Hamburg. Zwei Nobelpreisträger kommen nach Hamburg. Und neue Bücher gibt es von Matthias Politycki, Nick Hornby, Hilary Mantel und Uwe Timm.
Ein neues Jahrzehnt auch für die Literatur und mit ihr deren Hamburger Abteilung! Zunächst der Blick zurück: Die gerade zu Ende gegangenen 2010er-Jahre beförderten in der Hansestadt ein neues Literaturfestival zutage – Harbour Front nämlich, das seit 2010 verlässlich hauptsächlich im September und Oktober Weltliteratur nach Hamburg bringt. Ein Umstand, der umso wichtiger ist, als die Vattenfall Lesetage nach anderthalb Jahrzehnten seit 2013 nicht fortgeführt wurden. Daran sieht man: Die groß gedachten Festivals kommen und gehen. Immer da, und das bereits seit 30 Jahren, ist das Hamburger Literaturhaus , unbestritten der wichtigste Literaturveranstalter der Stadt.
Ihm wird auch in den 2020er-Jahren eine entscheidende Rolle in der Literaturvermittlung zukommen. Weil Literatur eher keine Wachstumsgeschichte ist oder zumindest Lesebegeisterung in Zukunft noch weniger von selbst kommen wird, muss betont werden, dass vermeintlich nachrangige Unternehmungen wie das Kinder- und Jugendliteraturfestival Seiteneinsteiger (es wurde im vergangenen Jahr 15 Jahre alt und ist aus dem Kulturkalender, wie man so sagt, nicht mehr wegzudenken) in ihrer Bedeutung gar nicht genug geschätzt werden können. Wer nicht von früh an die Attraktivität von Texten schätzen lernt, wird später den gewaltigen Verführungskräften des Zeitkillers Smartphone noch wehrloser erliegen.
Herta Müller und Mario Vargas Llosa sind zu Gast
Der streckt seine funkelnden Displays freilich auch gebieterisch in Richtung erwachsener Leser aus. Schauen wir also auf das Gegenprogramm der Literatur, das solche Anfechtungen parieren muss, schauen wir auf die neuen Bücher fürs Frühjahr, schauen wir besonders auch auf die Terminliste des Literaturhauses.
Nach der Verleihung des Mara Cassens Preises an Emanuel Maeß (siehe Text unten) und den Lesungen Jan Peter Bremers, der seine glänzende Satire „Der junge Doktorand“ am 14.1. vorstellt, und David Wagners , der den Vater- und Demenz-Roman „Der vergessliche Riese“ am 29.1. vorstellt, geht die Saison richtig und brandneu ab Februar los. Mit seligen Vorlese-und-über-das-Vorgelesene-gehaltvoll-Plaudern-Veranstaltungen, die sich dann ganz frisch und also 2020 erschienenen Büchern widmen. Am 11.2. geht es um „Nelly B.s Herz“, den Roman des schwedischen Autors Aris Fioretos – er beschäftigt sich mit einer Berliner Flugpionierin vor 100 Jahren. Am 19.2. dann ist die Literaturnobelpreisträgerin von 2009 zu Gast: Herta Müller liest auf Einladung des Literaturhauses im Schauspielhaus aus Textcollagen jüngeren Datums. Nicht genug der Autoren von Weltrang: Der Literaturnobelpreisträger von 2010, Mario Vargas Llosa, stellt im Magazin-Filmkunsttheater am 19.3. seinen neuen Roman „Harte Jahre“ vor.
Heimspiele wird es im Literaturhaus auch im Jahr 2020 geben: Leona Stahlmann kommt mit ihrem sprachgewaltigen Debüt „Der Defekt“, in dem es um das sexuelle Anderssein geht, am 26.2. in den neuerdings nach dem Bremerhavener Mäzen Eddy-Lübbert-Saal genannten Festsaal. In ebenjener guten, großdimensionierten Stube der Literatur tritt am 3.3. dann der hamburgisch-münchnerische Schriftsteller Matthias Politycki auf. Mit seinem ersten Roman seit sieben Jahren: „Das kann uns keiner nehmen“ ist ein furioser Reise- und Freundschaftsroman, der komisch ist und tragisch; und der mit „dem Tscharli“, einem bajuwarischen Schlau- und Dummschwätzer, der sich um politische Korrektheit nicht schert, den wohl unwahrscheinlichsten Romanhelden des Jahres hat. Weil Politycki auch Lyriker ist, sei an dieser Stelle auf Nora Gomringers Abend am 31.3. verwiesen: Da stellt sie ihren neuen Gedichte-Band vor.
Ulla Hahn gibt ihre Gedichte noch einmal neu heraus
Für klassische Connaisseure dann die Abende, die Friedrich Hölderlin (10.3., mit Karl-Heinz Ott) und Honoré de Balzac (19.3., mit Charly Hübner) gewidmet sind. Und die Graphic Novel Tage finden vom 23. bis 29.3. statt. Womit bewiesen wäre, dass das Literaturhaus Mühe dabei walten lässt, das Feld der Literatur großflächig zu beackern. So weitgefasst, dass mit dem inzwischen ein drittes Mal terminierten Popmusik-Abend mit Kultursenator Carsten Brosda , der einen lobenswerten Musikgeschmack (Songwriter, Country) hat, und Literaturhaus-Chef Rainer Moritz , der einen, sagen wir: schillernden Musikgeschmack (Schlager) hat, ein Format ein weiteres Mal stattfindet, das alle Einordnungen sprengt (5.2.).
Die zwölfte Ausgabe des Harbour Front Festivals läuft vom 9.9. bis 18.10.; das Programm wird Anfang August veröffentlicht und könnte auch mit manchen Namen aufwarten, die bereits im Frühjahr eine Rolle spielen. In den kommenden Monaten erscheinen unter anderem Bücher von Anne Enright („Die Schauspielerin“, 20.3.), James Baldwin („Giovannis Zimmer“, Neuübersetzung, 21.2.), Hilary Mantel („Spiegel und Licht“, 20.3.), Richard Russo („Jenseits der Erwartungen“, 19.5.), T. C. Boyle („Sind wir nicht Menschen“, 17.2.).
Richard Ford („Irische Passagiere“, 27.4.), Elizabeth Gilbert („City of Girls“, 27.5.) und Nick Hornby („Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst. Eine Ehe in zehn Sitzungen“, 5.3.).
Unter den deutschsprachigen Novitäten sind Peter Handkes „Das zweite Schwert. eine Maigeschichte (12.2.), Maxim Billers „Sieben Versuche zu lieben“ (Best-of seiner Kurzgeschichten, 13.2.), Lutz Seilers „Stern 111“ (2.3.), Abbas Khiders „Palast der Miserablen“, (7.2.), Leif Randts „Allegro Pastell“ (5.3.), Anna Katharina Hahns „Aus und davon“ (13.5.) und Hanns Zischlers „Der zerrissene Brief“ (13.2.).
Hamburgensien gibt es auch: Neben den bereits genannten Matthias Politycki und Leona Stahlmann sind da besonders Benjamin Maacks autobiografisches Depressions-Buch „Wenn das noch geht, kann es so schlimm nicht sein“ (8.3.), Michel Abdollahis autobiografisches Heimat-Buch „Deutschland schafft mich: Wie ich erfuhr, dass ich doch kein Deutscher bin“ (4.3.), Janna Steenfatts „Die Überflüssigkeit der Dinge“ (4.2.) und Nora Gantenbrinks „Dad“ (18.2.) zu nennen.
Sonst noch etwas? Ja, und wie: Ulla Hahn, nach Brigitte Kronauers Tod im Sommer 2019 die letzte verbliebende Grand Dame der Hamburger Literatur, bringt ihre „Gedichte fürs Gedächtnis“ im März neu heraus. Und Uwe Timm, der vor langer, langer Zeit nach München ausgewanderte Auch-Hamburg-Dichter („Die Entdeckung der Currywurst“), wird am 30. März 80 Jahre alt. Aus diesem Anlass erscheint der Essayband „Der Verrückte in den Dünen“ (Spitzentitel schon mal ...), in dem es um „Utopie und Literatur“ geht, und der Sammelband „Am Beispiel eines Autors – Texte zu Uwe Timm“. Verdient ist verdient.