Hamburg. Schauspielerin Anja Laïs über neue Regeln und die alte Erkenntnis: „Theater hat ja auch immer etwas mit Besinnungslosigkeit zu tun.“
Am Deutschen Schauspielhaus wird seit Kurzem wieder ein Stück von Rainald Goetz geprobt – 21 Jahre nach der letzten Goetz-Uraufführung („Jeff Koons“) und wenige Wochen nach der kompletten coronabedingten Schließung des Theaters. Die Große Bühne ist nun die Probebühne für die Produktion „Reich des Todes“, Premiere ist zum erhofften Saisonauftakt im September, Regie führt Karin Beier. Die Schauspielerin Anja Laïs über Proben unter Abstandsregeln und im Schwimmnudelkostüm.
Hamburger Abendblatt: Sie proben seit Mitte Mai wieder. Wie fühlt sich das an?
Anja Laïs Ich habe mich extrem gefreut, wieder ein Theater zu betreten und auf einer Bühne zu sein. Wir haben ja hier den Luxus, dass wir auf der Riesenbühne proben. Es rührt einen auch immer, dabei das leere Theater zu sehen. Es ist jetzt so, wie es ist. Wir müssen das beste draus machen.
Gelingt das?
Es ist widersprüchlich. Ein „Juhu, wir können wieder“ ist es nicht. Wir haben ja lange Listen, wie man sich zu verhalten hat, die Garderoben sind alle getrennt, wir müssen mit Abstand die Bühne betreten und haben verschiedene Ein- und Ausgänge, das macht einen total traurig. Theater hat eigentlich etwas mit Nähe und Körperlichkeit zu tun. Man braucht als Schauspieler ja auch einen Motor, den man gerade ein bisschen künstlich anstellen muss. Und wenn ich die Welt da draußen betrachte, dann halten wir uns wirklich extrem an die Regeln. Wir kämen jetzt nicht auf die Idee, in ein überfülltes Restaurant zu gehen oder in eine überfüllte Bahn zu steigen. Sonst wäre ja wieder Probenende.
Wie sehr können Sie sich auf der Bühne fallen lassen – oder muss man sich die Proben mit angezogener Handbremse vorstellen?
Vor der angezogenen Handbremse hat man schon Angst. Aber wir proben extrem konzentriert. Wir wollen ein Ergebnis bis zum 11. September, das ist das Premierendatum, auf das wir hinarbeiten. Wir fahren sozusagen unsere Temperatur wieder hoch.
Wie muss man es sich konkret vorstellen? Karin Beier hat Abstandskostüme aus Schwimmnudeln bauen lassen. Nutzen Sie die tatsächlich?
Ich fand diese Idee erstmal superlustig. Für die ersten Begegnungen war das sehr gut! Wir sind ein großes Ensemble und es gab viele Szenen, in denen wir alle auf der Bühne sind. In diesen Momenten werden die auch immer wieder mal angezogen, in manchen Momenten auch der Mundschutz. Aber wir haben die Schwimmnudeln in vielen Szenen auch schnell weggelassen, weil man da auch so Abstand halten kann.
Funktioniert das denn auch inhaltlich?
Ja, es passt zum Stück. Es geht um die Folgen des 11. September, auch da mussten viele Menschen mit einer extremen Situation umgehen. Jetzt haben wir wieder eine Ausnahmesituation, in der man sich auch fragt: Wie geht es mit der Demokratie weiter? Es gibt Bezüge zu Amerika, aber auch zu Deutschland. Und es gibt lange Monologpassagen, die nach vorn gesprochen werden. Ein paar körperliche Szenen muss man anders lösen, aber damit umzugehen, funktioniert extrem gut. Schauspieler sind ja auch gut trainiert darin zu wissen, was Abstand zueinander bedeutet. Das ist im Körper drin. Aber wenn man etwas spielt wie „Lulu“, da kann ich es mir so gar nicht vorstellen. Der Beruf hat ja auch immer etwas mit Besinnungslosigkeit zu tun.