Hamburg. Der 25-jährige Kanadier tanzt die Hauptrolle in der von John Neumeier choreografierten „Glasmenagerie“. Premiere am Sonntag.

Auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper stehen eine Zimmerecke mit Tür, ein Tisch, zwei Stühle, eine Wohnecke samt Stehlampe. Patricia Friza und Alina Cojocaru tanzen eine Begegnung am Tisch. Sie verkörpern Mutter und Tochter Amanda und Laura Wingfield. Die eine hinkende Schüchternheit, die andere eine ehemalige Südstaatenschönheit mit Schlange stehender Liebhaberschar. Der Vater hat die Familie verlassen, nun kommt Amandas Bruder Tom nach Hause.

Getanzt wird dieser von Félix Paquet, der den Arbeitskollegen Jim (Christopher Evans) mitbringt. Es wird fröhlich hin und her gescherzt und gesprungen. Paquets Tom umarmt Mutter und Schwester aufs Innigste. Die Leichtigkeit weicht Ernüchterung, als sich herausstellt, dass Jim verheiratet und damit keine Partner-Option für Toms Schwester ist. Schon in dieser kurzen Sequenz glänzt Paquet als feinnerviger, sensibler Tänzer.

Félix Paquet scheint die Schwerkraft auszuhebeln

Hamburg-Ballett-Chef John Neumeier probt seine neue Kreation „Die Glasmenagerie“ für die Premiere am 1. Dezember frei nach dem Drama von Tennessee Williams. Mit Félix Paquet erwartet die Ballettfans dabei ein neues Gesicht. Der 25-jährige Kanadier verstärkt das Ensemble seit dieser Spielzeit als Solist. Auf der Bühne war er bereits in „Ein Sommernachtstraum“ und in „Orphée et Eurydice“ zu sehen. Paquet, der zuvor sieben Jahre im National Ballet of Canada tanzte, darunter zwei Jahre als Solist, kennt die Arbeit von John Neumeier seit Längerem.

In Kanada trat er bereits als Levin in dessen „Anna Karenina“ auf. Und gerade bei dieser Produktion lernte er die Besonderheit von Neumeiers Arbeitsweise schätzen. „Ich fühlte mich verändert im Innern. Nie zuvor war ich so sehr gefordert, bei mir selbst in die Tiefe zu gehen“, erzählt Félix Paquet mit offenem Lachen unter ungebändigten Locken nach der Probe. „Es gibt im Tanz viele Athleten, kreative Künstler sind selten. Aber genau danach sucht John Neumeier, wenn er Geschichten erzählt. Deshalb wollte ich unbedingt hierher kommen.“

Bewerbungs-E-Mail an John Neumeier

Und so schickte er Neumeier Ende vergangenen Jahres eine Bewerbungs-E-Mail. Die Antwort war ermutigend. Der junge Tänzer kam nach Hamburg. „Ich habe mich sofort in die Tänzer und in die Company verliebt“, erzählt Paquet. Schließlich erhielt er den Solovertrag. Das System sei in Hamburg so ganz anders als in Kanada, wo er nach zehn Jahren mehr Freiheit und einen Neuanfang suchte. „In einer neuen Umgebung erfährt man so viel Neues über sich selbst.“

Sichtlich genießt es Paquet nun, in einem kleinen Kern-Team an der Kreation von „Die Glasmenagerie“ mitzuwirken. Das Kammerspiel von Tennessee Williams, 1944 uraufgeführt, erzählt stark autobiografisch das Drama einer Familie, deren Mitglieder allesamt Gefangene ihrer Illusionen und vergeblichen Hoffnungen sind. Es ist für John Neumeier ein sehr persönliches Werk, denn er hat es mit 17 Jahren in der Regie seines Mentors Father John Walsh S.J. gesehen und freundete sich eng mit der Laura-Darstellerin an.

Paquet tanzt sehr sanft, fast ätherisch

Von persönlichen Erfahrungen berichtet auch Félix Paquet. Als einziges von fünf Kindern einer Familie in Québec wählte er eine künstlerische Laufbahn. Nach Erzählungen seiner Mutter fing er bereits im Alter von vier Jahren an, zu klassischer Musik zu tanzen und nach Ballettunterricht zu fragen. Sein Talent wurde erkannt, doch es zwang ihn auch, die Familie im Alter von 15 Jahren zu verlassen, um in Canada’s National Ballet School in Toronto einzutreten. Das sei hart und schmerzvoll gewesen, sagt er. Schmerz spürt er auch in der Person des Tom Wingfield. „Jeder Mensch muss sich erst einmal finden“, sagt Paquet. „Tom hat diese spezielle Bindung an seine Schwester, aber manchmal muss das eigene Leben einfach weitergehen.“ Die intensiven Proben seien sehr emotional gewesen.

Das Ergebnis der harten Arbeit ist nun auf der Bühne zu erleben: Paquet scheint die Schwerkraft auszuhebeln, tanzt sehr sanft, fast ätherisch. Andere Szenen zeigen seine Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach Selbstverwirklichung einerseits und der Verantwortung für die Familie andererseits. „John Neumeier ist großartig darin, Energien zu lesen, eine Rolle auf die Tänzerin oder den Tänzer zuzuschreiben. Er hat eine tolle Intuition“, zeigt sich Félix Paquet begeistert.

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Die Arbeit sei nicht „superklassisch“, was einem Tänzer wie ihm aber sehr entspreche. Während seiner Jahre in Kanada hat er auch in Choreografien von William Forsythe und Wayne McGregor getanzt, was sein Potenzial im zeitgenössischen Tanz offenbart. Noch immer gerät er ins Schwärmen, wenn er sich daran erinnert, wie er einst als einer von 25 Soldaten in der letzten Reihe des National Ballet of Canada angefangen hatte und sich dann zum Goldenen Sklaven in „Scheherazade“ und dem Faun in „Nijinsky“ hochtanzte.

  • Das Museum
    Das seit Jahrzehnten geplante Ballettmuseum mit der bedeutenden Sammlung des Hamburger Ballett-Intendanten John Neumeier kommt möglicherweise in die HafenCity. „Die Kulturbehörde prüft eine Immobilie in der HafenCity“, sagte eine Sprecherin am Freitag. Allein die riesige Kunstsammlung umfasst 11.000 Exponate. Hinzu kommen die rund 150 von Neumeier geschaffenen Choreografien. dpa

In Hamburg ist Paquet mittlerweile angekommen. Im Stadtteil Winterhude hat er eine Wohnung gefunden. Er liebt die Nähe zur Alster und die Blumenläden, die er bis zu dreimal am Tag besucht. Er liebt aber auch den Flohmarkt in der Schanze. Ansonsten versucht er, möglichst viel Schlaf zu bekommen, um fit für das körperlich und geistig fordernde Ballett zu sein. Einen Besuch der Elbphilharmonie hat er noch nicht geschafft. Der muss warten. Bis nach der Premiere.

„Die Glasmenagerie“ Uraufführung 1.12., 18.00, 3., 5., 7., 12., 13.12., jew. 19.30, 26.1.2020, 19.00, 30. und 31.1.2020 jew. 19.30, Hamburgische Staatsoper, Karten unter T. 35 68 68