Hamburg. Die Theaterei Herrlingen zeigt ihre Inszenierung von Dörte Hansens Erfolgsroman bei den Privattheatertagen in Hamburg.
Da schreibt eine in Husum aufgewachsene Autorin einen Erfolgsroman, der den Mikrokosmos Dorf gleichzeitig feiert und kritisiert und der den Handlungsort, das riesige Obstanbaugebiet Altes Land südlich von Hamburg, schon im Titel trägt. Dieser Roman wird von einer Theatergruppe im tiefsten Schwaben für die Bühne adaptiert.
Und im Rahmen der Privattheatertage kommt diese Inszenierung dann zurück nach Hamburg, genauer: ins Harburger Theater, nur wenige Kilometer vom Alten Land entfernt. Ob man das jetzt kulturelle Aneignung nennt oder eine Skurrilität der Theaterpraxis: Der Begriff „Heimat“ erweist sich hier als ziemlich dehnbar.
"Altes Land": zutiefst norddeutscher Stoff, schwäbisch interpretiert
Dörte Hansens 2015 erschienener Roman „Altes Land“ erzählt eine Frauengeschichte über drei Generationen: Hildegard von Kamcke flieht nach 1945 gemeinsam mit ihrer Tochter Vera aus Ostpreußen ins Alte Land, wo sie als „Polackin“ angefeindet wird. Später studiert Vera Zahnmedizin und eröffnet im Dorf eine Praxis, während ihre Nichte Anne in Hamburg lebt und nach einer privaten Tragödie gemeinsam mit ihrem Sohn Leon zu Vera zieht. Der Roman ist eine lange Abfolge von Vertreibung, Abgrenzung und der Sehnsucht, dazuzugehören, das Land ist keine Idylle, sondern eine Struktur, in die man hineingeworfen wird, bevölkert von groben, maulfaulen Typen, die einen spüren lassen, dass man hier nichts verloren hat. Aber wie will die schwäbische Theaterei Herrlingen diesen zutiefst norddeutschen Stoff fassen?
Herrlingen, das liegt bei Blaubeuren. Und Blaubeuren liegt bei Ulm. Die Theaterei wurde vor über 30 Jahren im Gasthof Rössle gegründet – ein typisches, privat betriebenes Wirtshaustheater, eine winzige Bühne über der Gaststube, auf der zwar zugängliche Stoffe präsentiert werden, aber nicht ohne Anspruch. Schon Gründungsintendant Wolfgang Schukraft setzte auf zeitgenössisches, kritisches Volkstheater, manchmal gar mit Ausflügen in die Postdramatik, und seine Nachfolgerin Edith Ehrhardt setzt diese Linie fort.
Nur drei Schauspielerinnen für einen ganzen Reigen von Figuren
Ehrhardts „Altes Land“-Inszenierung bleibt ganz nahe an Dörte Hansens Romanvorlage, reduziert das umfangreiche Figurentableau allerdings auf drei Schauspielerinnen: Agnes Decker, Lisa Wildmann und Ursula Berlinghof tauschen die Rollen im fliegenden Wechsel, gespielt werden natürlich die drei Hauptfiguren, aber auch kleine Nebenrollen wie der Nachbarsbauer Hinni Lührs, der sich seine Liebe zu Vera nicht eingestehen kann, oder der Barmbeker Schreiner Drewe, bei dem Anne eine Ausbildung macht.
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Meist werden diese Figurenwechsel nur angedeutet, mit einer neuen Jacke oder einer schief aufgesetzten Mütze, und es spricht für die darstellerische Qualität des Trios, wie leichthändig sie dabei ihre Rollen zum Leben erwecken. Ursula Berlinghof in spröder Einsilbigkeit, Agnes Decker in jugendlicher Frische, vor allem aber Lisa Wildmann, die die Verletzlichkeit ihrer Figuren in eine berührende Verhärtung transformiert.
"Altes Land": Norddeutscher Stoff funktioniert im schwäbischenTheater
Der norddeutsche Romanstoff funktioniert also vorzüglich im schwäbischen Theater. Und das schwäbische Theater funktioniert beim Gastspiel in Hamburg, auch wenn das breite Portal im Harburger Theater eigentlich zu groß ist für die kleine Herrlinger Bühne (Ausstattung: Barbara Fumian) – die Darstellerinnen verlaufen sich in der Weite der norddeutschen Landschaft, die Enge des Dorfes vermittelt sich nicht. Und auch wenn die spezifischen Anforderungen des Hauses den Lichteinsatz manchmal etwas improvisiert erscheinen lassen. Aber, wie gesagt: Die Theaterei Herrlingen ist ein Wirtshaustheater, da weiß man mit widrigen Bedingungen umzugehen.
Vielleicht kann man das von diesem Gastspiel mitnehmen: Heimat ist ein relativer Begriff, das beschreibt schon Hansen im Roman. Aber auch kulturelle Zugehörigkeit ist brüchig, angesichts der verwinkelten Lebensläufe von Hildegard, Vera und Anne. Man muss den Obstbauer in Schwaben nicht unbedingt Spätzle essen lassen, verstanden wird der Stoff trotzdem auch in Herrlingen.
Privattheatertage bis 3. Juli; am Dienstag ist die Münchner Kulturbühne Spagat zu Gast im Monsun Theater; www.privattheatertage.de