kriegsheimkehrer Zwonimir Pansin verwandelt, der mit wirrem Blick und bebend unruhiger Körperhaltung über die Bühne jagt – und eine Revolution von unten anzettelt.

Die Motivation der Regisseurin bleibt im Dunkeln

Mit Verve und sichtlicher Spielfreude verkörpern die Ensemble-Mitglieder dieses Kabinett skurriler Gestalten, selbst dann, wenn sie mal derbe kalauern und sich dem Klamauk hingeben. Das eigentliche Drama der Figuren, die krisenhafte Zeit der Umbrüche, die natürlich auch an die Folgen aktueller Kriege denken lässt, geht in dieser Farce mit all ihren unterhaltsamen Schauwerten und hübschen Tänzen (Choreografie: Fiona Gordon) jedoch zunehmend unter.

Die inhaltliche Motivation der Regisseurin bleibt im Dunkeln. Gefühle von Entwurzelung, Heimatlosigkeit und Traumatisierung sind durch diese erzwungene Leichtigkeit entschärft. Und so schlafwandelt Pascal Houdus‘ Gabriel Dan bald mit leerem Blick durch das Geschehen, das ihn zum Beobachter degradiert, wie durch einen schön-schaurigen Traum.

„Hotel Savoy“ weitere Vorstellungen 15.9., 20 Uhr, 18.9., 19 Uhr, 9.10., 19 Uhr, 14.10., 20 Uhr, 23.10., 19 Uhr, Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de