Hamburg. An der Hamburger Straße explodiert ein Gebäude – und viele Tonstudio-Betreiber stehen vor dem Nichts. Einer von ihnen ist Dennis Rux.

Es war der 4. Dezember 1971, als ein Fan beim Konzert von Frank Zappa And The Mothers Of Invention im Casino von Montreaux eine Signalpistole abfeuerte und das Gebäude in Brand setzte. Verletzt wurde niemand, aber das komplette Gebäude brannte ab – inklusive der Ins­trumente der Mothers und der Räumlichkeiten, in denen sich gerade die britischen Hardrock-Band Deep Purple mit einem von den Rolling Stones ausgeliehenen mobilen Tonstudio einrichten wollte, um das Album „Machine Head“ aufzunehmen. Zum Glück konnte Deep Purple in das Montreux Grand Hotel umziehen und dort die Brandnacht mit dem Hit „Smoke On The Water“ verarbeiten. Glück im Unglück.

Auf Glück im Unglück hofft auch Dennis Rux, als wir ihn auf dem Kiez besuchen, wo er lebt. Seit den frühen Morgenstunden am 31. Mai steht der Betreiber der Yeah! Yeah! Yeah! Tonstudios in Barmbek-Süd im Wortsinn vor den Trümmern seiner Existenz. Aus immer noch ungeklärter Ursache gab es eine gewaltige Explosion in dem Gebäudekomplex an der Hamburger Straße, in dem neben den Yeah! Yeah! Yeah! Studios noch weitere Studios und Gewerbe ansässig waren. Das Haus ist einsturzgefährdet und nicht begehbar, ein bislang nicht identifizierter Mann kam bei dem Unglück ums Leben. „Dass ein Mensch sein Leben verloren hat, ist das Allerschlimmste. Die Details, die ich mitbekommen habe, sind furchtbar“, sagt Rux.

Explodiertes Haus in Hamburg darf nicht betreten werden

Nicht zu wissen, was da eigentlich passiert ist, die Spekulationen in den Medien und sozialen Netzwerken, all das ist für Rux schwer zu ertragen. „Der Informationsfluss ist sehr spärlich, wir haben in der Zwischenzeit eine Interessengemeinschaft der Betroffenen aus unserem Stockwerk gegründet, um der Polizei oder unserem Vermieter eine zentrale Anlaufstelle zu geben. Bisher ist das Gebäude noch immer als Tatort eingestuft und darf daher von niemandem betreten werden. Auch über die Statik des uns hauptsächlich betreffenden Gebäudeteils haben wir noch keine verlässliche Auskunft.“

Ein Trümmerfeld: Der Gewerbebau an der Hamburger Straße in Barmbek-Süd nach der  Explosion in den frühen Morgenstunden am 31. Mai.
Ein Trümmerfeld: Der Gewerbebau an der Hamburger Straße in Barmbek-Süd nach der Explosion in den frühen Morgenstunden am 31. Mai. © Michael Arning

Es besteht die Möglichkeit, dass Rux seine komplette Studioeinrichtung, die er 25 Jahre lang auf der ganzen Welt zusammengetragen hat, verliert. Schon das Studio-Herzstück, das Mischpult, ist ein seinerzeit eigens für den Medienkonzern Polygram angefertigtes Unikat und war bereits für die Rolling Stones Schaltzen­trale. Aber auch die kleineren Geräte wie die Mikrofone sind Raritäten und teilweise fast 100 Jahre alt.

Gitarren, Schlagzeug, Archiv – alles verloren?

Nicht zu vergessen Gitarren, ein Ludwig-Schlagzeug oder das Archiv mit mehr als 150 Mehrspur- und Masterbändern, die die Produktionen von Rux der vergangenen 20 Jahre dokumentieren: Trashmonkeys, Carsten Meyer & Jaques Palminger, Miu und Diazpora aus Hamburg, Men Of North Country aus Israel, The Youth aus Dänemark, French Boutik aus Frankreich, The Riots aus Russland und viele weitere vertrauen auf Rux und sein komplett analoges Retro-Studio mit seltenem Vintage-Gerät und entsprechend einzigartigen wie inspirierenden Klangmöglichkeiten. Auch eine Studioband, die auf Wunsch Sängerinnen und Sänger begleitet und Songs arrangiert, gehört zum Yeah! Yeah! Yeah!-Konzept.

Dennis Rux (45) in seinen  Yeah! Yeah! Yeah! Studios.
Dennis Rux (45) in seinen Yeah! Yeah! Yeah! Studios. © Christopher Lau

So wie einst die legendären Funk Brothers des Motown-Labels oder aktuell die Dap Kings der Daptone-Studios: New Yorks Keimzelle für den Aufstieg von Amy Wine­house und den Neo-.Soul-Boom. Die Yeah! Yeah! Yeah! Studios waren ein besonderer Ort für große und kleine Kunst, Ideen, Songs, Projekte. Wenige Meter weiter besuchte man das Tonstudio von Jurik Maretzki und Kay Petersen. Oder die Keyboard-Sammlung von Tastenzauberer Chris Haertel. Man ging zum Endmix zu Marc-Dieter Einstmann Mastering und schaute auf die Gold- und Platin-Platten, die sich Einstmann mit seiner Arbeit für Stars wie Mary J. Blige verdiente. Man schaute Joachim Hinsch an seiner Maschine zu, wie er die selten gewordene Kunst des Vinylschnitts zelebrierte. Man machte Bandfotos im Useone Fotostudio oder bestellte Hip-Hop-Mode bei *Aight Evolution.

Große Unterstützung in Hamburg

In der kulturell eher übersichtlichen, ironisch-liebevoll „Barmbronx“ genannten Gegend zwischen dem Club Freundlich + Kompetent im Mundsburg Center und dem Hamburger Puppentheater am Flachsland war der Gewerbebau an der U-Bahnstation Dehnhaide ein kreatives Miniquartier mit Verbindungen um den ganzen Erdball. Daher sorgte die Nachricht von der Katastrophe nicht nur für Entsetzen, sondern sofort auch für solidarische Hilfsangebote und Aktionen. „Hunderte Musiker haben ihre Hilfe beim Heraustragen der Geräte angeboten. Amerikanische Vintagemikrofonverkäufer haben gespendet, ich bin überwältigt vom Support durch die Szene, das macht richtig Mut“, sagt Dennis Rux. „Die Hamburger Clubs waren innerhalb weniger Tage mit Angeboten für Solikonzerte am Start. Ein erstes ist für den 16. Juni auf dem Knust-Lattenplatz angesetzt, weitere werden folgen.“

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Unabhängig von der Frage, was von der Einrichtung, die einen sechsstelligen Eurobetrag wert ist, gerettet werden kann und was die Versicherungen übernehmen, beschäftigen Rux auch die ganz generellen Aussichten für Tonstudios wie seines. Der 1975 in Bremen geborene Musiker richtete 1997 in Göttingen sein erstes Studio ein, über Ganderkesee ging es dann 2009 nach Hammerbrook.

Dennis Rux will sich mit anderen Hamburgern verbinden

Dort, in den ersten Yeah! Yeah! Yeah! Studios, verursachten Bauarbeiter zwei Wassereinbrüche und 200.000 Euro Schaden. Bis heute führt Rux mit dem Eigentümer, dem dänischen Investoren Bent Jensen, einen Papierkrieg um den Schadenersatz. Und nun ist auch noch das ursprünglich als Ausweichquartier übernommene Studio in Barmbek einsturzgefährdet. „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß“, zitiert Dennis Rux das Barmbeker Fußball-Idol Andi Brehme.

Bei einem erneuten Umzug weiß Rux, was auf ihn und die anderen Studiobetreiber zukommt: „Studios sind sehr spezielle Orte. Man macht viel Krach, kann aber selber keinen Krach um sich herum dulden. Deshalb werden professionelle Studios in einer Raum-in-Raum-Technik gebaut, die extrem aufwendig und sehr teuer ist. Ich versuche mich mit anderen Geschädigten zu verbinden, nicht nur aus dem Haus hier in Barmbek. Es gibt so viele Musizierende und Musikproduzierende in Hamburg, die ihre Räume verloren haben. Bei Wasserschäden, bei Bränden wie bei den Hammer Studios von Gamma Ray, wegen Gentrifizierung und Nachverdichtung. Diese Szene braucht Freiraum, und der wird immer enger.“

Tonstudios haben es in Hamburg schwer

Anwohnerbeschwerden, hohe Mietpreise, teurer Brand-, Schall- und Einbruchschutz, zu wenig Platz für Technik und Künstler: Was für Proberäume seit Jahren eine vielfältige Problemlage ist, potenziert sich für professionelle Tonstudios. Dazu kommt die Heimstudio-Konkurrenz, die die digitale Evolution der vergangenen Jahren mit sich brachte. Besonders im Electro- und Hip-Hop-Bereich wird Musik am Rechner gemacht und verbreitet.

Carsten Meyer (l.) und die Hamburg Spinners bei  Aufnahmen.
Carsten Meyer (l.) und die Hamburg Spinners bei Aufnahmen. © Marie Augustin

„Musikalität, Individualismus, das Unangepasste bleibt dabei sehr auf der Strecke“, sagt Rux, der den Markt der „Klötzchenschieber“ für gesättigt hält. „Zum Glück gibt es weltweit wieder junge Musikerinnen und Musiker, die darauf keine Lust haben und live in einem Studio aufnehmen wollen.“ So wie Deep Purple oder Amy Winehouse. Wie die Beatles in der Abbey Road. Oder wie Carsten Meyer in den Yeah! Yeah! Yeah! Studios.

„Soundlotsen“: Legendäre Hamburger Studios

Yeah! Yeah! Yeah! Studios, Einstmann Mastering, Boogie Park Studios, Chefrock Studios, Clouds Hill Studios, German Wahnsinn: Für ihr Buch „Soundlotsen“ (2020) haben die Autoren Sascha Krüger und Thomas Soltau mit Fotograf Thomas Duffé 16 besondere Hamburger Tonstudios und die Menschen, die dort arbeiten, porträtiert.

Spendenaktion 35 Prozent der Einnahmen durch Poster- und Buchverkäufe über die Website soundlotsen.de gehen an die betroffenen Barmbeker Studios.

Spendenaktionen und Soli-Konzert vor dem Knust

Die Betroffenen aus den Tonstudios, Ateliers und weiteren Gewerben haben bis auf Weiteres keinen Zugang zu ihren Räumlichkeiten im einsturzgefährdeten Gebäude. Eine Bestandsaufnahme der Schäden an Einrichtungen, Instrumenten und technischen Geräten ist deshalb derzeit unmöglich. Wenn überhaupt, können wohl nur teure Spezialunternehmen das Gebäude räumen.

Einige der Geschädigten haben Spendenkonten eingerichtet oder andere Aktionen gestartet:

Yeah! Yeah! Yeah! Studios: Für die Analog-Tonstudios von Dennis Rux kann auf dem Portal Gofundme gespendet werden: gofund.me/551c598d.

Studio Maretzki & Petersen: Für das Tonstudio der Hamburger Produzenten und Songwriter Jurik Maretzki und Kay Petersen kann auf dem Portal Gofundme gespendet werden: gofund.me/ca3380c4

Einstmann Mastering: Für das Tonstudio von Marc-Dieter Einstmann kann auf dem Portal Betterplace gespendet werden: betterplace.me/tonstudios-nach- explosion-in-barmbek-in-not

Fotostudio Useone: Für das Fotostudio von Frauen für Frauen Useone kann auf dem Portal Gofundme gespendet werden: gofund.me/63908f64

Analogika Hamburg: Für die einzigartige Sammlung von Vintage-Keyboards und -Synthesizern von Chris Haertel kann auf dem Portal Gofundme gespendet werden: gofund.me/ffad3e9d

Solidaritäts-Konzert auf dem Lattenplatz: Unter dem Motto „Yeah! Yeah! Yeah! Studios Must Stay!“ spielen Carsten „Erobique“ Meyer und Philip Bradatsch & Die Cola Rum Boys am 16. Juni (18 Uhr) open air auf dem Lattenplatz vor dem Knust (Neuer Kamp 30). Karten zu 22 Euro sowie Informationen zu den Hygieneregeln gibt es im Internet unter knusthamburg.de. Der Erlös aus dem Kartenverkauf geht an die Yeah! Yeah! Yeah! Studios.

Olli Schulz und und Fynn Kliemann haben den Studios angeboten, auf ihrem Hausboot Projekte durchzuführen.