Hamburg. Ein Gespräch mit Stefan Gwildis über Sommer in der Stadt, Taubenschiss in der Schanze, traurige Abschiede und schöne neue Pläne.
Barmbeks Soulbruder Stefan Gwildis ist zurück: Gerade stellte er beim „Einer kommt, alle machen mit“-Benefizabend in der Elbphilharmonie sein neues Lied „Sommer in der City“ vor, weitere Konzerte und ein neues Album sind in Planung. Wir trafen den im südlichen Umland lebenden Sänger und Entertainer in der Nähe seines Studios in der Oberhafen-Kantine.
Vor fünf Jahren sprachen wir über Ihr Lied „Doppelhaushälftenherz“ und den darin erwähnten Bofrost-Mann. Damals war der Tiefkühlkost-Lieferant noch ein in Großstädten unbekanntes Relikt aus der Provinz. Jetzt hat der Bofrost-Mann in Corona-Zeiten wieder viel zu tun, die Firma sucht Verstärkung. Wie wär’s?
Stefan Gwildis Für mich war der Bofrost-Mann ja nur ein Sinnbild für das, was auch 2020 stattfindet: dass viele Frauen sich nicht verwirklichen, sich unterordnen, zurückziehen. Der Bofrost-Mann im Song beobachtet das, vielleicht beobachten die im richtigen Leben es jetzt auch vermehrt, ich hoffe nicht. Ich habe mir übrigens noch nie etwas liefern lassen, ich brauche den Schwatz an der Käsetheke, ich rede ja zu gern.
Das heißt, wenn die Post bei Ihnen zweimal klingelt, ist sie anschließend in Verzug?
Gwildis Auf die Post warte ich, wir haben uns einen Swimmingpool bestellt für das Video zu „Sommer in der City“.
Was bedeutet für Sie Sommer in einer Stadt wie Hamburg unter diesem „wunderschönen Grau“? Cornern in der Schanze? Gemütliches Abhängen im Stadtpark?
Gwildis Ich bin überhaupt kein Kneipengänger, aber ich habe im Jahr 2000, als meine erste Frau und ich uns trennten, ein Jahr lang in der Schanze gelebt. Da war ich wahrscheinlich der einsamste Hamburger der ganzen Welt, weil ich alles ausleben wollte, was … ich ausleben wollte, und von Bar zu Bar gezogen bin. Verloren, orientierungslos, aber es gab auch schöne Momente.
Galão beim Portugiesen schlürfen?
Gwildis Jahaa, vor 20 Jahren war das ja noch richtig progressiv, so ein teurer Milchkaffee. Nebenan saß jedenfalls so ein nachgemachter Werber oder sowas ähnliches, in der einen Hand den Galão, in der anderen ein Käsebrötchen, und die Taube auf dem Vordach über ihm hat es tatsächlich geschafft, sein Brötchen zu treffen, von da aus lief es weiter in den Kaffee. Er hat getobt, ich lag am Boden.
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In den vergangenen Jahren haben Sie viel Jazz-Musik gemacht, mit der NDR Bigband und Orchester gespielt. Wird das nächste Album wie „Sommer in der City“ poppiger?
Gwildis Ja. Wir haben in den vergangenen Jahren ja viel ausprobiert, von Soul bis Jazz, und ich finde, jetzt darf es auch mal in diese Richtung gehen.
Wenn Konzerte wieder möglich sind, wäre das doch wie gemacht für ein Clubkonzert. Mal was anderes als Laeiszhalle, Stadtpark und Elbphilharmonie.
Gwildis Nach wie vor machen die Clubkonzerte großen Spaß. Zumal gerade jetzt Unterstützung zum Erhalt dieser ganz besonderen Kultur von Nöten ist. Daher haben wir auch schon vor Corona immer wieder Gigs dort gespielt. Zum Beispiel im Februar im Happy Billard in Bergedorf. 300 Leute passten da rein, das war wie in „Blues Brothers“, es fehlte nur der Maschendrahtzaun und die rumfliegenden Bierflaschen. Da sind wir rein, mit der kompletten Band, das ganze fette Gebläse, richtig heiß. Was für ein geiler Abend.
Das klingt wie in ferner Vergangenheit, jetzt, wo man nur kleine Freiluftkonzerte oder Autokino-Shows spielen darf. Wollen Sie auch wie Helge Schneider nicht in Autokinos spielen?
Gwildis Wir sind am 10. Juli beim Kultursommer Open Air auf den Lüneburger Sülzwiesen, das war ursprünglich als Autokino geplant. Hauptsache, ich kann meine Leute wieder spüren, ich bring wie in „Blues Brothers“ die Band wieder zusammen, die soll wieder Kniste in die Tasche bekommen.
Gwildis Das war sehr, sehr traurig. Aber ich habe von ihrem Bruder gehört, dass sie trotz allem Unbills ihren Frieden damit gemacht hat. Wie tapfer sie auf eine zweite Chemotherapie verzichtet und es mit buddhistischem, versöhnlichem Gleichmut hingenommen hat, das hat mich nachhaltig beeindruckt. Ach, diese Stimme, ein Jahrhundert-Talent.
Bei welchem Lied werden Sie besonders an Regy Clasen denken?
Gwildis „Ohne Dich“. Ein tolles Duett, bei dem zwei Menschen, die länger zusammen waren, eingestehen, dass sie nicht mehr zusammenpassen, was aber auch schön ist.
Nach Abschieden entsteht ja auch oft Neues. Was sind Ihre Pläne?
Gwildis Ich habe schon so viele Projekte ausprobiert, und es ist immer noch reizvoll, sich auszutoben. Mit meinem Pianisten Tobi Neumann arbeite ich an Weihnachtsgeschichten, auch das Streichquartett-Projekt 4+4 bleibt spannend, und mit den Söhnen Hamburgs geht es weiter…
… die drei lustigen beiden.
Gwildis Die drei lustigen beiden, das ist gut! Ein weiteres wichtiges Anliegen ist Inklusion, ein sperriges Wort für etwas Schönes, das wir mit der Aktion „Maakellos“ vorstellen, und „Der Acker“: Auf 100.000 Quadratmetern will ich inklusiv und mit Arbeitsuchenden ein Gartenprojekt starten, um zu zeigen, was auch ohne Industriedünger und Pestizide möglich ist. Etwas Zeit habe ich ja zwischen Happy Billard und Elbphilharmonie.