Hamburg. Ein Ausblick auf das Internationale Musikfest in Hamburg, das mit völlig Abseitigem genauso wie weltbekannten Namen lockt.

„Glaube“ und „Hoffnung“ waren für frühere Musikfest-Vorrunden als Motto genommen worden. Nun also fehlte ganz unbedingt die „Liebe“, als so ziemlich größter gemeinsamer Konzept-Nenner und Dreiklang-Vollendung, um alle Ideen und Programme für das Internationale Musikfest 2023 leitmotivisch einzugemeinden.

Die Grundrezeptur des Frühsommer-Specials bleibt, wie sie war: Interessante Ideen, einige Schwerpunkt-Inseln, große Namen und wild Abseitiges, dazu Übernahmen aus dem Sortiment der örtlichen Anbieter aus dem mit Festival-Lametta umzäunten Zeitraum, der dann vom 28. April bis zum 7. Juni reicht.

Elbphilharmonie: Kent Nagano bleibt "für die großen Kisten zuständig"

Die Philharmoniker und Kent Nagano sind für die großen Kisten zuständig“, so der Erklär-Auftakt von Generalintendant Christoph Lieben-Seutter bei der Programmvorstellung. Die erste wird bei den Eröffnungskonzerten gestemmt: ein Oratorium den US-Amerikaners Sean Sheperd auf Texte der Hamburger Autorin Ulla Hahn (Uraufführung der Auftragsarbeit durch Orchester und Chef nicht vor Ort, sondern einige Tage früher in der New Yorker Carnegie Hall).

Die zweite Kiste hat, wie so vieles, coronabedingt eine längere Wartezeit hinter sich: Jörg Widmanns „Monster-Oratorium“ „ARCHE“, für die Eröffnungs-Saison 2017 geschrieben, kehrt an ihren Ursprungsort zurück. Oratoriums-Spezialität Nummer drei verweist auf einen Themen-Akzent mit Lokalbezug: Alfred Schnittkes „Faust“-Kantate, mit der die Symphoniker unter Andris Poga an den 1998 in Hamburg gestorbenen Polystilisten erinnern.

Esa-Pekka Salonen und Yuja Wang zu Gast beim NDR-Orchester

Wie es sich für ein Residenz-Orchester gehört, ist das NDR-Orchester stark präsent, mit fünf Programmen und seinem Chefdirigent Alan Gilbert, der unter anderem die konzertante „Porgy and Bess“-Version wiederholt, mit der man bereits beim Schleswig-Holstein Musik Festival und in Luzern gastierte. Weltweit begehrte NDR-Gäste sind der Über-Dirigent Esa-Pekka Salonen und die Über-Pianistin Yuja Wang, dann mit dem neuen Klavierkonzert von Salonens Landsmann und Freund Magnus Lindberg.

Gilberts Vor-Vor-Vor-Vor-Vorgänger Sir John Eliot Gardiner kommt, endlich, wieder, aber nicht zum NDR, sondern einerseits mit seinen English Baroque Soloists und Bachs h-Moll-Messe, andererseits mit dem Amsterdamer Concertgebouw und den vier Brahms-Sinfonien. Weitere Hamburg-Ehemalige sind Thomas Hengelbrock, jetzt mit den eigenen Ensembles und dem Cherubini-Requiem, sowie Ingo Metzmacher mit dem Ensemble Modern und Griseys Groß-Opus „Les espaces acoustiques“, eine Herausforderung für Saal und Orchester gleichermaßen.

Handpuppen und ein Bassbariton im Großen Saal

„Einige Projekte sind mehr als nur ein Konzert“, betonte Lieben-Seutter. Im Rahmen der Saal-Möglichkeiten sind halbszenische Misch-Formate geplant: eine angereicherte Version von Mendelssohns „Sommernachtstraum“-Musik mit dem Freiburger Barockorchester oder die Zusammenstellung von Schumann-Chorballaden mit dem Pariser Insula Orchestra und Laurence Equilbey.

Die Sopranistin Julia Bullock singt Messiaens „Harawi“-Liedzyklus, begleitet von einem Klavier und zwei Tänzern im Kleinen Saal. Die Tiroler Freistil-Folklore-Kappelle Musicabanda Franui und der Bassbariton Florian Boesch trauen sich Schuberts „Schöne Müllerin“ mit Handpuppen und Drumherum im Großen Saal zu. Überhaupt, Schubert. Pflicht-Komponist beim Thema unglückliche Liebe, deswegen ein weiterer Klein-Schwerpunkt.

Bekannte Namen wie Jonas Kaufmann und Cecilia Bartoli locken

Es brauchte offenbar einige Jahre, um eine konkrete Zusammenarbeit der Elbphilharmonie mit einem Staatstheater wie dem Thalia für das Musikfest hinzubekommen. Diese Spezial-Premiere im Thalia bestückt der russische Regisseur Kirill Serebrennikow, der mit dieser Elbphilharmonie-Connection alle ersten Hamburger Adressen im Werkkatalog zusammenhat. „BAROCCO“, seine Vertheaterung diverser barocker Opern-Arien und -Duette hatte 2018 an Serebrennikovs damaliger Moskauer Wirkungsstätte Premiere und wird nun, rundum erneuert, wiederholt, mit Opern-Profis, Streichquintett, singenden Schauspielern und überhaupt sehr großem szenischen Besteck.

Thalia-Intendant Joachim Lux versprach eine „gigantische Video-Bild-Welt, das Manifest der Freiheit eines unterdrückten Künstlers, ein sich selbst veränderndes Re-Enactment“. In der Auslage der klassischen Feinkost-Abteilung finden sich Publikumslieblinge wie der Tenor Jonas Kaufmann (nicht in der Elbphilharmonie, sondern in der Laeiszhalle), Cecilia Bartoli und die Wiener Philharmoniker.

Elbphilharmonie: Jochen Distelmeyer ist Teil des Musikfest-Programms

Und sonst so? Nach seinem leicht irritierenden Kurz-Auftritt bei einer Echo-Klassik-Gala möchte Maurizio Pollini den Großen Saal nun wirklich nur für sich allein erleben. Auch Krystian Zimerman, anders, aber ähnlich extravagant, hat sich mit einem Recital angekündigt. Für den „Klaviermarathon“ von Tamara Stefanovich wird das Publikum viel Sitzfleisch benötigen, und die Pianistin enorm viel Kondition: In drei Etappen will sie sich fünf Stunden lang von Bach über Scarlatti, Janacek, Busoni, Skrjabin, Ives und Bartok bis zur letzten Sonate der großen Einzelgängerin Galina Ustwolskaja durch gut vier Jahrhunderte Musikgeschichte arbeiten.

Außerdem etwas Jazz (der rasant einfallsreiche Gitarrist Julian Lage mit seinem Trio), etwas Weltmusik, Chansons und gepflegt Poppiges. In Würde gealterte Absolventen der Hamburger Schule können sich aufs Wiederhören mit Jochen Distelmeyer und seinen „Gefühlten Wahrheiten“ im Kleinen Saal vorfreuen, bestens zum Fest passend, hieß einer seiner Hits doch „Lass uns Liebe sein.“

Internationales Musikfest 28.4. bis 7.6.2023, Karten: www.musikfest-hamburg.de