Hamburg. Nach dem Skandal um Pandemieleugner will der Musikclub zurück in die Szenefamilie. Ein Exklusiv-Interview mit den neuen Betreibern.
Ein unrühmliches Kapitel Hamburger Clubgeschichte wird beendet: Nach den Skandalen im Juni 2020 und März 2021 um Wandzeitungen und Plakate mit Querdenker-Inhalten an den Fassaden der beiden größten Hamburger Livemusik-Clubs Große Freiheit 36 und Docks brachen zahlreiche Musik-Fans, alle relevanten Konzertagenturen und das Clubkombinat mit den beiden auch international bekanntesten Konzertbühnen St. Paulis.
Kiez-Club Docks auf St. Pauli hat neue Betreiber
Der Gründer beider Clubs und treibende Kraft hinter den Wandzeitungen, der Kieler Gastronom Karl-Hermann Günther, gab seinerzeit bekannt, den Betrieb auch ohne Branchenpartner weiterzuführen. Doch im September dieses Jahres stellte die Große Freiheit 36 ein neues Betreiberteam vor, distanzierte sich von den Plakaten und arbeitet mittlerweile wieder mit den Konzertagenturen zusammen.
Jetzt zieht das Docks nach und verkündet zum 1. Januar 2023 einen Betreiberwechsel. Das Hamburger Abendblatt sprach exklusiv mit Pressesprecherin Sarah Kucher aus dem neuen Team über die Umstände.
Es hat zwar lange gedauert, aber offensichtlich will nach der Großen Freiheit 36 im September jetzt auch das Docks in die Hamburger Clubfamilie zurückfinden. Kennen Sie die Beweggründe von Karl-Hermann Günther, die von ihm in den 80er-Jahren eröffneten Clubs nach zwei konfliktreichen Jahren aufzugeben?
Sarah Kucher: Über die Beweggründe können wir nur spekulieren, aber er hatte mitgeteilt, dass es ihm wichtig ist, dass in den Clubs wieder ein relevanter Kulturbetrieb entsteht. Das war ja vor der Pandemie über drei Jahrzehnte lang sein großes Anliegen, und die Clubs jetzt abzugeben, wird den Weg für Neues ebnen.
Es gibt also keinerlei direkte oder indirekte Verbindung mehr zu Karl-Hermann Günther und seiner Traum GmbH?
Er ist lediglich der Immobilieninhaber der Großen Freiheit 36, an den eine Pacht bezahlt wird. Das Docks hingegen gehört der Sprinkenhof GmbH als Partner und Berater der Stadt Hamburg.
Und wer sind jetzt die neuen Gesichter, die für den Betrieb und das Programm des Docks stehen werden?
Inhaber der Betreibergesellschaft ist wie auch seit Juli in der Großen Freiheit 36 Benny Dianat, Geschäftsführer ist wie ebenfalls in der Freiheit Benjamin Steinicke, hinzu kommen ich als stellvertretende Geschäftsführerin des Docks und als Pressesprecherin für beide Clubs und Mario Wiescher, der letztes Jahr aus offensichtlichen Gründen die Freiheit verlassen hatte, als Booker und Programmgestalter für beide Bühnen.
Zwei Clubs, mit den angeschlossenen kleinen Clubs Kaiserkeller und Prinzenbar sogar vier, unter einem Dach. Gibt es schon Reaktionen von den Konzertagenturen?
Die ersten Kontakte sind bereits geknüpft, nachdem die Notartermine erfolgreich hinter uns liegen. Wir werden jetzt viel telefonieren und E-Mails schreiben, aber wir sind durch die bislang erfolgreiche Wiederbelebung der Großen Freiheit 36 sehr zuversichtlich, schnell gemeinsam auch im Docks wieder durchzustarten.
Auch wenn die Große Freiheit 36 sich im Herbst eindeutig von den maximal kontrovers diskutierten Wandzeitungen distanziert hat: Wie stehen Sie vier zu den vergangenen zweieinhalb Jahren, die das Bild der beiden Clubs in der Öffentlichkeit so beschädigt haben?
Die Beweggründe, warum diese Plakate damals veröffentlicht wurden, sind für uns absolut unbekannt. Für uns war immer klar, dass wir alle Musik- und Kulturfans sind und in den Clubs nichts anderes einen Raum hat außer Partys und Konzerte. Wir stehen für Toleranz, für Miteinander, für kulturelles Austauschen und Erleben und für Liebe. Jedwede Form von hasserfüllter Agenda wird bei uns keine Bühne bekommen.
Aber wie soll der Ruf, der ja eindeutig gelitten hat, wieder aufgebaut werden?
Angefangen damit, dass keiner von uns vier etwas mit diesen Konflikten zu tun hatte. Mario Wiescher zum Beispiel hatte sehr krasse Konsequenzen gezogen und in dieser Zeit nach elf Jahren sein Live- und Booking-Zuhause verlassen, seinen Lebenstraum. Diese Integrität wollen wir vermitteln und vieles neu gestalten. Mehr Newcomern eine Bühne geben, besonders in der Prinzenbar, wir wollen Kultur fördern und Talenten eine Chance geben, sich zu entfalten, etwa in der Ausbildung von Nachwuchs im kaufmännischen wie im veranstaltungstechnischen Bereich. Aber natürlich ist die erste Herausforderung, wieder einen Grundbetrieb aufzubauen, da braucht es eine Bestandsaufnahme und eventuelle Umgestaltungen.
Thomas Hermanns verlässt sein Hamburger Baby mit einer Party
Nach Kiez-Brand: Behörde gibt Haus an der Reeperbahn frei
Polizei beendet um 2.25 Uhr Party mit 41 Minderjährigen
Hamburgs kleines Weltwunder: Nun wird der Bunker grün
Für den laufenden Betrieb braucht es Fachkräfte, aber an denen mangelt es in der Livemusik- und Gastrobranche extrem. Stoßen Sie da bereits auf Schwierigkeiten?
Nein, wir sind bereits Teil eines wunderbaren Teams durch die zugehörigen Betriebe Große Freiheit 36 und Colibri und können da hervorragend rotieren und Kompetenzen bündeln. Auch im Docks arbeitet tolles Personal, von denen hoffentlich alle bleiben werden. Und wir wollen schnell die Ausbildung von Nachwuchskräften umsetzen.
Die aktuelle Lage für Clubs in Größenordnungen von 200 bis 1500 Besuchern, sprich von Prinzenbar bis Docks, und die entsprechenden Bands dieser Kategorie ist furchtbar. Unterhalb der Superstars ist die Kartennachfrage massiv eingebrochen. Wie sehen Sie dem entgegen?
Wenn es dafür eine ideale Lösungsformel gäbe, würde die Veranstaltungsbranche sie längst anwenden. Es ist ein Zusammenspiel daraus, überhaupt wieder Angebote zu schaffen, denn Bühnen der Größenordnung von Freiheit und Docks fehlten jetzt lange Zeit in Hamburg, und den Glauben daran zu erhalten, dass das Interesse an Konzerten wieder wächst. Viele Menschen bewegen gerade andere – erschöpfende – wirtschaftliche, gesellschaftliche und emotionale Fragen. Die gilt es zu verkraften, bevor es zu einer Regelmäßigkeit wie bis 2019 kommt. Das ist in unserer Branche auch eine Vertrauensfrage, weil viele Konzertfans in den letzten Jahren auf Kosten sitzen geblieben sind und Vorfreude durch mehrfach verschobene Termine enttäuscht wurde.
Wir haben – noch – über 100 Musikspielstätten in Hamburg. Warum brauchen wir das Docks?
Wir haben in den vergangenen 20 Jahren gesehen, dass nur ein Club in dieser Größenordnung, die Große Freiheit 36, nicht ausreichen würde. Das Docks ergänzt das ideal bei nahezu gleicher Größe mit einem anderen Look und Ambiente, das andere Musikrichtungen, Party-Veranstaltende, DJs, Künstlerinnen und Künstler anspricht. Und die Prinzenbar ist einer der schönsten Clubs der Stadt.