Hamburg. Das Streichquartett entwirft einen Bilderbogen für den Kopf. Dabei dominieren am Ende fahle und geradezu beängstigende Klänge.

Das „Prélude“ von Charpentier, das ist doch die gute alte Eurovisions-Hymne. Trompetenglanz, majestätischer Gestus und so. Und was hat das auf dem Konzertprogramm eines Streichquartetts verloren?

Gar nichts. Das Danish String Quartet spielt im Kleinen Saal der Elbphilharmonie nicht den berühmten Satz aus dem „Te Deum“, wie er im Programmheft steht, sondern ein anderes „Prélude“ aus der Feder des französischen Barockkomponisten. Das aber genauso wenig zum angestammten Quartett-Repertoire gehört. Ganz schlank und vibratoarm gestalten die Musiker das elegisch bewegte Stück und intonieren als Ensemble so rein, dass sich die Obertöne geradezu ekstatisch entfalten können und. Diese überwältigende Klangfülle entsteht wie von allein, wenn man der Physik ihren Raum gibt. Sie ist das Markenzeichen der vier rotblonden Schlakse aus unserem Nachbarland.

Elbphilharmonie: Klänge des Danish String Quartet erfüllten den Kleinen Saal

Mit dem umwerfend sinnlichen Ereignis des Charpentier-„Prélude“ beginnt „An Alleged Suite“, also eine Suite, die es eigentlich nicht gibt. Die Musiker haben dafür höchst unterschiedliche Tanzsätze zusammengestellt. So erklingen neben Charpentier eine raffiniert verwobene „Pavane“ des amerikanischen Minimalisten John Adams und eine romantisch verträumte „Sarabande“ von Felix Blumenfeld. Ein exquisiter Bilderbogen für den Kopf.

Der Däne Bent Sørensen hat 2020 im Auftrag des Ensembles „Doppelgänger“ komponiert, eine fragmentierte Reflexion über Schuberts großes Streichquartett G-Dur D 887. Motive und Stimmungen wehen vorbei wie Fetzen, aber Sørensen zitiert nie einfach nur, er nimmt unterirdisch Verbindung auf zu der Geisterwelt des Werks, und die Musiker spüren jeder Nuance nach und spielen noch die feinsten rhythmischen Veränderungen unfehlbar zusammen.

Diese Musik ist nur noch Zustand, unbewegt, fahl

Atmosphärisch sind Interpreten wie Hörer also längst bei Schubert angekommen, als die Dänen nach der Pause – die beiden Geiger haben ganz basisdemokratisch die Positionen gewechselt – die gläsernen Akkorde von D 887 aufspannen. Immer wieder explodiert die Musik und kippt dabei von Dur zu Moll: Knapper als in diesem Motiv kann man das Drama der menschlichen Existenz nicht ausdrücken. Gut eine Dreiviertelstunde lang wandern die Musiker durch die zerklüftete Seelenlandschaft eines von Todesangst gemarterten jungen Mannes. Sie atmen mit ihm, lassen Hoffnung herein und zerstören sie wieder. Beängstigend aktuell, all das.

Die Zugabe ist an diesem besonderen Abend integraler Bestandteil der Dramaturgie. Die Musiker spielen eine Bearbeitung von Schuberts spätem Klavierlied „Der Doppelgänger“ für Streichquartett. Aber was heißt hier „Lied“? Der Begriff klingt viel zu lebensbejahend. Diese Musik ist nur noch Zustand, unbewegt, fahl. Endstation.