Hamburg. 75 Jahre nach der Uraufführung war das Drama in den Kammerspielen als Hörspiel zu erleben. Ein bewegender Abend.

Er habe „eine hoffnungslos traurige Stimme“, sagt das Mädchen in Wolfgang Borcherts„Draußen vor der Tür“ zu Kriegsheimkehrer Beckmann, „so grau und vollkommen trostlos, das ist schön.“ Man kennt den Stoff, man weiß, dass das Mädchen Sehnsucht hat und vielleicht tatsächlich etwas für Beckmann empfindet, aber man weiß auch, dass sich der Krieg so tief in beider Leben eingeschrieben hat, dass nichts mehr schön wird. Doch die „hoffnungslos traurige Stimme“, die gibt es tatsächlich.

„Draußen vor der Tür“ wurde am 21. November 1947 an Ida Ehres Hamburger Kammerspielen in der Regie von Wolfgang Liebeneiner uraufgeführt, und Autor Wolfgang Borchert wäre durch diese Aufführung mit einem Schlag zum Star der deutschen Nachkriegsdramatik geworden – wäre er nicht einen Tag vorher verstorben. Tatsächlich war die Vorlage allerdings schon ein Dreivierteljahr zuvor an die Öffentlichkeit gekommen, am 13. Februar 1947 als Hörspiel des damaligen nordwestdeutschen Rundfunks. Und genau 75 Jahre nachdem am gleichen Ort Theatergeschichte geschrieben wurde, zeigten die Kammerspiele am Montagabend noch einmal „Draußen vor der Tür“. Allerdings in konsequenter Werktreue: nicht als Theaterinszenierung, sondern als Live-Hörspiel in der Regie von Kai Wessel.

"Draußen vor der Tür": Dieser Beckmann hat verstanden, dass er keine Chance hat

Womit die „hoffnungslos traurige Stimme“ wieder ins Zentrum rückt. Die gehört Jonas Nay und prägt den gut zweistündigen Abend. Wie bei einem Hörspiel üblich, sind zwar mit Jens Grötzschel und Peter Sandmann auch ein Musiker und ein Geräuschemacher beteiligt, und es ist faszinierend zu beobachten, wie diese Beiden akustisch Stimmungen erzeugen, aber wichtig ist in erster Linie, wie das hochkarätige Schauspielerensemble Borcherts Text stimmlich gestaltet. Bei Nay: zunächst ton- und illusionslos, später dann zunehmend aggressiv.

Dieser Beckmann hat verstanden, dass er keine Chance hat, also kann er sich auch was rausnehmen, gegenüber denen, die er verantwortlich für die traumatische Situation macht. Zum Beispiel gegenüber dem General, der nach Kriegsende längst wieder am gut gedeckten Abendessenstisch sitzt und dem Christian Redl eine kaum erträgliche Leutseligkeit verleiht. Oder gegenüber dem Kabarettdirektor, der nicht einsieht, dass die Ideale der Kunst angesichts der grauenhaften Wahrheit verblassen und den Stefan Gwildis halb in die Karikatur kippen lässt.

"Draußen vor der Tür": Der furchtbare Krieg hat die Zwischenmenschlichkeit vergiftet

Wobei man insbesondere an den Szenen im Kabarett auch spürt, dass „Draußen vor der Tür“ nicht in jeder Hinsicht gut gealtert ist. Borchert behauptet hier ein unbedingtes Wahrheitspathos, das heute ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt – die Kunstdiskussion ist längst weiter, und viele aktuelle Inszenierungen des Stoffs tragen dieser Entwicklung Rechnung. Aber weil der Abend zum Jubiläum der Uraufführung eben peinlich genau darauf achtet, die Vorlage werktreu zu zeigen, werden auch solche Passagen ausgespielt. Was schade ist, weil die Lautstärke dieser pathetischen Haltung auch die sensiblen, menschlichen Figurenzeichnungen überdeckt – die Szene mit dem Mädchen etwa, das von Carlotta Freyer mit stiller Zurückhaltung gesprochen wird.

Das Mädchen also zieht den suizidalen Beckmann aus der Elbe (die Hannelore Hoger mit der derben Pragmatik einer Hafenwirtin auflädt) und nimmt ihn mit zu sich nach Hause. Und als Beckmann erkennt, dass sie ihn zwar mit ehrlicher Zuneigung umsorgt, er aber doch nur der Platzhalter für ihren im Krieg verschollenen Mann (Riccardo Ferreira) ist, bricht alles um ihn zusammen. Der Krieg hat jegliche Zwischenmenschlichkeit vergiftet, da bleibt keine Aussicht mehr auf Rettung, auch wenn „der Andere“, quasi die innere Stimme Beckmanns, versucht, einen positiven Blick beizubehalten. Jerry Hoffmann spricht diesen „Anderen“ mit verzweifeltem Lebensmut, will dem Hoffnungslosen Perspektiven aufzeigen und weiß doch, dass es keine Perspektive gibt.

"Draußen vor der Tür": Spektakuläre, eigensinnige Produktion ausnehmend gelungen

Auch wenn man also von Anfang an weiß, dass nichts gut werden wird, ist dieser „Draußen vor der Tür“-Abend ein spannendes Theaterexperiment. Weil das Ensemble sein Bestes gibt, weil es interessant ist, zuzusehen, wie hier eine akustische Welt entworfen wird. Dass Kai Wessels Treue zur Vorlage die Aufführung manchmal in eine Sackgasse führt, ist dabei vernachlässigbar: Als einmaliges Event anlässlich des Jubiläums eines Theaterereignisses ist diese so spektakuläre wie eigensinnige Produktion sogar ausnehmend gelungen.