Hamburg. Verteidiger eines Hauptbeschuldigten in der Freikarten-Affäre wirft Staatsanwaltschaft voreingenommenes Handeln vor.
Das Rolling-Stones-Konzert 2017 vor 80.000 Besuchern im Hamburger Stadtpark zog nicht nur eine monatelange Wiederherstellung der beschädigten Festwiese nach sich, sondern auch etliche Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter des zuständigen Bezirksamts Hamburg-Nord wegen des Verdachts auf Korruption, Bestechung und Vorteilsnahme rund um die Genehmigung und Durchführung.
Rolling-Stones-Affäre: Prozess gegen Ex-Bezirksamtsleiter beginnt
Nach mehreren Prozessen, unter anderem gegen die damalige Bezirksstaatsrätin Elke Badde und die designierte Bezirksamtsleiterin Yvonne Nische, steht jetzt das letzte Gerichtsverfahren in dieser Angelegenheit an.
Am Mittwoch, vier Jahre nach dem Konzert und dreieinhalb nach der Anklage, beginnt vor der Großen Strafkammer des Landgerichts der Prozess gegen die Hauptbeschuldigten: den damaligen Bezirksamtsleiter Harald Rösler, der seit 2018 im altersbedingten Ruhestand ist, seinen Stellvertreter sowie zwei Mitarbeiter des Konzertveranstalters FKP Scorpio.
100 Freikarten und VIP-Tickets: Rösler wird Bestechlichkeit vorgeworfen
Rösler wird vorgeworfen, dem Konzertveranstalter für die Flächennutzung im Stadtpark eine viel zu geringe Gebühr in Rechnung gestellt und dafür 100 Freikarten sowie 300 normale Verkaufstickets erhalten zu haben, die er an Mitarbeiter vergab oder sogenannten Freunden des Hauses gegen Bezahlung anbot.
Er und seine Frau erhielten außerdem VIP-Karten. Seinem Stellvertreter Tom Oelrichs, der drei Freikarten annahm, wird Beihilfe zur Bestechlichkeit und zur Vorteilsgewährung in 39 Fällen sowie Vorteilsannahme vorgeworfen.
Verteidiger: Den Vorwürfen "fehlt es an jeglicher Grundlage"
Röslers Stellvertreter wird von Matthias Frommann, von 1997 bis 2009 selbst Bezirksamtsleiter von Hamburg-Nord, verteidigt. Der Rechtsanwalt erhebt jetzt schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft. Seinem Mandanten könne kein Vergehen vorgeworfen werden, das sich mit einer so langen Verfahrensdauer, der Beeinflussung der Öffentlichkeit durch entsprechende Pressemitteilungen und letztlich auch den Ort der Verhandlung rechtfertigen lasse, so Frommann.
„Vor der großen Strafkammer des Landgerichts landen sonst nur Schwer- und Kapitalverbrecher.“ Die Staatsanwaltschaft sei von Anfang an von der Schuld der Angeklagten überzeugt gewesen und habe nur in eine Richtung ermittelt. Das habe seinen Mandanten und seine Familie in unzumutbarer Weise psychisch und wirtschaftlich belastet und darüber hinaus seine Karrierechancen erheblich gemindert. „Den Vorwürfen gegen meinen Mandanten fehlt es an jeglicher Grundlage“, betont der Rechtsanwalt.
Anwalt vergleicht Rolling-Stones-Einnahmen der Stadt mit anderen Groß-Events
So laute ein Punkt der Anklage, dass der Veranstalter als Gegenleistung für die überlassenen Karten nur 205.000 Euro statt der in der Gebührenordnung vorgesehenen 600.000 Euro für die Nutzung der öffentlichen Parkfläche hatte zahlen müssen und der Stadt damit Einnahmen von 400.000 Euro entgingen. nach Angaben des Senats hat FKP Scorpio aber 255.000 Euro gezahlt. „Das ist mehr, als je zuvor für Weihnachtsmärkte, Dom, Sportevents oder Konzerte verlangt wurde“, so der Jurist.
Für einen mit dem Stones-Konzert vergleichbaren Auftritt von Ed Sheeran auf der Trabrennbahn Bahrenfeld 2018 habe der Veranstalter beispielsweise nur 140.000 Euro zahlen müssen. Zudem müssten der Gebühr von 255.000 Euro auch die fast 500.000 Euro zugerechnet werden, die der Veranstalter für die Wiederherstellung des Stadtparks gezahlt habe.
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Keine Anklage gegen Grote oder Polizeipräsident Meyer wegen Freikarten
Darüber hinaus habe der Senat das Konzert ausdrücklich gewollt – und das dem Bezirksamt im März 2017 auch so signalisiert. Sowohl der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende und heutige Finanzsenator Andreas Dressel, Kultursenator Carsten Brosda und Handelskammerpräses Norbert Aust, damals Vorsitzender des Tourismusverbandes, seien in die im März 2017 getroffene Entscheidung, die Stones nach Hamburg zu holen, eingebunden gewesen.
Auch der Vorwurf, unberechtigt Freikarten für sich und andere angenommen zu haben, ist laut Frommann aus der Luft gegriffen. So hatte der Senat 2019 – als es Vorwürfe aus der Opposition gab, der heutige Innensenator Andy Grote und der heutige Polizeipräsident Ralf Meyer hätten zwischen 2013 und 2016 VIP-Plätze vom FC St. Pauli angenommen – erklärt, dass bedeutende Würdenträger und Senatsmitglieder bei Veranstaltungen unterschiedlichster Art, insbesondere im Kultur- und Sportbereich, „sichtbar und selbstverständlich vertreten“ sein sollen, auch in Begleitung von Partnerinnen und Partnern.
So steht es in einer Drucksache, die dem Abendblatt vorliegt. Weder gegen Grote noch gegen Meyer hatte die Staatsanwaltschaft damals Anklage wegen Annahme der VIP-Karten erhoben.
Ausgabe von Freikarten sei üblich in der Branche
„Mein Mandant hat den Konzertbesuch wahrgenommen, weil er stellvertretender Bezirksamtsleiter und Leiter des bezirklichen Katastrophenstabs war“, so Frommann. „Der Vorwurf, dass er für Karten, über die er weder verfügen konnte noch wollte, seine berufliche Existenz auf Spiel gesetzt haben soll, ist absurd.“
Im Übrigen sei das Ausgeben sogenannter Venue-Tickets üblich in der Branche. Bei den nachfolgenden Stones-Konzerten habe der Veranstalter 200 Freikarten an die Stadt Düsseldorf und 300 Freikarten an die Stadt München vergeben. „Dort hat sich niemand darüber aufgeregt.“
Verteidiger berechnet Freikartenquote: "verschwindend klein"
Und auch in Hamburg sei es üblich, dass Veranstalter im Sport-, Veranstaltungs- und Kulturbereich ermäßigte oder kostenlose Karten vergeben, sagt Frommann und präsentiert eine Senatsantwort aus dem Juni 2019 auf eine Anfrage der CDU. Der Anteil der unentgeltlich abgegebenen Karten variierte in den staatlichen Theatern zwischen 2013 und 2019 zwischen 3,3 und 9,7 Prozent, in den Privattheatern zwischen zwei und acht Prozent.
Gleichzeitig verweist der Senat in dem Dokument aber auch darauf, dass der Personenkreis, für den gegebenenfalls Dienstkarten, Steuerkarten oder Gästekarten verfügbar sind, „in aller Regel klein und klar definiert“ sei. Im Falle seines Mandanten sei diese Voraussetzung erfüllt gewesen. Und die Quote der laut Anklage bei dem Stones-Konzert vergebenen Freikarten sei mit 0,125 Prozent „verschwindend klein“.
Staatsanwaltschaft bekam Freikarten für G20-Konzert in der Elbphilharmonie
Was Frommann ebenfalls herausgefunden hat: Auch Vertreter der Staatsanwaltschaft haben sich am 7. Juli 2017 einladen lassen – in die Elbphilharmonie, als dort anlässlich des G20-Gipfels im Großen Saal das Philharmonische Staatsorchester für die Staatschefs, Würdenträger und Hamburger aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft spielte.
Acht Freikarten hatte die Staatsanwaltschaft auf Anregung des Auswärtigen Amts erhalten. Schriftstücke, die dem Abendblatt vorliegen, belegen, dass der damalige Leiter der Staatsanwaltschaft sie unter mehr als 50 Interessenten verloste. „Es gab damals offenbar keine Bedenken, sich einladen zu lassen“, so Frommann.
Staatsanwaltschaft: G20-Konzert war keine öffentliche Veranstaltung
Die Staatswaltschaft bestätigt, dass die Karten Kollegen, die sich freiwillig für den Bereitschaftsdienst während des Gipfels gemeldet hatten, zur Verfügung gestellt und verlost worden seien. „Nach hiesiger Erinnerung handelte es sich bei dem Konzert um eine Veranstaltung des Auswärtigen Amtes oder der Bundesregierung, an der man ausschließlich auf Einladung hatte teilnehmen können“, so eine Sprecherin.
Zu den Vorwürfen im sogenannten Rolling-Stones-Komplex werde nur innerhalb der gerichtlichen Hauptverhandlung Stellung genommen. Der Senat verweist darauf, dass der Bund, der auch Arbeitgeber der Beamten ist, das Konzert veranstaltet hat. Ihm oblag daher auch die Entscheidung, wer eingeladen wurde.