Hamburg. Seit 28 Jahren ist er der Bassist auf ihren Tourneen und Alben. Darryl Jones im Abendblatt-Gespräch und Video über besondere Momente.
Da sitzt er auf dem Ledersofa, den Bass aus seiner neuen, eigenen Serie in der Hand, spielt ein paar Takte von „Miss you“ und „Start me up“ und sagt: „Eigentlich auch schon wieder ein historisches Stück, dieser Bass. Die Tour ist zwar gerade erst vorbei – aber es war schon eine besondere.“
Ja, die gerade abgespielte Konzertreise der Rolling Stones durch die USA war die erste seit dem Tod des Schlagzeugers Charlie Watts. Und Darryl Jones, der Stones-Bassist der vergangenen knapp drei Jahrzehnte, steckte mit Mick Jagger, Keith Richards, Ron Wood und den anderen in der Corona-Blase. „Kein ,Meet and Greet‘ mit Promis, alle sind geimpft, zweimal die Woche testen, selbst Freunde habe ich nur vor der Tür unter allen Sicherheitsbestimmungen getroffen“, erzählt Jones im Gespräch mit dem Abendblatt im No.1 Guitar Center in Altona. „Aber was ist die Alternative für Musiker? Noch ein Jahr zu Hause hocken?“ Der Rock muss rollen.
Rolling Stones: Bassist Darryl Jones über die Tour 2021
Und was würden erst Jagger (78) und Richards (77) sagen? Zu Hause den Enkelkindern auf die Nerven gehen? Dann doch lieber live spielen. Solange es die Leute wollen. Und die wollen: ausverkaufte Stadien bei den 15 Shows, begeisterte Zuschauer, sehr gute Kritiken, Millionenumsätze jeden Abend. Es ist in der Bandgeschichte dieselbe „No Filter“-Tour, die am 9. September 2017 in Hamburg vor 81.000 Fans im Stadtpark begann. Hat Jones von dem Ticket-Skandal gehört, der sich um Kauf- und Freikarten für Bezirksamtsmitarbeiter dreht und derzeit wieder vor Gericht aufgearbeitet wird? „Ja, da war was. Das ist misslich. Stones-Tickets, zumal mit besonderem Zugang, sind ein kostbares Gut, machen wir uns nichts vor.“
Thomas Weilbier vom No.1 Guitar Center, der die Band seit Jahren mit Instrumenten versorgt und Darryl Jones für die Präsentation von dessen Bass-Linie nach Hamburg holte, hat ihm davon berichtet. Für ein paar Tage ist er in der Stadt und zeigt in Altona ein paar Tricks.
Was ist das für ein Typ, dieser Darryl Jones? Ein Superstar, wie er im Buche von „Sex and Drugs and Rock ‚n‘ Roll“ steht? O je, hätte da sein erster Arbeitgeber aus der Abteilung Legende gesagt, Miles Davis. Der, nun ja, eigenwillige Jazz-Meister hat wenig mit seinem Bassisten der Jahre 1983 bis 1985 gesprochen. Einen Ratschlag aber hatte er für ihn: Spiel nicht wieder das, was du gestern gespielt hast. Jones dachte nach einer Weile des Tourens und Studiomusizierens mit Miles Davis: Na, ein paar alte Läufe kann ich dem Alten doch vorsetzen. Wenige Konzerte später sagte Davis zu ihm: „Verdammt, wenn du das so weitermachst, kannst du weiterziehen.“ Jones, ertappt, meinte: „Ich dachte, ich fliege unter dem Radar. Aber Miles hörte alles.“
Von Miles Davis und Sting zu den Stones
Die Geschichte erzählte Jones schon seiner „Heimatzeitung“, der „Chicago Tribune“. In der Jazz- und Blues-Metropole ist er aufgewachsen, heute wohnt er in Los Angeles. Die Eltern brachten ihm den Jazz nahe. Kurios: Einer seiner ersten Bässe nach anfänglichem Schlagzeug-Spiel war „eine Kopie einer Kopie einer Kopie“ eines Modells des deutschen Produzenten Höfner, der Typ, mit dem Paul McCartney Beatles-Geschichte schrieb.
Wie kommt einer von der Hochkultur in die Niederungen von Rock und Pop? In seinem vielleicht größten Beitrag zur Musikgeschichte hatte der Ex-„Polizist“ Sting 1985 für sein Soloprojekt ausschließlich begnadete Jazzer engagiert: Branford Marsalis am Saxofon, Kenny Kirkland am Piano, Omar Hakim am Schlagwerk und eben Darryl Jones am Bass. Der umwerfende Erfolg des Albums („Dream oft he blue turtles“), des Live-Nachfolgers, des Films und der Tourneen dieser Kombination spricht für sich. Von Bass-Jobs bei Madonna und Eric Clapton war dann der Weg zum Vorspielen bei den Rolling Stones nicht mehr weit, als deren Mitgründer Bill Wyman (heute 85) sich 1993 entschied, die Band zu verlassen.
Und wie bekam Jones den Job bei Mick Jagger und Keith Richards? Drei Gründe: Erstens wollte er beim Casting nicht wie andere mit seinen Fähigkeiten angeben. Zweitens kannte er Steve Jordan gut, den Schlagzeuger, der bei Richards‘ Soloprojekten trommelte. Drittens hielt er sich beim ersten Proben mit den Stones an eine alte Regel: einfach gut darauf hören, was der Drummer Charlie Watts macht, dann kann nichts schiefgehen.
Was Keith Richards über Darryl Jones sagt
Mittlerweile spielt Jones seit 28 Jahren in der „Greatest Rock ‚n‘ Roll Band in the World“, etliche Platten, gigantische Tourneen. Schlagzeuger Jordan hat inzwischen den verstorbenen Watts ersetzt.
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Und es gibt schon eine erste musikologische Erkenntnis aus der neue Besetzung: „Wir saßen eines Abends zusammen und hörten die Aufnahmen des Konzertes an. Klingt wie die Rolling Stones, hat Keith gesagt. Da war klar, dass Steve Jordan auch live perfekt passt.“ Charlie Watts habe selbst einmal zu Jordan gesagt, er könne doch auch Teile des Schlagzeugspiels übernehmen. Jordan meinte, das komme ihm vor wie Blasphemie. Okay, habe Watts gesagt. Wenn ich mal nicht mehr bin, dann kannst du übernehmen. So kam es nach Watts‘ plötzlichem Tod am 24. August dieses Jahres, einen Monat vor Tourstart.
Darryl Jones sagte, er selber müsse immer darauf achten, dass die Idee eines Stones-Songs auch vom Bass getragen werde, dass er sich in seinem Spiel nicht allzu weit entfernt von dem, was Millionen Fans, aber auch was seine Mitmusiker erwarten. Trotzdem habe er ausreichend Freiraum für „sein“ Spiel.
Die Diskussion ist lächerlich – aber fragen kann man ja mal: Kann Darryl Jones je ein „offizieller“ Stone werden, wie es dem 1974 hinzugetanzten Ron Wood zwar sofort optisch gelang, aber geschäftlich erst nach Jahrzehnten? Keith Richards sagte der BBC vor einigen Jahren: „Wer mit uns auf der Bühne steht, ist ein Rolling Stone.“ Er betrachte den Bassmann als seinen „linken Arm“. Und: „Obwohl ich älter bin, ist Darryl so etwas wie ein großer Bruder für mich.“
Und der sagt: „Wir machen alle unseren Job in der Band. Aber das ist ja alles keine Arbeit, kein Stress: Die Stones reisen, nun, elegant im Privatjet. Ich muss nicht mal meine beiden Taschen selber tragen.“
"Das ist doch himmlisch hier"
Darryl Jones hat gerade einen Baukurs für Bässe belegt („Hab nicht bestanden, weil ich auf Tour musste, aber den Bass fertiggebaut“) und viel Kontakt zu Menschen, die eines seiner Instrumente oder eines aus seiner Lakland-Reihe („Eine Firma aus Chicago!“) erwerben wollen. „Einmal kam einer mit Corona-Maske zu mir, spielte fünf Minuten, dann zehn, dann eine Stunde. Er sagte, ich könnte leider sein Dauerlächeln unter der Maske nicht sehen, aber er sei so glücklich, sich selbst wiedergefunden zu haben. Das berührt mich tief.“
Nächste Woche wird Darryl Jones 60 Jahre alt. Dieses Alter haben die Rolling Stones als Combo nächstes Jahr erreicht. Über ihn erscheint demnächst eine aufwendige Dokumentation. Inmitten von edlen und historischen Gitarren, Bässen und Verstärkern schaut er sich um und sagt: „Das ist doch himmlisch hier. Dieses Wundern und Staunen über die Instrumente und das, was sie erzeugen und auslösen – darum bin ich Musiker.“