Hamburg. Bei der Gala zum Deutschen Musical Theater Preis im Tivoli gewinnt „Ku’damm 56“ vier Preise. Hausherr Littmann kritisiert Vergabemodus.

Am Ende gab es auf vielen Stühlen kein Halten mehr, und als geneigter Zuschauer dachte man sich: Det is Berlin. Kaum hatte die Hamburger Schauspielerin Daniela Ziegler den Sieger in der Kategorie „Bestes Musical“ verkündet, da enterte das gut 30-köpfige Ensemble von „Ku’damm 56“ die Bühne des Schmidts Tivoli. Dabei war das obligatorische Gruppenfoto mit allen Geehrten in 14 Kategorien bei der Gala des Deutschen Musical Theater Preises noch gar nicht gemacht.

Einige der Beteiligten an „Ku’damm 56“ konnten gleich dableiben: Die Bühnenadaption des aufwendigen ZDF-Dreilteilers über den Aufbruch der Jugend und die schwierige Rolle der Fraue(en) in den 50er-Jahren vom Stage Theater des Westens Berlin war mit sieben Nominierungen der Favorit der Preisverleihung für die Saison 2021/22 gewesen. Darunter waren mit Sandra Leitner und Katja Uhlig zwei von drei Frauen als beste Hauptdarstellerin. Außer Uhlig wurden bei der mehr als dreistündigen Gala noch David Nadvornik als bester Nebendarsteller und ein Quartett um Peter Plate, Sänger und Keyboarder des Popduos Rosenstolz, für die beste Komposition ausgezeichnet.

„Ku’damm 56“: Früher war nicht immer alles besser

Mehrfach dankten die für „Ku’damm 56“-Prämierten der Autorin Annette Hess, ohne deren Drehbuchfassung ihr Bühnenerfolg nicht möglich geworden wäre. „Ein Musical, das einmal mehr beweist, dass früher nicht immer alles besser war“, sagte Bodo Wartke mit ironischem Unterton. Der in Hamburg künstlerisch sozialisierte Kabarett-Entertainer und Reim-Meister mahnte im flexiblen Moderationstandem mit seiner kongenialen Bühnenpartnerin Melanie Haupt zur Kürze bei Präsentationen und Danksagungen. Und zu Wartkes Klavier-Begleitung sorgte Haupt mit zwei irrwitzigen Opern-Parodien auf „Die Zauberflöte“ als „Die Königin der Nacht“ und als Pamina zur Freude des Publikums im nahezu ausverkauften Saal für die Höhepunkte der Show-Acts.

Da konnte auch das von vier Sängern vorgetragene „Liebeslied von Mann zu Mann“ aus der „Operette für zwei schwule Tenöre“ nicht ganz mithalten. Johannes Kram wurde für sein Werk am BKA-Theater Berlin aber in der Kategorie „Beste Liedtexte“ geehrt. Die Neuköllner Oper bekam zwei weitere Preise für die Hauptstadt. Von anderen, in den Metropolen kaum bekannten nominierten Bühnen, waren nur Stück-Schnipsel von jeweils etwa zehn Sekunden zu sehen – zu wenig, um als geneigter interessierter Zuschauer erhellende Einblicke zu erhalten.

41 Produktionen nominiert – aber keine aus Hamburg

Dabei gab es mit 41 deutschsprachigen Produktionen von privaten und städtischen Theatern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz für die vergangene Spielzeit mehr vielfältige Bewerbungen denn je bei der Deutschen Musical Akademie (DMA), Veranstalter der achten Preisverleihung. Hamburg, die oft beschworene „Musical-Metropole“ (weil weltweit von Umsatz und Publikumszuspruch Nummer drei hinter New York und London), war in keiner der 14 Kategorien nominiert. Dennoch hatte Corny Littmann, dessen Schmidts Tivoli die Gala zum vierten Mal ausrichtete, alle in der „Musical-Hauptstadt Hamburg“ begrüßt.

Regisseur Christoph Drewitz (2.v.l.) jubelt mit dem Ensemble von „Ku’damm 56“. Vorn: Melanie Haupt und Bodo Wartke.
Regisseur Christoph Drewitz (2.v.l.) jubelt mit dem Ensemble von „Ku’damm 56“. Vorn: Melanie Haupt und Bodo Wartke. © DMA/TIVOLI/Morris Mac Matzen

Als gewiefter Theatermacher verwies er auf Langzeit-Erfolge wie „Heiße Ecke“. Anderseits monierte er, dass keine Kinder- und Familien-Musicals berücksichtigt worden seien, etwa der im Herbst 2021 im Tivoli uraufgeführte „Der achtsame Tiger“. Gleichzeitig brach Littmann eine Lanze für den längst nicht von alllen hofierten Musical-Multi Stage Entertainment. Dessen jüngst vielfach gelobte deutsche Erstaufführung des Broadway-Erfolgs „Hamilton“ im Operettenhaus könne ja im Jahr 2023 auch nicht geehrt werden, weil es eben keine Uraufführung in deutscher Sprache sei, unkte Littmann.

Ehrenpreis und Standing Ovations für Angelika Milster

Jedoch kündigte Marco Jung, 2. Vorsitzender der DMA, die Schaffung eines neuen Sonderpreises an, des Craig-Simmons-Preises. Das Gründungsmitglied der DMA, ein gebürtiger US-Amerikaner und kreativer Regisseur, war im Vorjahr unmittelbar vor der Verleihung gestorben. „Der Preis soll bewusst Verdienste auszeichnen, die sich im regulären Wettbewerb des Deutschen Musical Theater Preises nicht abbilden lassen“, sagte Jung. Darunter fielen etwa Produktionen „nicht original deutschsprachiger Musicals“ und Personen, die daran mitwirkten.

Übte zur Begrüßung Kritik am Vergabemodus: der Preise Hausherr Corny Littmann.
Übte zur Begrüßung Kritik am Vergabemodus: der Preise Hausherr Corny Littmann. © DMA/TIVOLI/Morris Mac Matzen

Einmütigen und minutenlangen Applaus inklusive Standing Ovations erhielt die diesjährige Ehrenpreisträgerin der Akademie: Musicaldarstellerin, Sängerin und Schauspielerin Angelika Milster war von Musiker und Autor Sebastian Krumbiegel (Die Prinzen) – beide kennen sich seit 30 Jahren – in dessen Laudatio als Frau „für alle Genres, von Musical, Jazz, Klassik, Pop und Schlager“ sowie als „wunderbarer Mensch“ gewürdigt worden.

Und was sagte die Milster als Erstes nach der Huldigung? „Vor Ihnen stehen 50 Jahre Lampenfieber.“ Und erinnerte an ihre erste Rolle Anfang der 70er in Hamburg, in „Godspell“ am Thalia Theater. „Später war ich dann die Katze“, spielte sie auf die Grizabella in „Cats“ an, mit der sie 1983 in der deutschsprachigen Erstaufführung des Webber-Musicals im Theater an der Wien ihren Durchbruch erlebte. Es war der Beginn des Musicals-Booms hierzulande –Milster mischt bis heute mit.

Weitere Informationen und Preisträger: www.deutschemusicalakademie.de