Hamburg. Das Solostück von der Kulturbühne Spagat aus München hätte in den Kammerspielen mehr Zuschauer verdient gehabt und ist preiswürdig.

Zum zehnten Jubiläum der Privattheatertage (PTT) liegen Zettel in den Foyers der Spielstätten mit dem Logo des Festivals aus, auf denen der Satz „Die Privattheatertage sind wichtig, weil …“ handschriftlich ergänzt werden kann. Die besten Argumente für den Erhalt der alljährlich mit 500.000 Euro vom Bund geleisteten, für 2023 aber noch ungewissen Unterstützung des Festivals liefern die von der Reise-Jury nominierten Produktionen. Stücke, die außerhalb ihrer Heimat womöglich nie zu sehen wären.

Bestes Beispiel ist „Kitzeleien – Der Tanz der Wut“ von der Kulturbühne Spagat aus München. Selten in der PTT-Historie ist das Publikum nach Ende einer Vorstellung derart schnell und einmütig vor Begeisterung aufgestanden, wie nach dem Ende des Solostücks mit Lucca Züchner in den Kammerspielen. Was die Schauspielerin in der von ihr selbst und Stephanie Tschunko erarbeiteten Bühnenfassung zur deutschen Erstaufführung gebracht hat, ist beileibe kein leichter Stoff – wie im französischen Original geht es ums Thema Kindesmissbrauch und sexualisierte Gewalt.

„Kitzeleien“ überzeugt das Publikum

In der Rolle der achtjährigen Odette kehrt Lucca Züchner allen zunächst den Rücken zu, öffnet sich dann jedoch und tanzt zwischendurch immer wieder, um auszudrücken, was sie nicht sagen kann, worüber sie nicht sprechen kann – auch deshalb, weil ihr als Kind niemand zugehört hat. Der „nette Onkel“ Ronald, ein Freund der Familie, hat das Mädchen missbraucht. Das Tanzen, das es von Kindesbeinen an liebt, wird die einzige Zuflucht. Erst 22 Jahre später beginnt Odette, ihre Erlebnisse aufzuarbeiten.

Regisseur Thorsten Krohn erzählt diese wahre Geschichte mit der beeindruckenden, körperlich alles gebenden Darstellerin in Rückblenden, mit Zeitsprüngen, Orts- und Figurenwechseln. Bei Lucca Züchner reicht schon eine halbe Drehung, eine geänderte Kopfhaltung oder ein Zupfen am T-Shirt, um sich nicht bloß stimmlich in einen anderen Charakter zu versetzen – ob nun ihren Peiniger, ihren Vater oder ihre Mutter, die auch bei der gemeinsamen Therapie kein Leid der Tochter erkennen will und lieber pseudo-damenhaft an der Zigarette zieht. Blitzschnell changiert Züchner von der Verzweiflung zur Komik. Denn eine humorvolle Leichtigkeit versprüht das Drama überraschenderweise, wenn die Schauspielerin etwa eine eigenwillige Ballet-Professorin mimt oder das Musical-Business aufs Korn nimmt.

Das Thema Kindermissbrauch und dessen mangelnde Aufarbeitung bleibt zeitlos, leider. Egal ob bei den Privattheatertagen ausgezeichnet oder nicht, „Kitzeleien - Der Tanz der Wut“ sollte unbedingt noch einmal in den Kammerspielen gastieren. Damit noch mehr Menschen dieses Stück erleben können, das an diesem Abend, vielleicht auch aufgrund der Sommerhitze, den Saal nur halb füllte.

Privattheatertage bis 3.7., Infos und Karten: www.privattheatertage.de