Hamburg. Bei der amtlichen Gala glitzert es ordentlich. Die Künstlerin Mable Preach ruft sich auf Kampnagel selbst zur Intendantin aus.
Kampnagel feiert 40 Jahre seines Bestehens und wie es sich für einen runden Geburtstag gehört, fahren Amelie Deuflhard und ihr Team eine amtliche Gala auf. Die ist in Szene gesetzt vom derzeitigen Shooting-Star des theatralen Empowerments: Mable Preach. Die Regisseurin, Schauspielerin, Choreografin und Netzwerkerin wurde jüngst für den Theaterpreis „Der Faust“ in der Kategorie „Genresprenger“ nominiert und wenn es diese Kategorie nicht schon gegeben hätte, hätte man sie für Mable Preach eigentlich erfinden müssen.
Die Gala „Inauguration Now“ widmet sie diesmal ganz einfach sich selbst und der eigenen Erfolgsgeschichte. Stilecht empfängt sie das Publikum in der Halle K2 im flamingofarbenen Anzug, silbernem Glitzertop und rosa Sneakers. Preach inszeniert sich als neue Kampnagel-Intendantin, was natürlich eine recht unverblümte Behauptung darstellt – Amelie Deuflhards Vertrag läuft schließlich bis 2027. Aber die Künstlerin und ihr interkulturelles Team lassen keinen Zweifel daran: die Zukunft ist vielfältig, bunt und sie wird bereits jetzt lautstark eingefordert.
Kampnagel: Es glitzert ordentlich
Entsprechend glitzert es ordentlich. Eine von zwei Tasteninstrumenten flankierte dreiköpfige Band spielt sich, neben einer in Bonbonfarben leuchtenden Showtreppe platziert, durch Rhythmen von Jazz und Soul bis Reggae. Vier Sängerinnen in langen Glitzer-Roben teilen sich die Bühne, versprühen ordentlich Show-Glamour und singen „It’s about that time“.
Per Video-Botschaft und live auf der Bühne reihen sich Gratulanten aus der künstlerischen Vita Mable Preachs auf. Eva Maria Stüting beschwört die Anfänge der seit 2001 von ihr als Dramaturgin verantworteten Jugendsparte auf Kampnagel. „Die Welt braucht Kunst, um Utopien zu entwerfen. Sie braucht Perspektivwechsel, um Solidarität zu trainieren“, so Stüting. „Die Kunst und ganz besonders das Theater, ermöglichen es uns, über die Realität zu sprechen und sie dennoch zu ertragen, weil wir erkennen, dass sie veränderbar ist.“
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Der Schriftsteller und Regisseur David Chotjewitz grüßt per Botschaft aus dem indonesischen Java und erinnert zur allgemeinen Erheiterung an seine erste Kampnagel-Begegnung. Die Eintrittskarten erschienen ihm in jungen Jahren zu teuer – also hat er sie per Kopierer kurzerhand in einem Altonaer Kopiershop gefälscht.
Vier Jahrzehnte Kampnagel: Vor allem die tänzerischen Darbietungen überzeugen
Viele der Darbietenden stammen aus dem Umfeld von „Formation Now“, jenem Festival für urbane Jugendkultur, das Mable Preach, hervorgegangen aus dem Verein Lukulule e.V., regelmäßig veranstaltet. Es bietet aufstrebenden jungen Künstlerinnen und Künstlern vor allem aus interkulturellen Kontexten eine Plattform, Sichtbarkeit. Da ist viel Talent an der Schnittstelle von Unterhaltung und Theater versammelt, wie die Gala beweist.
Vor allem die tänzerischen Darbietungen überzeugen. Die musikalischen sind auch mal von durchwachsener Qualität. Das betrifft auch die Moderation von Lux Venérea. Die der Travestie verschriebene Comedienne witzelt über das notorisch zurückhaltende Hamburger Publikum und versucht eine Art liebevolle Publikumsbeschimpfung, was aber eher die Irritation verstärkt.
Eine formal interessante Performance präsentiert der Künstler Benson A’kuyie, angesiedelt irgendwo zwischen Tanz, Afro-Futurismus und magischem Ritual. Auch das fünfköpfige Kollektiv Abel überzeugt. Die eindringlichste Darbietung kommt erneut von dem Kollektiv „House of Brownies“, das dafür auch prompt einen neuen Nachwuchspreis („Rise Price“) verliehen bekommt. Pascal Schmidt begeistert mit fluiden Bewegungen und perfekter Voguing-Körperbeherrschung.
Kampnagel: Am Ende ist der Gala-Jubel groß
Tash Manzungu versteht es, in einer ganz puren Darbietung allein mit ihrer ausdrucksstarken Stimme, das Publikum tief zu berühren. Und Mona Farivar präsentiert ihre eindrucksvollen Tanzkünste in HipHop und Freestyle. Eindrucksvoll vollführt sie erst traditionelle Schleiertanz-Bewegungen, während diese parallel in Schwarz-Weiß-Aufnahmen über die Leinwand flimmern. Dann gibt es einen Riss in der Musik und schließlich auch im Tanz, dessen Bewegungen auf einmal ganz in der Gegenwart ankommen. In einer Art Suada vermittelt Farivar sehr glaubhaft und schonungslos die Lücken in der eigenen Identität. Ein kraftvoller Beitrag, der lange nachwirkt.
Am Ende ist der Gala-Jubel groß und wird von dem Kollektiv „One Mother“ musikalisch und gesanglich noch einmal mit mitreißendem Soul hochgekocht. Mable Preach selbst betritt die Bühne zwischendurch nur kurz und beschwört Einheit, Teilhabe und Gemeinschaft – für alle. Sie versteht es, Menschen auf eine künstlerische Reise und zugleich in eine eindrucksvolle Selbstbehauptung mitzunehmen.
Nach zwei Stunden straffem Unterhaltungsprogramm wartet im Foyer eine große, einladende Tafel mit Brot, Käse, Wein und vertiefenden Gesprächen für alle. Kampnagel erweist sich mit 40 Jahren in Hamburg als ein Ort, an dem sich jeder willkommen und zugehörig fühlen kann. Und das ist in diesen Zeiten der allseits tiefen Gräben auch mal ein schönes Gefühl.
Mable Preach: „Inauguration Now“ Bis So 2.10., jew. 19.30, Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de