Hamburg. Han-Na Chang gibt ihr Debüt als Erste Gastdirigentin bei den Symphonikern. Ein Probenbesuch zeigt: Die Chemie stimmt.

Bei einer Probe gebe es „eine Millions Neins und nur ein einziges Ja“ hat der ebenso große wie gefürchtete Sergiu Celibidache einmal gesagt, von dem es heißt, er habe in Rage schon mal ein komplettes Orchester überbrüllt. Han-Na Chang kennt das Zitat natürlich, doch zu eigen hat sie es sich nicht gemacht, wie eine Probe am Mittwochvormittag in der Laeiszhalle zeigt.

Ganz in dezentem Schwarz gekleidet, die langen Haare zu einem Zopf gebunden, sitzt die 39-Jährige am Dirigentenpult vor den Musikerinnen und Musikern der Symphoniker Hamburg und sagt vor allem: „Ja!“ Oder „Danke!“ Und einmal sogar „Ooooooh … das war schön!“

Nicht weil sie die Auseinandersetzung scheut oder leicht zufrieden zu stellen wäre, sondern weil ihre Detailarbeit an Beethovens 7. Sinfonie hörbar Ergebnisse zeigt, die sie offenbar regelrecht glücklich machen.

Laeiszhalle: Kühnel machte Han-Na Chang ein Angebot

„Es geht bei der Musik nicht um mich, sondern um uns“, sagt sie anschließend im Garderobengespräch. „Natürlich habe ich eine Vision, die ich dem Orchester zu vermitteln versuche, aber es ist so wichtig, dass wir Freude an dem haben, was wir zusammen tun. Und dass sich diese Freude im Konzert auf das Publikum überträgt.“ Mit ihrem Lachen und ihrer Offenheit trägt die gebürtige Südkoreanerin viel dazu bei, dass eine entsprechende Arbeitsatmosphäre entsteht.

Das war schon im Herbst vergangenen Jahres so, als sie wegen der Erkrankung von Nikolaj Szeps-Znaider kurzfristig einsprang und nicht nur das Publikum, sondern auch Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel so begeisterte, dass er ihr anbot, Erste Gastdirigentin des Orchesters zu werden.

Ein Angebot, das Han-Na Chang sofort annahm, denn: „Die ungeheure Leidenschaft, die große Liebe zur Musik, die dieses Orchester zeigt, das hat mich überzeugt.“ Und so haben die Symphoniker Hamburg eine Dirigentin an sich binden können, die bereits eine Weltkarriere auf etwas anderem Gebiet hinter sich hat.

Han-Na Chang studierte an der Juilliard School

Im Alter von elf Jahren gewann sie den Grand Prize des Concours Rostropowitsch in Paris, wurde später Exklusivkünstlerin bei EMI Classics und hatte mit Mischa Maisky („Er ist wie ein Vater für mich“) ihren größten Förderer. In den Sommermonaten belegte sie Meisterklassen bei ihm in Siena, studierte ansonsten – neben der Schule – an der Juilliard School in New York, wohin sie inzwischen mit ihren Eltern gezogen war.

Das klingt nach einer anstrengenden, entbehrungsreichen Kindheit und Jugend, doch Han-Na Chang sieht das ganz anders. „Als ich mit sechs Jahren mein erstes Cello bekam, war das Liebe auf den ersten Blick. Ich habe es überall mit hingenommen, es sogar umarmt, es wurde ein Teil von mir.“ Niemand habe sie je zum Üben gezwungen.

Im Gegenteil: „Meine Mutter ist Komponistin und hat immer gesagt, ich solle das tun, was mich wirklich glücklich macht.“ Und das war für viele Jahre eben das Cellospiel. Doch bei allem Erfolg war da auch das Gefühl, dass das noch nicht alles ist.

„Ich hörte eine Mahler-Sinfonie und war wie gelähmt“

Schon mit 13 habe es eine Art Erweckungserlebnis gegeben, so erzählt sie: „Ich hörte eine Mahler-Sinfonie und war wie gelähmt.“ Mit 17 habe sie begonnen, auch die Partituren von Bruckner- und Beethoven-Sinfonien zu studieren, nahm erste Dirigierstunden und traf schließlich eine radikale Entscheidung. Gegen das Cello. „Mir war klar, dass ich nicht beides machen kann, Cello spielen und dirigieren.“

In der Branche hätten ihr viele abgeraten („Du hast doch schon so großen Erfolg“), doch der Entschluss stand fest, und schnell fand Han-Na Chang Förderer, die sich wie ein Who’s who der Dirigentenwelt lesen: Giuseppe Sinopoli, Lorin Maazel, Zubin Mehta, Seiji Ozawa, Riccardo Muti – viel mehr geht nicht.

Han-Na Chang gab Debüt im Alter von 24 Jahren

Ihr Debüt als Dirigentin gab Han-Na Chang im Alter von 24 Jahren in Südkorea. Auf dem Programm: Beethovens Siebte. Ihre Augen glänzen, wenn sie davon erzählt – und von dem, was danach kam: „Ich habe einen Fernsehsender angerufen und vorgeschlagen, wir sollten unbedingt eine ganze Serie über die Beethoven-Sinfonien machen: ,Die Menschen in Korea müssen das sehen!‘“ So begeistert sie noch heute davon berichtet, so überzeugend muss sie schon damals gewesen sein: Das insgesamt achtstündige TV-Projekt wurde tatsächlich umgesetzt.

Inzwischen leitet Han-Na Chang seit vielen Jahren das Trondheim Symphony Orchestra, hat Gastdirigate in aller Welt und entdeckt doch immer wieder auch in eigentlich Altbekanntem etwas Neues. Als das Gespräch auf Beethovens 7. Sinfonie kommt, die neben Rossinis Ouvertüre zu „Wilhelm Tell“ und Schostakowitschs Cellokonzert Nr. 1 (mit Mischa Maisky) am Sonntag in der Laeiszhalle zu hören sein wird, springt sie plötzlich auf und holt die Partitur.

Han-Na Chang will für alles eine Begründung finden

Auf fast jeder Seite finden sich handschriftliche Anmerkungen, doch jetzt geht es um eine ganz bestimmte Stelle im letzten Satz. „Hier, sehen Sie?“, fragt sie, singt eine kurze Notenabfolge, blättert fast atemlos zurück, singt wieder.

In der Tat, eine Verbindung. „Wenn ich dem Orchester das zeige, wird klar, warum die Stelle so gespielt werden muss und nicht anders“, sagt sie mit einem Lächeln. Immer wieder gebe es diese Momente der Erkenntnis, je tiefer sie ein Werk durchdringe.

Eine endgültige Interpretation könne es nicht geben, alles entstehe immer neu. Das zu vermitteln, Grenzen auszuloten, sei ihre Aufgabe. Wahre Autorität entstehe nicht durch formale Hierarchien. „Ich kann und will nicht einfach sagen ,So machen wir das jetzt‘. Wer bin ich schon? Nein, ich muss für alles eine Begründung in den Noten, beim Komponisten, finden und das Orchester dann von meiner Vision überzeugen.“

Laeiszhalle: Die Chemie stimmt

Und so werden an diesem Vormittag in der Laeiszhalle zwar einzelne Passagen wieder und wieder geprobt, ist aus Changs Sicht auch mal etwas „zu träge“ oder „viel zu laut“, aber ein Blick in die konzentrierten Gesichter der Musikerinnen und Musiker lässt keinen Zweifel: Die Chemie stimmt. Es könnte der Beginn einer großen Liebe sein.

Han-Na Chang stellt sich vor: Sa 3.12., 15.00, Auswanderermuseum BallinStadt (S Veddel), Eintritt frei Konzert: So 4.12., 11.00, Laeiszhalle, Karten unter elbphilharmonie.de