Hamburg. Die Gasexplosion legte ein Gebäude in Trümmer – auch ein Musikstudio wurde zerstört. So geht's den Betroffenen heute.

Heute Nacht auf alt gemacht“ ist ein nicht allzu neuer Spruch, der derzeit sehr gut zu Dennis Rux passt. Der Songschreiber, Gitarrist, Produzent und Gründer der Yeah Yeah Yeah Studios lebt seit einigen Wochen als „Nachteule im Zombiemodus“, wie er es nennt. Immer Abends in der Woche sowie an den Wochenenden zaubert er in seinem improvisierten Tonstudio im ehemaligen Budni-Zentrallager in Wandsbek authentischen – sprich: analogen – Vintagesound für Bands, die klingen wollen wie in den 60er- und 70er-Jahren.

Zehn Tage – vielmehr Nächte – können diese Sessions dauern, manchmal bis um 6 Uhr morgens. Fordernde Umstände, aber besser als nichts für Dennis Rux. Das Wandsbeker Gebäude soll bald abgerissen werden, jeden Moment kann das entsprechende Schreiben eintrudeln. Aber Rux kann mittlerweile wirklich wenig überraschen.

Explosion in Barmbek-Süd am Morgen des 31. Mai

Vor rund einem Jahr, in den frühen Morgenstunden des 31. Mai, klingelte bei Rux das Telefon. Der Musiker und Keyboard-Sammler Chris Haertel war in der Leitung und sagte nur: „Oh gut, du lebst.“ Rux und Haertel hatten ihre Räume zusammen mit anderen Produzenten, Streetwear-Designern, Galeristinnen und weiteren Gewerben in einem Gebäudekomplex an der Hamburger Straße in Barmbek-Süd. In jener Nacht hatte, so stellten später die Ermittler fest, ein Mensch entschieden, seinem Leben ein Ende zu setzen und absichtlich eine gewaltige Gasexplosion ausgelöst. Mehrere Wände stürzten ein oder wurden verschoben, Trümmerteile flogen auf die benachbarte U-Bahn-Trasse, die Feuerwehr löschte mehrere Stunden lang. Der gesamte Komplex wurde wegen Einsturzgefahr gesperrt.

Der Gebäudekomplex an der Hamburger Straße nach der Explosion in den frühen Morgenstunden am 31. Mai 2021. Ein Mann kam dabei ums Leben.
Der Gebäudekomplex an der Hamburger Straße nach der Explosion in den frühen Morgenstunden am 31. Mai 2021. Ein Mann kam dabei ums Leben. © dpa | Daniel Reinhardt

Für Rux war besonders der Tod eines Menschen ein brutaler Schock. Danach folgte lange Ungewissheit, was mit seinen Yeah Yeah Yeah Studios passiert war. Drei Monate lang durfte er das Gebäude nicht betreten. Was mit dem unbezahlbaren Herzstück der Studios, dem 1974 für Polygram gebauten Mischpult sowie mit den Bandmaschinen, Mikrofonen, Instrumenten und den 150 Mehrspur- und Masterbändern von Aufnahmen mit den Trashmonkeys, Miu oder Diazpora passiert war, war nicht abzusehen.

„Im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, dass ich ziemlich viel Glück hatte. Mein Hauptstudio war auf der genau gegenüberliegenden Seite der Explosion. Mein Treppenhaus und das Studio waren komplett unberührt, nur ein Lager mit ein paar Geräten hatte einige Löschwasserschäden.“

Explosion: 10.000 Euro für Bergung eines Flügels

Trotzdem durften nach zähen, wochenlangen Verhandlungen nur drei Personen in die Studios, um die Bergungsarbeiten vorzubereiten. Ohne Strom, im Licht von Taschenlampen wurden das vier Meter breite Polydor-Pult in der Mitte geteilt, 300 einzelne Kabelkontakte abgeklemmt und die sperrigen Abschnitte irgendwie durch das sich verjüngende Treppenhaus gewuchtet.

„Der größte Krimi war allerdings der Petrof-Flügel, der größte, den Petrof jemals gebaut hat“, erzählt Rux. Für den musste eine Spezialfirma anrücken, die mit zwölf Mann einen ganzen Tag lang Millimeterarbeit verrichtete. Schwitzen und Schleppen, 10.000 Euro kostete das Manöver. Das schwere Gerät ist jetzt eingelagert, nur das Nötigste steht jetzt im nur ein Viertel so großen Ausweichstudio von Budni. Dort hat Rux bereits mehr als zehn Alben produziert. Im Zombiemodus. Und nach dem letzten Take fängt der Tag eigentlich erst an.

Viel Solidarität mit den Betroffenen

Unmittelbar nach der Explosion setzte nicht nur in der Hamburger Pop-Subkultur eine Welle der Solidarität für die Betroffenen ein. Spendenkonten wurden eingerichtet, Solikonzerte veranstaltet, bis nach Amerika funktionierten die über die Jahre aufgebauten Netzwerke. Das ging Rux sehr ans Herz und berührt ihn bis heute. Auch hatte er sich „gut und hoch privat versichert“, nachdem Bauarbeiter in den ersten, 2009 in Hammerbrook eingerichteten Yeah Yeah Yeah Studios einen Wasserschaden in Höhe von 200.000 Euro verursachten. Der Rechtsstreit mit dem Eigentümer läuft immer noch, dazu kommen der Papierkrieg und das Or­ganisationschaos nach der Explosions­katastrophe in Barmbek-Süd.

Die Hamburg Spinners mit Carsten „Erobique“ Meyer (links)  bei Aufnahmen in den alten Yeah Yeah Yeah Studios in Barmbek-Süd.
Die Hamburg Spinners mit Carsten „Erobique“ Meyer (links) bei Aufnahmen in den alten Yeah Yeah Yeah Studios in Barmbek-Süd. © Dennis Rux | Marie Augustin

Aber Rux rockt. Er mischt im Ausweichstudio, reist als „fahrender Produzent“ durch Europa, und er spielt in vier Bands, die nach zwei Jahren Corona-Pause alle wieder durchstarten wollen. Und natürlich sucht er ein neues Zuhause für seine Yeah Yeah Yeah Studios. Letzteres ist wohl die größte Herausforderung: „Die Suche nach neuen Räumlichkeiten ist extrem schwer. Schon wieder.“

„Wir brauchen Räume“: Protest-Song gegen Stadtentwicklung

„Es gibt so viele Musizierende und Musikproduzierende in Hamburg, die ihre Räume verloren haben. Bei Wasserschäden, bei Bränden wie bei den Hammer Studios von Gamma Ray, wegen Gentrifizierung und Nachverdichtung. Diese Szene braucht Freiraum, und der wird immer enger“, erzählte Rux vor einem Jahr, und die Lage ist in Hamburg ganz sicher nicht besser geworden.

Zusammen mit seiner Band Hamburg Spinners, Carsten „Erobique“ Meyer und dem Komet Kollektiv (die aus Kunst, Musik, Design, Indie-Labels und Promotion bestehende Subkultur-Herumhängerschaft der Kiez-Musikbar Komet) nahm er daher im Januar dieses Jahres den Song „Wir brauchen Räume“ auf, ein „Protestsong als Kampfansage der Hamburger Subkultur“: „Alte Bands, junge Bands, Bands ohne Fans: Wir brauchen Räume“.

Und mittlerweile hat sich dieser Song mehr als verselbstständigt, auch über Hamburgs Grenzen hinaus. Bislang über 20 Remixe und Coverversionen machen Lärm gegen Stadtentwicklungen, die jede Baulücke, jedes vermeintlich obsolete Gebäude an Investoren und Spekulanten verscheuern. Aus Probebunkern werden Lofts, aus altem Büro-Leerstand wird moderner Büro-Leerstand.

Freiräume, besonders für Musikerinnen, Künstler oder einen Studiobetreiber wie Dennis Rux, der 20 Jahre Planungssicherheit für die nächste gewaltige Investition in Technik und Schallschutz und Betrieb braucht, werden immer rarer. Welcher frisch Zugezogene in der eine Million Euro teuren Nachverdichtungs-Dreizimmerwohnung möchte schon Proberäume oder Musikclubs in der Nachbarschaft?

Explosion in Barmbek-Süd – Festival vor dem Knust

So ist aus dem Song „Wir brauchen Räume“ inzwischen das Manifest „#wirbrauchenräume“ geworden, gezeichnet von 50 Initiativen, Vereinen, Veranstaltenden, Clubs und Agenturen vom Clubkombinat bis zum Netzwerk Recht auf Stadt: „Es ist an der Zeit, dass die Stadtentwicklungspolitik den Wert dieser Orte als Sozial- und Kulturraum in der Stadtentwicklung in den Blick nimmt“, heißt es in dem Manifest, es fordert eine „gezielte Strategie und gesteuerte Maßnahmen, um bestehende Orte zu sichern und neue Räume zu etablieren.“ Für Dennis Rux ist das die Forderung an die Stadt, „einfach mal etwas ohne Großinvestor dazwischen zu versuchen“.

Ohne Großinvestor dazwischen veranstaltet Dennis Rux auch am 15. Juni das erste „Komet Kollektiv Festival“ auf dem Lattenplatz vor dem Knust mit den Bands Tetrao Urogallus (mit Rux an der Gitarre), Gosia Jasinka, Diazpora, Georgelucas, Phatcats, Philip Bradatsch & Die Cola Rum Boys und Jer. Sie sind Teil des Pop-Mikrokosmos Hamburg, dem Plankton der Musikstadt Hamburg, ohne den es auch keine dicken Fische gibt. Dass diese Künstlerinnen und Künstler unter freiem Himmel spielen, spricht für sich: Sie brauchen Räume.

Komet Kollektiv Festival Mi 15.6., 18.00, Lattenplatz (U Feldstraße), Neuer Kamp 30, Karten 18,85 Euro; www.knusthamburg.de