Ukrainischer Botschafter hatte zu Boykott aufgefrufen. Gergiev verliert auf der ganzen Welt Aufträge – auch in Hamburg.

  • Netrebkos Elbphilharmonie-Konzert verschoben
  • Ukrainischer Botschafter ruft zu Netrebko-Boykott auf
  • Elbphilharmonie sagt Konzerte mit Gergiev ab
  • Valery Gergiev in München rausgeworfen
  • Anna Netrebko lehnt "politische" Äußerung zu Putins Krieg ab – will aber in Hamburg auftreten

Die Entscheidung ist gefallen: Der für Mittwochabend geplante Auftritt von Anna Netrebko in der Elbphilharmonie findet nicht statt. Das gab Veranstalter River Concverts am Mittwochmittag bekannt. Die Entscheidung habe Netrebko selbst gefällt.

"Nach reiflichen Überlegungen habe ich die äußerst schwierige Entscheidung getroffen, mich bis auf Weiteres aus dem Konzertleben zurückzuziehen", wird die Star-Sopranistin zitiert. "Es ist nicht die richtige Zeit für mich, aufzutreten und zu musizieren. Ich hoffe, dass mein Publikum die Entscheidung verstehen wird."

Netrebko-Konzert in der Elbphilharmiie auf September verschoben

Netrebkos Konzert zusammen mit ihrem Ehemann Yusif Eyazof und dem Aalborg Symfoniorkester werde auf den 7. Septmeber verschoben. Karten behielten ihre Gültigkeit.

River Concerts hatte am Montagnachmittag auf Abendblatt-Nachfrage noch einmal bekräftigt, dass eine Absage nicht zur Diskussion stehe. Von einer Erhöhung der Sicherheitsmaßnahmen wegen eventueller Proteste vor oder im Konzerthaus sei zudem nichts bekannt.

Zuletzt war der politische Gegenwind immer stärker geworden: Am Dienstagmittag rief der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk zum Boykott des Hamburg-Auftritts der Sopranistin auf. Es sei "keine Kunst mehr", schrieb der frühere Hamburger Generalkonsul bei Twitter.

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Auch der russische Dirigent Valerij Gergiev wird nicht nach Hamburg kommen, wie die Elbphilharmonie am Dienstag mitteilte.

River Concerts zeigte sich „erschüttert von den aktuellen politischen Ereignissen. Jegliche Art von Gewalt und Krieg lehnen wir entschieden ab.“ Man sei allerdings auch der Auffassung, „dass Musik verbindet und Brücken schlägt, sie sollte nicht in den Strudel politischer Ereignisse geraten“.

Anna Netrebko vermeidet Stellungnahme zu Putin

Das passt zur Sichtweise von Anna Netrebko. In den sozialen Medien hat der Weltstar sich inzwischen geäußert und erklärt: „Ich bin gegen diesen Krieg. Ich bin eine Russin und liebe mein Land, aber ich habe viele Freunde in der Ukraine, und der Schmerz und das Leid, das dort herrscht, bricht mir das Herz. Ich möchte, dass dieser Krieg endet und die Menschen in Frieden leben können. Das ist es, was ich mir erhoffe und wofür ich bete.“

Dieses Foto von 2014 ist wieder bedrückend aktuell: Die russische Opernsängerin Anna Netrebko posierte damals in St. Petersburg bei einer umstrittenen Spendenaktion mit
Dieses Foto von 2014 ist wieder bedrückend aktuell: Die russische Opernsängerin Anna Netrebko posierte damals in St. Petersburg bei einer umstrittenen Spendenaktion mit "Neurussland"-Flagge und dem pro-russischen damaligen Separatistenführer Oleg Zarjow. © Photoagency Interpress

Eine direkte Stellungnahme zu Wladimir Putin vermeidet sie allerdings und ergänzt stattdessen: „Es ist nicht richtig, Künstler oder andere Personen des öffentlichen Lebens zu zwingen, ihre politische Meinung öffentlich zu äußern und ihr Heimatland anzuprangern. Das sollte eine freie Entscheidung sein.“

Wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen sei sie kein politischer Mensch. „Ich bin kein Experte in Sachen Politik. Ich bin ein Künstler und mein Ziel ist es, Menschen über politische Grenzen hinweg zu vereinen.“ Unter dem Posting, das Netrebko unter anderem bei Instagram und Facebook verteilte, befinden sich neben zustimmenden und dankbaren Kommentaren auch viele kritische, in denen bemängelt wird, dass Wladimir Putin als Aggressor nicht klar benannt ist.

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Elbphilharmonie sagt Konzerte mit Valery Gergiev ab

Nur noch wenig Zwischentöne gibt es mittlerweile in Sachen Valery Gergiev: Am Dienstag sagte die Elbphilharmonie die mit dem russischen Dirigenten und Putin-Unterstützer geplanten Konzerte ab: "Infolge des anhaltenden Schweigens zur russischen Invasion in der Ukraine von Waleri Gergijew sind die an Ostern geplanten beiden Konzerte mit ihm und dem Orchester des Mariinski-Theaters in der Elbphilharmonie nunmehr abgesagt“, so das Konzerthaus am Dienstag.

Zuvor hatte bereits die Münchner Künstleragentur Felsner Artists die Zusammenarbeit mit Gergiev beendet. „Vor dem Hintergrund des verbrecherischen Krieges, den das russische Regime gegen die demokratische und unabhängige Nation der Ukraine und gegen die gesamte offene Europäische Gesellschaft führt, ist es uns unmöglich und unlieb geworden, die Interessen von Maestro Gergiev zu vertreten“, teilte Agenturchef Marcus Felsner mit. Gergiev sei zwar „einer der größten Dirigenten unserer Zeit, ein visionärer Künstler, den viele von uns lieben und bewundern“, aber „seine seit Langem ausgedrückte Unterstützung für ein Regime, das inzwischen Verbrechen begeht“, führe nun zur Trennung.

Valery Gergiev verliert weltweit Auftrittstermine

Schlechte Nachrichten kommen für Gergiev auch der Schweiz und aus Österreich: Der 68-Jährige und sein Mariinsky Orchester wurden vom traditionsreichen Lucerne Festival ausgeladen; hier waren im August zwei Konzerte geplant. „Angesichts der völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen Russlands setzen wir ein klares Zeichen der Solidarität für die Menschen in der Ukraine“, erklärte Intendant Michael Haefliger. „Wir sind zutiefst betroffen und verurteilen den Angriff auf die Ukraine und auf Unschuldige aufs Schärfste.“

Auch das Grafenegg Festival in Niederösterreich lädt Gergiev aus. Rudolf Buchbinder, künstlerischer Leiter und Philipp Stein, Geschäftsführer des Festivals, teilten am Dienstag mit: "Mit großem Bedauern müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Valery Gergiev, ein langjähriger und künstlerisch hochgeschätzter Partner des Grafenegg Festival, derzeit nicht bereit ist, sich vom Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine zu distanzieren. Deshalb können wir an den geplanten Auftritten mit Valery Gergiev nicht festhalten."

München wirft Dirigenten Valery Gergiev raus

Und auch in München ist Gergiev nun persona non grata: In der Nacht zum Dienstag war das Ultimatum ausgelaufen, das Oberbürgermeister Dieter Reiter dem Dirigenten gestellt hatte, um sich von Putin und dessen Angriffskrieg zu distanzieren. Geschehe dies nicht, werde Gergiev nicht länger die Münchner Philharmoniker dirigieren, deren Chef er seit 2015 ist, hatte Reiter angekündigt – und dieser Warnung auch Taten folgen lassen: Am Dienstagvormittag teilte er mit, dass Gergiev mit sofortiger Wirkung entlassen sei.

Das Festspielhaus Baden-Baden stellt seine Zusammenarbeit mit Gergiev ebenfalls ein, wie das Konzerthaus am Dienstag mitteilte: Wir vertreten offensichtlich nicht mehr die gleichen Werte“, sagte Intendant Benedikt Stampa. „Es schmerzt uns sehr, dies mitteilen zu müssen.“ Gergiev sei Gelegenheit zu einer Aussprache gegeben worden, die dieser nicht genutzt habe. Mit Blick auf einen im April geplanten Auftritt von Anna Netrebko hieß es aus Baden-Baden, man behalte sich "alle Optionen vor". Der Sopranistin sei ebenfalls ein Gesprächsangebot gemacht worden.

In Zürich wird Netrebko vorerst nicht auf der Bühne stehen. Das Opernhaus teilte am Dienstag mit, dass seine "entschiedene Verurteilung von Wladimir Putin und seinem Handeln einerseits und Anna Netrebkos öffentliche Position dazu andererseits nicht kompatibel sind". Auch die Sängerin sei jedoch zu dem Schluss gekommen, dass sie die Vorstellungen in der Schweiz aufgrund der aktuellen Lage nicht singen möchte.

Royal Opera House sagt geplante Residenz des Bolschoi-Balletts ab

Eine klare Kante zeigt die Metropolitan Opera in New York. Deren Intendant Peter Gelb gab das Ende der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Moskauer Bolschoi-Theater bekannt. Man glaube weiterhin fest „an die warmherzige Freundschaft und den Austausch zwischen Künstlern und künstlerischen Institutionen aus Russland und den USA“, jedoch wolle man keine Verbindung mehr mit jenen eingehen, die Putin unterstützen oder von ihm unterstützt werden. Für die Met sei es jetzt eine Verpflichtung, sich auf die Seite der Menschen in der Ukraine zu stellen.

Für das Bolschoi ist dies nicht die einzige Aufkündigung der Zusammenarbeit. Das Royal Opera House in London hat die für den Sommer geplante Residenz des Bolschoi-Balletts abgesagt. Die Compagnie sollte vom 26. Juli bis zum 14. August insgesamt 21 Aufführungen in London haben. Man sei bereits in der finalen Phase der Planung dieses Gastspiels gewesen, so das Royal Opera House in einer Mitteilung. Angesichts der aktuellen Ereignisse habe man sich zur Absage entschlossen.

Und das dürfte noch lange nicht das Ende der Vertragsauflösungen in der internationalen Kulturszene sein.