Hamburg. Opern-Weltstar will sich von der Bühne zurückziehen. Dann sorgt Netrebko mit einem Instagram-Post für Stirnrunzeln.

Nachdem es den ganzen Vormittag Absagen und Rauswürfe gehagelt hatte (für sie, für den Dirigenten Valery Gergiev oder beide), hat die russische Sopranistin Anna Netrebko am Dienstag auch ihr Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie abgesagt. Damit reagierte sie auf den massiven Druck, der ihr und Gergiev für die Nicht-Distanzierung von Russlands Präsident Putin von fast allen Seiten widerfuhr.

Die aktuelle Lage in der Kulturlandschaft: Netrebko, Gergiev – und nun? Russlands Künstler und Putins Krieg

Mehr noch: Sie will vorerst auch andernorts nicht mehr auftreten. Das Elbphilharmonie-Konzert wurde auf den 7. September verschoben, Karten sollen ihre Gültigkeit behalten.

Anna Netrebko zieht sich vom Konzertleben zurück

Netrebko sei angesichts der aktuellen Situation nicht zu einem Konzert in der Lage, teilte der Veranstalter River Concerts mit. „Nach reiflicher Überlegung habe ich die äußerst schwierige Entscheidung getroffen, mich bis auf Weiteres aus dem Konzertleben zurückzuziehen“, lässt sich Netrebko zitieren.

„Es ist nicht die richtige Zeit für mich aufzutreten und zu musizieren. Ich hoffe, dass mein Publikum diese Entscheidung verstehen wird.“ Sehr kurz und knapp ist der Kommentar vom Vermieter des Konzertsaals: „Ich bin erleichtert über die Absage“, ließ Generalintendant Christoph Lieben-Seutter mitteilen. „In diesen Zeiten wäre alles andere ein falsches Signal gewesen.“

Anna Netrebko tritt vorerst nicht in Elbphilharmonie auf

Mit wenigen Minuten Abstand zur Konzertabsage erschien allerdings auf Netrebkos Instagram-Account ein Foto von ihr und Gergiev, triumphierend Applaus entgegennehmend, auf einer nicht näher erkennbaren Konzertbühne. Gergiev war es, der ihrer Karriere als junge Sängerin in St. Petersburg entscheidenden Antrieb verliehen hatte. Dort erhielt sie 1994 ihr erstes Engagement.

Zunächst war das Foto ohne Bildunterschrift, dann mit diesem Kommentar versehen: „Ich habe gesagt, dass ich gegen diesen sinnlosen Angriffskrieg bin und ich fordere Russland auf, diesen Krieg sofort zu beenden, um uns alle zu retten! Wir brauchen Frieden! #friendship“. Wenig später war das Foto wieder gelöscht.

Am Dienstag postete Anna Netrebko dieses Foto mit Valery Gergiev. Nach einigen Stunden wurde es auf ihrem Instagram-Account gelöscht.
Am Dienstag postete Anna Netrebko dieses Foto mit Valery Gergiev. Nach einigen Stunden wurde es auf ihrem Instagram-Account gelöscht. © Instagram

Zwei Tage später hat Netrebko ebenfalls ihre Teilnahme an der „Turandot“-Produktion der Berliner Staatsoper Unter den Linden zurückgezogen. Wie das Opernhaus am Donnerstagabend mitteilte, hatte es Netrebko zuvor aufgefordert, sich vom völkerrechtswidrigen Vorgehen der russischen Regierung in der Ukraine zu distanzieren.

„Wir schätzen Anna Netrebko als herausragende Sängerin und es verbindet uns eine langjährige, künstlerische Partnerschaft. Gleichzeitig sehen wir angesichts des brutalen Krieges keine Möglichkeit für eine Fortsetzung dieser Zusammenarbeit“, teilte das Opernhaus mit. Netrebko hätte im Juni und Juli bei acht Aufführungen die Rolle der „Turandot“ in Berlin verkörpern sollen.

Metropolitan Opera beendet Zusammenarbeit mit Netrebko

Auch die renommierte New Yorker Metropolitan Opera hat ihre Zusammenarbeit mit der Sopranistin vorerst auf Eis gelegt. Das Opernhaus habe Netrebko aufgefordert, ihre öffentliche Unterstützung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zurückzuziehen. Dies habe sie aber nicht getan, teilte die Oper mit. Daraufhin habe Netrebko sich von den dort geplanten anstehenden Auftritten zurückgezogen – darunter ihrer Rolle in „Turandot“ im April und Mai sowie „Don Carlos“ in der kommenden Saison. Den Part in „Turandot“ soll die ukrainische Sopranistin Liudmyla Monastyrska übernehmen.

„Es ist ein großer künstlerischer Verlust für die Met und für die Oper insgesamt“, sagte Direktor Peter Gelb. „Anna ist eine der großartigsten Sängerinnen in der Geschichte des Opernhauses, aber wenn Putin unschuldige Opfer in der Ukraine umbringt, gibt es keinen anderen Weg. Zuvor hatte die Metropolitan Opera bereits angekündigt, vorerst nicht mehr mit Künstlern oder Institutionen zusammenarbeiten zu wollen, die Putin unterstützen. Konkrete Künstler oder künstlerische Einrichtungen waren zunächst nicht genannt worden.

"Wir möchten russische Musik nicht missen"

Fehlen wird Anna Netrebko außerdem bei den Osterfestspielen Baden-Baden 2022. Das hätten das Festspielhaus und die Künstlerin einvernehmlich beschlossen, hieß es. Die Entwicklungen rund um ihre Person mache ein Auftritt nicht möglich, teilte Netrebkos Agentin mit, eine zukünftige Zusammenarbeit schließen aber beide Seiten nicht aus. Für das mit den Berliner Philharmonikern geplante Konzert am 13. April suchen Intendant und Orchester nun nach einer anderen Solistin.

Das Programm mit Werken von Sergej Rachmaninow, Peter Tschaikowski und Igor Strawinsky soll erhalten bleiben. „Wir möchten die russische Musik nicht missen“, so Benedikt Stampa. Alle Besucherinnen und Besucher, die bereits Karten für das Konzert gekauft hatten, werden angeschrieben und über ihre Möglichkeiten informiert.

Münchner Philharmoniker werfen Gergiev raus

Auch für Gergiev begann die Woche mit einem Rauswurf: Das Ultimatum der Münchner Philharmoniker, sich klar von Putins Krieg zu distanzieren, war um Mitternacht ohne Antwort des Dann-ab-sofort-nicht-mehr-Chefdirigenten abgelaufen: „München trennt sich von Gergiev“, teilte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) mit. „Es wird keine weiteren Konzerte der Philharmoniker unter seiner Leitung geben. Ich hätte mir erwartet, dass er seine sehr positive Einschätzung des russischen Machthabers überdenkt und revidiert. Das hat er nicht getan.“

Davor hatte sich bereits die Philharmonie de Paris von ihren Gergiev-Engagements mit dem Orchester „seines“ St. Petersburger Mariinsky-Theater Anfang April verabschiedet. Beim Edinburgh International Festival ist Gergiev selbst aktiv geworden. Dort sei er vom Posten des Ehrenpräsidenten zurückgetreten, hieß es aus Edinburgh, das ebenso wie München eine Partnerstadt von Kiew ist.

Das Verbier Festival hatte sich unterdessen von Gergiev als Musikdirektor seines Festivalorchesters getrennt und will außerdem alle Spenden von „Personen, die von westlichen Regierungen sanktioniert wurden“, zurückzahlen. Auch das Festspielhaus Baden-Baden stellt nach fast einem Vierteljahrhundert die Zusammenarbeit mit Gergiev ein: „Die mangelnde Distanz zu Putins menschenverachtendem Vorgehen hat für uns den Ausschlag gegeben. Wir vertreten offensichtlich nicht mehr die gleichen Werte“, erklärte Intendant Benedikt Stampa.

Anna Netrebko sollte bald auch in der Scala auftreten

„Es schmerzt uns sehr, dies mitteilen zu müssen.“ Unklar sei, was aus dem für April geplanten Konzert der Berliner Philharmoniker mit Netrebko werde. Es solle ein Gespräch mit der Sängerin stattfinden. Stampa dazu: „Wir wissen um die Gefahr, in der sich viele Personen des öffentlichen russischen Lebens gerade befinden, und behalten uns alle Optionen vor.“

Netrebkos Fernbleiben von Bühnen entspricht den Wünschen vieler Renommier-Adressen, die eine nach der anderen Absagen veröffentlichten – oder, womöglich prophylaktisch, Absage von Netrebko erhielten: Nachdem die Scala Gergiev nicht mehr als Gastdirigent einer „Pique Dame“-Produktion duldet, hat Netrebko sich vom Mailänder Opernhaus verabschiedet. Sie sollte am 9. März in „Adriana Lecouvreur“ auftreten.

Auch Bayerische Staatsoper kündigt Anna Netrebko

Die Oper Zürich, die ihre Fassade in solidarischem Blau-Gelb beleuchtet, teilte zu den geplanten Vorstellungen mit Netrebko als Lady Macbeth mit: „Wir haben ihr Raum gegeben, eine eigene Position zu den Ereignissen zu finden und zu artikulieren. (...) Wir halten es grundsätzlich nicht für angemessen, aus der Perspektive einer westeuropäischen Demokratie die Entscheidungen und Handlungen von Bürgerinnen und Bürgern repressiver Regime zu beurteilen. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass unsere Verurteilung von Putin und seinem Handeln einerseits und Netrebkos öffentliche Position dazu andererseits nicht kompatibel sind. Auch die Künstlerin ist zu dem Schluss gekommen, dass sie die Vorstellungen vor dem Hintergrund der aktuellen Lage nicht singen möchte.“ Ihr Kommentar für Zürich war wortgleich zum Hamburger Konzert.

Die Bayerische Staatsoper in München hatte sowohl Gergiev als auch Netrebko gekündigt: „Aufgrund des schrecklichen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine und einer fehlenden ausreichenden Distanzierung wird die Staatsoper die bestehenden Engagements annullieren“, schrieb Intendant Serge Dorny auf Twitter.