Hamburg. “Grump“: Ein skurriler alter Mann macht sich auf die Suche nach einem besonderen Ford Escort. Ein Interview mit dem Regisseur.
Viele Jahre lang hat Mika Kaurismäki mit seiner Familie in Brasilien, der Heimat seiner Frau, gelebt. Als dort die Situation unter Präsident Jair Bolsonaro immer unerträglicher wurde, kehrten sie nach Europa zurück, zunächst nach Portugal, der Sprache wegen, inzwischen leben sie in Finnland.
Sein finnischer Humor ist Kaurismäki in der Ferne nicht abhandengekommen, das zeigte er zuletzt in der Culture-Clash-Komödie „Mister Cheng in Pohjanjoki“. Für „Grump“, die Geschichte eines skurrilen alten Mannes, der unbedingt einen bestimmten Typ Ford Escort nachkaufen möchte, nachdem er seinen geschrottet hat, arbeitete er mit dem Hamburger Produzenten Raoul Reinert („Dengler“) zusammen.
Kaurismäki hat in München studiert und hier viele Freunde. „Nach Finnland und Brasilien ist Deutschland meine dritte Heimat“, sagt er. Der deutsche Teil des Roadmovies beginnt in Hamburg. Dorthin kommen Kaurismäki und Reinert am Dienstag zur Filmpremiere ins Abaton.
Wie beginnen Ihre Filme? Mit Dialogen, oder haben Sie Bilder im Kopf?
Mika Kaurismäki: Kommt ganz darauf an. Dieser Film ist anders, er basiert auf einem Roman. Die Figur war also schon da. Der Autor Tumoas Kyrö hat mehrere Bücher über diesen besonderen Helden geschrieben. Meine Verfilmung ist die dritte.
Was hat Sie an diesem Stoff gereizt?
Kaurismäki: Ich mag die Figur. Und in den Romanen gibt es viel Kaurismäki-Stimmung. Auch der Schauspieler Heikki Kinnunen gefällt mir gut. Ich habe mit dem noch nie gearbeitet, obwohl er in Finnland sehr bekannt ist. Das wollte ich unbedingt. Damit war das Paket für mich eigentlich schon geschnürt. Wenn man bei Null anfängt, ist das ein ganz anderer Prozess. Ich habe nur Regie geführt, das war sehr angenehm. Sonst bin ich auch Produzent oder Koproduzent und arbeite am Drehbuch. Manchmal schneide ich auch. Wenn du alle anderen Sachen auch machen musst, bist du eigentlich schon müde, wenn es um die Regie geht. Aber diesmal war der Tisch gedeckt.
Wie erfolgreich sind diese Romane in Finnland?
Kaurismäki: Sehr. Der Erfolg begann, als das Radio ein Hörspiel darüber gesendet hat. Das waren nur kurze Sketche, aber sie wurden sehr populär. Dann hat der Autor angefangen, Romane zu schreiben. Bisher sind sie immer Bestseller.
Grump trägt im Film eine abenteuerliche Fellmütze. War das Ihre Idee?
Kaurismäki: Nein, das ist im Roman auch schon so. Das passt doch zu ihm. Es ist natürlich ein bisschen übertrieben, aber es ist nicht unmöglich, so etwas zu besitzen. Die Figur ist tragikomisch, aber die meisten Leute sehen den Film als Komödie. Aber ich wollte auch immer das Drama mit an Bord haben. Die Komik kommt doch sowieso.
Es geht um Sprachlosigkeit und Familiengeheimnisse. Große Themen für so einen kleinen alten Mann.
Kaurismäki: Und natürlich um den Ford Escort. Der ist sehr wichtig für ihn, denn er hat ihn sein ganzes Leben begleitet. Er hat ihn gekauft, als er sein erstes Kind bekommen hat. Mittlerweile hat er seine Frau verloren. Der Wagen ist sehr wichtig, auch weil er ein Vehikel sein soll, damit Grump endlich zu seinem Bruder kommt. Den alten Wagen kann man nicht mehr reparieren, er muss einen neuen kaufen. Aber vielleicht die Beziehung zu seinem Bruder? Wenn man will.
Haben Sie gegenüber der Romanvorlage viel verändert?
Kaurismäki: Ziemlich viel, aber nicht die Grundidee. Es gab mehrere Nebenhandlungen im Buch, die ich weggelassen habe. Der Bruder ist im Film wichtiger als im Roman.
Eine hübsche Idee betrifft die Handlung in Hamburg. Weil Grump weder Deutsch noch Englisch spricht, nehmen die Leute auf St. Pauli an, er suche kein Auto, sondern einen Escort-Service. Das führt natürlich zu Verwirrungen.
Kaurismäki: Das gab es auch schon im Buch und musste unbedingt drinbleiben, denn die Leute warteten auf die Szenen mit dem Escort-Service.
Sind Sie ohne Corona-Unterbrechungen mit den Dreharbeiten durchgekommen?
Kaurismäki: Ja, aber wir haben trotzdem einen Schock erlebt. Der Schauspieler, der Grumps Bruder spielen sollte, hatte einen Unfall und konnte nicht mehr weitermachen. Wir mussten die Rolle neu besetzen und alle Szenen mit ihm noch einmal drehen. Gott sei Dank haben wir Kari Väänänen gefunden, und der hatte Zeit. Mit dem ursprünglichen Darsteller wäre es wohl noch komödiantischer geworden.
Ist „Grump“ in Finnland schon gestartet?
Kaurismäki: Ja, er ist bisher der größte finnische Erfolg des Jahres. Nur „Top Gun“ und die „Minions“ sind besser gestartet. Die älteren Leute gehen auch in Finnland viel seltener ins Kino als früher.
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Sie haben lange in Brasilien gelebt. Dort hat mittlerweile Lula die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Gehen Sie zurück?
Kaurismäki: Wir haben noch eine Wohnung da, aber ich glaube nicht, dass wir dauerhaft dort leben wollen. Meine Kinder sind elf und 13 Jahre alt. Wir können nicht dauernd die Schulen wechseln. Finnland ist gut, aber ich vermisse auch das tropische Klima.
Wie hat es Ihnen gefallen, dass Finnland jetzt in die Nato eintreten will?
Kaurismäki: Es gab keine andere Wahl. Zuerst war ich dagegen, denn ich glaube nicht, dass Russland schnell über die Grenze kommt. Unsere Armee ist auch sehr stark. Die Russen sollten lieber drei Mal überlegen, bevor sie bei uns einmarschieren. Aber 80 Prozent der Finnen sind für den Nato-Beitritt, das ist ja wohl ganz klar. Wie schnell das ging, hat mich sehr überrascht.
Hamburg-Premiere „Grump“ startet am 24.11. in den Kinos. Schon am Di 22.11., 19.30 Uhr, ist der Regisseur zu Gast im Abaton (Bus 4, 5), Allende-Platz 3; www.abaton de