Hamburg. Mit nur 48 Jahren ist die Sängerin nach langer und schwerer Krankheit gestorben. Regy Clasen gehörte zur “Goldenen Generation“.

„Frag nicht, warum ich gehe, frag nicht warum. Was immer auch geschehe, frag nicht, warum“, sang Regy Clasen vor 15 Jahren auf der Liedersammlung „Hildegard Knef – Ihre Lieder sind anders“. Es war ihr Lieblingslied ihres Idols, das sie schon als kleines Kind sang. Jetzt ist es ihre Familie, sind es ihre Fans und Begleitende auf ihren Wegen, die sich fragen werden, warum sie gehen musste. Viel zu jung, mit 48 Jahren, ist Regy Clasen am Sonnabend nach langer Krebserkrankung gestorben.

Geboren am 26. Juli 1971 in Hamburg, wuchs Regine Clasen (ihr richtiger Vorname geriet später nach einem Schüleraustausch in England in Vergessenheit) in Lüchow-Dannenberg als Nesthäkchen von sieben Geschwistern im Prinzip in einer Band auf. Mit ihren Eltern, Brüdern und Schwestern spielte sie auf Straßenfesten und Geburtstagen als „BinnenAllstarFamily“ Klassik, Jazz und Sketche, und die Dorf-Musikkneipe in Platenlaase wurde ihr Star-Club.

Regy Clasen gehörte zur "Goldenen Generation"

Nach dem Abitur in Hamburg und dem Popkurs der Hochschule für Musik und Theater trat sie 1991 der seinerzeit sehr erfolgreichen A-cappella-Gruppe Five Live bei, die sich aber 1997 nach Auftritten in ganz Europa und in den USA auflöste – Sängerin Conny Stahl starb nach einer Leukämieerkrankung.

Regy Clasen schrieb weiter Songs und gehörte Ende der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre zur Goldenen Generation der damaligen Hamburger Musikerszene. In Angie’s Nightclub am Spielbudenplatz und in der „Sprungbrett“-Band Soulounge spielten, sangen und netzwerkten seinerzeit Talente, die später als Roger Cicero, Johannes Oerding, Anna Depenbusch, Pohlmann, Miss Platnum und Ayo bekannt wurden.

Regy und ihr Bruder Mat als Saxofonist ihrer Band waren mittendrin, und mit Regys Debütalbum „So nah“ wuchs von 2000 an auch die Zahl der „Regy-Assistenten“, wie ihre Fans sich nannten.

„So nah“ hieß auch Regys erster Song auf Deutsch, ein Experiment und seinerzeit noch ungewöhnlich in der zumeist englisch singenden deutschen Popkulturszene. Das im Wohnzimmer aufgenommene Demo verschaffte ihr einen Plattenvertrag bei Columbia/Sony, aber der wurde nach der ersten Platte wieder aufgelöst. Die „Neue Neue Deutsche Welle“ mit Wir sind Helden, Juli und Co. sollte noch kommen, Clasen war vielleicht einen Schritt zu früh dran.

Balladesker Soul-Pop – wie gemacht für ihre Stimme

So waren es die „Regy-Assistenten“, die (lange, bevor Crowdfunding erfunden wurde) mit T-Shirt-Käufen die Aufnahmen des Nachfolgers „Wie tief ist das Wasser“ finanzierten, der 2004 auf dem Rintintin-Label von Hamburgs Pop-Trüffelspürnase Michy Reincke erschien. Das Album begeisterte mit autobiografischen, offenen Texten über Liebe und Leidenschaft und balladeskem Soul-Pop, der wie gemacht war für ihre Stimme. Sie sang mit einer sanften, melancholischen Wärme, die sich wie ein Seidenvorhang vor offenem Fenster um die Hörenden legte: wenig verhüllend, anschmiegsam und zumindest ein kleiner, tröstender Schutz vor den Stürmen des Lebens da draußen. „Kann ich bleiben (heute nacht)“ ist so ihr Signatursong geworden.

„Zum ersten Mal habe ich plötzlich mit meinen eigenen Songs so viel Aufmerksamkeit bekommen. Das war ein kleiner Durchbruch“, sagte Clasen 2004 nach einem ausverkauften Konzert im Mandarin Kasino. 2005 spielte sie dort zwei Mal, das war der Höhepunkt ihrer Solo-Karriere.

Durchbeißen, durchschummeln als Preis für den Erfolg

Das Mandarin Kasino, die mittlerweile abgerissene Zwischenlösung als Übergang von dem alten Mojo Club zum Neubau unter den Tanzenden Türmen, steht nicht mehr. Und auch ein drittes Album von Regy Clasen sollte, von „Live im Schmidt Theater“ 2007 abgesehen, nie mehr erscheinen.

Durchbeißen, Durchkämpfen, Durchschummeln und Dauertouren: Das ist die Rechnung, die die Popmusik auch den größten Talenten überreicht als Preis für eventuellen Erfolg. Regy Clasen wollte die nicht bezahlen müssen und ist andere Wege gegangen. Sie übersetzte Bücher, schrieb Werbesongs und Theatermusik – 2018 mit dem Pianisten und Komponisten Martin Tingvall für das Kieler Sommertheater – und wurde gefragte Duettpartnerin und Backgroundsängerin. Vor allem Stefan Gwildis zählte viele Jahre lang auf die auf eigenwillige, kraftvoll-sanfte Stimme drei Meter hinter sich.

Zum Comeback ihrer Band konnte sie nicht mehr kommen

Auch beim Abschiedskonzert von Soulounge 2010 in der Fabrik war sie dabei, aber das Comeback der Band, die bereits die verlorenen Stimmen von Roger Cicero (starb 2016 mit 45 Jahren) und Astrid North (starb 2019 mit 46 Jahren) betrauern musste, konnte sie nicht mehr begleiten. Als Soulounge vor fünf Wochen die ausverkaufte Fabrik zum Toben brachte, erlebte Regy Clasen die letzten Takte ihres Lebens bereits im Hospiz Helenenstift. „Ich wär gern mit dir aufgewacht“, sang Regy Clasen in ihrem schönsten Lied, „Ich hab aber gar nicht geschlafen.“ Jetzt schläft sie für immer.