Hamburg. Die ersten Bäume wurden auf das Dach gehievt. Bis zu einer Tonne wiegen die schwersten Pflanzen – und ihre Pflege ist aufwendig.

Um 9.52 Uhr hob die erste Bergkiefer ab – gut gesichert am Kran flog sie langsam in den Hamburger Herbsthimmel davon, um dann doch an der südwestlichen Bunkerseite zur Rindermarkthalle zu stoppen. Kurz verharrte die rund 400 Kilo schwere Pflanze, um dann langsam abgesenkt zu werden.

Hier auf einem der auskragenden Pflanzbalkone bekommt sie ein neues Zuhause. Die alpine Bergkiefer wird es mit einen durchaus herausfordernden Klima zu tun bekommen: Hier oben auf rund 50 Meter Höhe pfeift der Wind deutlich stärker als auf der Feldstraße – auf dem architektonischen Brocken herrscht Brocken-Klima.

Grüner Bunker: Hamburgs faszinierendstes Projekt

„Die Bäume wurzeln nicht nur im Boden, sie werden zusätzlich mit einem Gurtsystem verankert“, erklärt Felix Holzapfel-Herziger, der Gründer des Hamburger Landschaftsarchitekturbüros L+. Seit 2014 befasst er sich mit Hamburgs derzeit spannendstem Bauprojekt, der Begrünung des Feldstraßenbunkers. „Heute ist ein besonderer Tag – mein nachträgliches Geburtstagsgeschenk“, sagt Holzapfel-Herziger.

Der erste Baum für die Begrünung des umgebauten Bunkers wird mit einem Kran auf das Dach gehoben.
Der erste Baum für die Begrünung des umgebauten Bunkers wird mit einem Kran auf das Dach gehoben. © Marcus Brandt/dpa

Gemeinsam mit dem Landschaftsbauer Hildebrandt begann am Mittwoch die Bepflanzung von Hamburgs kleinem Weltwunder: Auf mehr als 7600 Quadratmeter öffentlicher Grün- und Gemeinschaftsflächen sowie dem 300 Meter langen Bergpfad werden rund 4700 Pflanzen gesetzt, zudem 1700 Quadratmeter Fassadenfläche begrünt. Drei Bergkiefern, Säulenwacholder und Portugiesischer Kirschlorbeer machten nun den Anfang.

„Hier entsteht ein Leuchtturm zur Dachbegrünung“

„Endlich geht es los“, sagt Bernhard von Ehren, geschäftsführende Gesellschafter der Baumschule Lorenz von Ehren, die die Pflanzen liefert. „Hier entsteht ein Leuchtturm zur Dachbegrünung“, sagt er. „Der Bunker ist ein einzigartiges Projekt.“ Und ein herausforderndes zugleich. Der überwiegende Teil der Pflanzen muss mit Kränen auf das Bauwerk gehoben werden, das bis zu 58 Meter hoch wird.

Bernhard von Ehren von der Hamburger Baumschule Lorenz von Ehren steht vor den ersten Bäumen auf dem Bunker.
Bernhard von Ehren von der Hamburger Baumschule Lorenz von Ehren steht vor den ersten Bäumen auf dem Bunker. © Marcus Brandt/dpa

Die schwersten Pflanzen – Ahorn oder Felsenbirne – wiegen bis zu einer Tonne. Manche Gehölze, die nun auf St. Pauli wachsen werden, sind bereits dreißig Jahre alt. „Das ist ein extremer Standort“, sagt von Ehren. Wichtig seien neben dem richtigen Standort die Bewässerung, eine gute Pflege, gute Düngung und gutes Substrat.

Dieses wird über große Rohre durch das alte Treppenhaus derzeit auf die sechs Ebenen des Bunkers und des pyramidenartigen Aufbaus gepumpt. Das Substrat wurde speziell für den Standort Feldbunker entwickelt, hat ein geringes Eigengewicht und kann viel Wasser aufnehmen. Die Pflege des Dachgartens obliegt dann einem Gärtnerteam, zu dem auch Fassadenkletterer gehören.

Bepflanzung des Bunkers dauert mehrere Monate

Es sind sorgfältig ausgewählte Pflanzenarten, die vor allem im nordeuropäischen und alpinen Raum beheimatet sind und Frost, Hitze und Sturm in mehr als 50 Meter Höhe aushalten, so Frank Schulze, Sprecher des Bunkerprojekts. „Ein englischer Garten würde nicht zu St. Pauli passen. Also wird es hier auf dem Bunkerdach natürlich und urwüchsig aussehen, ein wenig wild, ein bisschen zerzaust.“

In den kommenden Wochen soll gepflanzt werden – abhängig von der Witterung. Bleiben große Stürme und Frosttage aus, könnte die Arbeiten bestenfalls drei Monate dauern. So wird sich einer der größten Hochbunker Deutschlands langsam in eine Naturoase über den Dächern des Kiezes verwandeln. Hier oben eröffnet sich dem Besucher ein ungewohntes wie faszinierendes Panorama.

Landschaftsgärtner befestigen und pflanzen zwischen den Bergkiefern einen Säulenwacholder (2.v.l) auf die neue Ebene des Bunkers.
Landschaftsgärtner befestigen und pflanzen zwischen den Bergkiefern einen Säulenwacholder (2.v.l) auf die neue Ebene des Bunkers. © Marcus Brandt/dpa

Die Eröffnung ist für das erste Halbjahr 2023 geplant – neben dem Stadtgarten entstehen Räume für Kultur, Ausstellungsflächen, Gemeinschaftsgärten, eine moderne Dreifeldhalle für Schulsport und Kulturveranstaltungen („Georg-Elser-Halle“) sowie ein Hotel. Zudem erhält der Ort einen Gedenk- und Informationsort.

Grüner Bunker auf St. Pauli soll ein Vorbild werden

Auf St. Pauli soll auch die Wissenschaft vorangebracht werden. „Der Bunker wird ein Vorbild und Demonstrationsprojekt für die Klimaanpassung von Großstädten weltweit“, sagt der Wissenschaftler Marco Schmidt von der TU Berlin. Die Experten haben rund 80 Sensoren installiert, die Werte wie Niederschlag, Temperatur, Luftfeuchte, Windgeschwindigkeit, Strahlung und Verdunstung erfassen. Die Erkenntnisse sollen dann geteilt werden.

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Der grüne Bunker stieß im Stadtteil zunächst auf Skepsis, wurde dann aber mit Bürgerbeteiligung entwickelt. „Das Projekt ist großartig, weil es als spektakuläre Begrünungsaktion einen tollen Kontrast in der Stadtarchitektur darstellt“, sagte der frühere Alleinvorstand der Stiftung Historische Museen Hamburg, Börries von Notz. Seit der ersten Idee einer Nachbarschaftsinitiative, 2014, arbeiten Anwohner, Architekten und der Bauherr an Realisierung des grünen Bunkers.

Der erste Baum für die Begrünung des Bunkers wird mit einem Kran auf das Dach gehoben.
Der erste Baum für die Begrünung des Bunkers wird mit einem Kran auf das Dach gehoben. © Marcus Brandt/dpa

Die Baustelle beschäftigt derzeit etwa 180 Menschen und 25 Gewerke. Die Realisation erfolgt von Beginn an in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz und gilt als konzeptionelle Herausforderung: Die Tragkonstruktion wiegt insgesamt etwa 33.500 Tonnen – was dem Gewicht von 60 voll beladenen Airbus A380 entspricht. Die vom Bauherrn Matzen Immobilien KG privat finanzierten Kosten betragen etwa 60 Millionen Euro. Auch die Kosten für die intensive Pflege des öffentlichen Stadtgartens trägt der Bauherr.