Hamburg. Hilfsfonds fördern Bewerber aus allen Sparten und (bisherigen) Einkommensklassen. Ein Gespräch mit Gesa Engelschall.

Seit 13 Jahren leitet Gesa Engelschall als Geschäftsführender Vorstand die Hamburgische Kulturstiftung. Sie gilt als versierte Netzwerkerin und geschickte Einwerberin von Geldern für die gute Sache – die Hamburger Kunst- und Kulturszene. Derzeit ist die Bedürftigkeit der Künstlerinnen und Künstler dramatisch höher als sonst, die hanseatische Spendenbereitschaft aber lobt Engelschall als „vorbildlich“. Zwei große Hilfsfonds lindern die Not – und bringen vor allem die Künstler wieder ins Produzieren.

Hamburger Abendblatt: Nun wird der „Shutdown light“ also zum „harten Shutdown“. Die Perspektiven, die manche freischaffenden Künstlerinnen und Künstler Anfang November womöglich noch gesehen haben, schwinden weiter. Wie beobachten Sie die Situation?

Gesa Engelschall: Im März wurden die Künstlerinnen und Künstler ja von einem Tag auf den anderen damit konfrontiert, dass sie gar nicht mehr arbeiten können. Manche Aufführungen wurden dreimal verschoben – Ausgang offen. Andere mussten doppelt erarbeitet werden, einmal als digitale, einmal als analoge Version. Vielen brach zeitgleich auch der oft wichtige Nebenjob weg, in der Gastronomie oder beim Ausstellungsaufbau. Wir haben gesehen, wie viele Künstler akut in Not geraten sind.

Oft arbeiten Künstler, die nicht zu den großen Berühmtheiten gehören, ohnehin am Existenzminimum. Was die Lage einerseits bedrohlicher macht – es gibt schließlich kaum bis gar keine Rücklagen. Kann die Erfahrung mit heftigen Durststrecken andererseits womöglich sogar helfen, solch eine Krise zu überstehen?

Engelschall: Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass Künstler sehr flexibel sind und auch mit Notsituationen ideenreich umgehen. Auch im ersten Shutdown haben sich viele schnell umorientiert. Wir waren beglückt, wie sofort neue Ideen für Streamings, für Balkonkonzerte, Hoftheater oder Rechercheprojekte entstanden. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass sie das nicht mehr lange unter Beweis stellen müssen...

Kennen Sie Künstler, die aufgrund der Corona-Situation mittlerweile gezwungenermaßen in einen anderen Beruf wechseln mussten? Die also die Kunst, die Musik, das Theater aufgegeben haben?

Engelschall: Das gibt es bestimmt. Aber die Künstler, mit denen wir sprechen, tun alles dafür künstlerisch weiterarbeiten zu können. Es ist ihnen ausgesprochen wichtig, sichtbar zu bleiben. Und genau dazu wollen wir mit unserer Unterstützung ja auch beitragen.

Wenden sich in der Krise auch andere Künstler an Sie als sonst?

Engelschall: Absolut. Sonst kümmern wir uns in der Regel um junge, aufstrebende Künstlerinnen und Künstler. Jetzt sind auch bekanntere Namen darunter. Wer es zum Beispiel als Musiker bislang gut geschafft hatte, auch eine fünf- oder sechsköpfige Familie zu ernähren, dem fehlen natürlich mittlerweile Einnahmen in ganz anderen Größenordnungen. Selbst wenn jemand, der bis zum ersten Shutdown gut zu tun hatte, sich ein finanzielles Polster anlegen konnte, ist das langsam aufgebraucht, zum Teil wird die Altersvorsorge angegriffen. Viele Menschen, die sich nie bei uns bewerben mussten, die sonst gar nicht unserem Förderprofil entsprechen, sind jetzt aufgekreuzt. Was auch richtig ist: Auch sie sprechen wir mit den Hilfsfonds an.

Die Stiftung und ihre aktuellen Hilfsfonds:

  • Die Hamburgische Kulturstiftung gibt es seit 1988. Im Frühjahr 2020 hat sie gemeinsam mit anderen Hamburger Stiftungen (darunter die Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., die Körber-Stiftung und die Rudolf Augstein Stiftung) sowie Privatper­sonen den Hilfsfonds „Kunst kennt keinen Shutdown“ ins Leben gerufen. Aus rund 1000 Bewerbungen wurden seither mehr als 300 Projekte von freischaffenden Hamburger Künstlerinnen und Künstlern gefördert.
  • Der von der Dorit & Alexander Otto Stiftung initiierte und mit einer Million Euro aus­gestattete Hilfsfonds „Kultur hält zusammen“ wird nun weitere Unterstützung leisten. Noch vor Weihnachten sollen die ersten geförderten Projekte feststehen. Eine weitere Runde folgt im kommenden Jahr. Das Hamburger Abendblatt und NDR Kultur sind Medienpartner der Aktion.
  • Informationen unter kulturstiftung-hh.de

Die Dorit & Alexander Otto Stiftung will mit einem eigenen Hilfsfonds eine Million Euro ausschütten – Ihre Hamburgische Kulturstiftung ist mit an Bord. Was genau ist Ihre Aufgabe dabei?

Engelschall: Dass Dorit und Alexander Otto eine Million für Künstler geben, ist natürlich sensationell. Das kann man gar nicht oft genug sagen! Wir setzen die Ausschreibung, das Auswahlverfahren und die Förderung um, darin haben wir eine langjährige Expertise. Dazu kommen die jüngsten Erfahrungen beim gemeinsam mit anderen Stiftungen erarbeiteten Hilfsfonds „Kunst kennt keinen Shutdown“. Fast 930 Einzelkünstler und Gruppen haben sich aktuell für den Otto-Hilfsfonds „Kultur hält zusammen“ beworben. Die Anträge gehen quer durch alle Sparten: Musik, Theater, Tanz und Performance, Bildende Kunst, Film, Literatur, Kinder- und Jugendkultur und auch viele interdisziplinäre Projekte. Wir waren erfreut, dass sich auch Autorinnen und Autoren beworben haben, normalerweise fördern wir ja keine Romane und vergeben keine Schreibstipendien, das ist beim Hilfsfonds anders.

Wonach entscheiden Sie, wer bedacht wird - nach künstlerischen Kriterien? Auch nach individueller finanzieller Bedürftigkeit?

Engelschall: Wir schauen jeden Fall einzeln an. Die Grundvoraussetzung ist, dass die Künstler in normalen Zeiten größtenteils von ihrer Kunst leben. Die Qualität des Projektes spielt natürlich eine Rolle – und es sind richtig originelle Projekte dabei! Wir brauchen eine Aufstellung der Kosten, und auch die grundsätzliche finanzielle Situation, also die Bedürftigkeit, haben wir abgefragt.

Werden Sie erste Gelder noch in diesem Jahr auszahlen können?

Engelschall: Ja.

Coronavirus – die Fotos zur Krise

Sie haben schon im Frühjahr den großen Spendenfonds „Kunst kennt keinen Shutdown“ initiiert, dabei wurden mehr als 300 Projekte freier Künstlerinnen und Künstler mit mehr als 700.000 Euro unterstützt. Wie ist da der Stand?

Engelschall: Wir sind mittlerweile sogar bei 820.000 Euro, was ich wirklich richtig toll finde. Wir freuen uns auch besonders, dass es so viele kleine und auch mittlere Firmen und Unternehmen oder auch Einzelpersonen gibt, die statt Weihnachtsfeierausgaben der Initiative „Kunst kennt keinen Shutdown“, die wir ja mit anderen Stiftungen, Förderern und Privatpersonen ins Leben gerufen haben, einen Betrag spenden. Der Zusammenhalt in Hamburg hat uns sehr beeindruckt. Das Geld kommt aus ganz unterschiedlichen Richtungen: Da sind Werbeagenturen dabei, ein Malereibetrieb, ein Modelabel, ein Pianohaus, aber auch die drei großen Orchester der Stadt. Die Beträge reichen von 50 Euro bis 30.000 Euro, mit dem Geld kamen tolle Projekte zustande: Ein Illustrator zum Beispiel hat Zeichnungen an Menschen verschickt, die sich solche Kunstwerke sonst gar nicht leisten können. Zwei Künstlerinnen haben Musik-Mitmach-Videos für Kinder produziert. Ein Oboist hat kostenlosen Online-Unterricht an professionelle Oboisten weltweit gegeben. Es gab Konzerte für Senioren, es gab so viele Konzepte, hinter denen fabelhafte Ideen und viel Kreativität steckten.

Für die Hamburgische Kulturstiftung fallen gleichzeitig wichtige Fundraiser-Veranstaltungen aus, zum Beispiel das traditionelle Stiftermahl im Rathaus, bei dem sonst „Kunsterlebnisse, die man nicht kaufen kann“ zu Rekordsummen versteigert werden. Diese Summen fehlen nun erst einmal. Wie schwierig wird die Lage auch für Stiftungen?

Engelschall: Es stimmt, dass wir als spendensammelnde Stiftung durch die fehlenden Benefizveranstaltungen sehr viel weniger Einnahmen haben als sonst – das wird aber durch die Spenden für diese beiden Fonds aufgewogen, durch die wir enorme Summen ausschütten können. Uns ist ja wichtig, dass wir die Künstler, für die wir uns auch sonst einsetzen, in dieser schwierigen Lage so gut es geht unterstützen. Und das können wir, das macht uns froh und da bleiben wir dran. Im September hatten wir zwei Veranstaltungen im kleineren Rahmen, da kommt natürlich lange nicht so viel Geld zusammen wie in anderen Jahren, weil wir nur jeweils 50 Gäste dort haben konnten. Aber das ist in diesen Zeiten eben so.

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Persönliche Beziehungen zur oberen Einkommensschicht, zu all den solventen Reedern und Anwälten und Notaren, sind entscheidend in Ihrem Geschäft. Diese Beziehungen können Sie per Zoom oder Facetime vermutlich nicht so pflegen, wie es vor allem langfristig nötig wäre. Was bedeutet das für die Stiftungsarbeit?

Engelschall: Die Menschen, die mit uns in den letzten Jahren die Kultur unterstützt haben, die verstehen, wie essenziell wichtig diese Unterstützung war und ist. Die haben uns auch in diesen schwierigen Zeiten nullkommnull im Stich gelassen. Ich habe keine Angst vor dem nächsten Jahr, auch wenn ich eher nicht davon ausgehe, dass wir dann wirklich schon große Veranstaltungen werden machen können. Aber da machen wir uns jetzt nicht verrückt. Jetzt liegt der Fokus darauf, in diesen angespannten Monaten den Künstlern unserer Stadt so gut es geht zu helfen.

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