Hamburg. „Junkies und Scientologen“ ist das erste Album nach fünf Jahren ohne neue Songs von Uhlmann. Er ist und bleibt der Anti-Frevert.
„Ich habe fünf Jahre nicht gesungen“, so hebt diese Platte an. „Ich“ – alles andere wäre komisch. Thees Uhlmann begreift die Welt konsequent vom eigenen Selbst aus. Künstlerische Egozentrik ohne doppelten Boden, das ist es, was man bei dem 1974 in Hemmoor geborenen Rockmusiker verbindet.
Man konnte das zwar manchmal platt und enervierend finden, aber: Er hat damit doch immer noch neumännliche Horizonte geöffnet. Zu Uhlmann kann man ganz ungeniert ins Bier weinen. Der Mann, der nur manchmal von der Nordseeküste singt, aber unterschwellig eigentlich immer mit trotzigem und melancholischem Blick auf dem Deich gegen den Wind läuft, versucht standhaft, sein Ich zu dem von uns allen zu machen.
Thees Uhlmann, immer auf dem Weg ins letzte Pathosgefecht
Und diese Mühe war immer aller Ehren wert. Ob mit Tomte oder später als Solokünstler, Thees Uhlmann war immer auf dem Weg ins letzte Pathosgefecht, und bei allem Gemosere über die manchmal schon beinah lächerlich unbeholfenen Poesieversuche ist man ihm doch meist gerne gefolgt. Weil sich Uhlmann jene Form der hochtourigen Sentimentalität stellvertretend für uns auch mit 45 Jahren noch erlaubt. Jetzt ist das neue Album Uhlmanns da, es heißt „Junkies und Scientologen“.
In den fünf Jahren seit dem schlicht „#2“ betitelten letzten war Uhlmann aber nicht untätig. Er schrieb zum Beispiel einen 2015 erschienenen Roman, der „Sophia, der Tod und ich“ heißt und mit viel Humanschmelz und bittersüßem Kitsch eine Langform des Uhlmann’schen Existenzialismus ist. Im Altonaer Theater wurde er vor zwei Jahren auf die Bühne gebracht. Uhlmann las außerdem die Hörbuchversion von Bruce Springsteens Autobiografie „Born to Run“ ein.
"Junkies und Scientologen": Gute, alte Rockmusik
Aber jetzt war es dann auch mal Zeit für ein Engagement im Kerngeschäft, wobei nicht verschwiegen werden darf, dass im Oktober ein neues Buch Uhlmanns erscheint. Thema sind Die Toten Hosen. Davon nun möglichst schnell wieder zu Springsteen, den Uhlmann mindestens bewundert, vielleicht auch verehrt: Auf „Junkies und Scientologen“ versucht er sich aber nicht wirklich im Stile des Bosses als Storyteller – und was wir dabei hören, klingt dennoch nach guter, alter Rockmusik.
Nicht wenige haben festgestellt, dass man bei der ersten Single „Fünf Jahre nicht gesungen“ unweigerlich an Foreigners „Cold As Ice“ denkt.
Die altbekannten Uhlmann-Themen und eine Menge Namen
Wir hören in Songs wie diesem oder „Menschen ohne Angst wissen nicht, wie man singt“, in „Was wird aus Hannover“ oder dem Titelstück die altbekannten Uhlmann-Themen. Es geht um Amerika, den Tod, das Ich und die Welt, um Popkultur; was letztere angeht, ist Uhlmann so großzügig wie noch im Reich der Namen unterwegs. Ein Journalist zählte nach und fand tatsächlich 42 gar nicht fiktive Personen der Gegenwart auf dem ein Dutzend Songs umfassenden Album.
Ein Lied heißt ja auch gleich mal nach dem jung gestorbenen schwedischen Musiker „Avicii“ (Hammer-Beat!), ein anderer „Katy Grayson Perry“. Außerdem tauchen Jürgen Klopp, die Scorpions (in der allerdings nicht wirklich nötigen Stadt-Hommage „Was wird aus Hannover“), die Söhne Helmut Kohls und Marcus Wiebusch auf. Und viele andere.
Der Nestbeschmutzer als „Lieblingstier“
Thees Uhlmann, der Ex-Reeperbahn-Bewohner und Wahlkreuzberger, ist der Heros der Provinz geblieben, und Amerika muss da immer Sehnsuchtsort bleiben. „Ich habe alles versucht/Es hat nicht gereicht/Allein in der Stadt/Einsam hinter dem Deich/Gib’ mir einen Stift und ein Zettel/Und der Rest ergibt sich/Das Leben ist kein Highway/Es ist die B73“ singt er einmal. Typische Uhlmann-Pointe, denkt man, und: Beim nächsten Mal unbedingt mitsingen.
Und, nun ja, wichtig sein Kommentar (mit, weil es schön war, abermaliger Bundesstraßen-Referenz) zum allerpeinlichsten Nationalismus teutonischer Prägung, wie er derzeit durch die Lande schwappt: „Ich erinner mich an alles/Sogar noch an den Krieg/Der Deutsche ist erst zufrieden/Wenn jemand am Boden liegt/Und dann lobt er sich selbst/Und tritt noch mal rein/Fühlt sich moralisch überlegen/Denkt: Genauso soll es sein/Hier geht es nicht nach Walhalla/Das ist die Bundesstraße 4/Und der Nestbeschmutzer ist mein Lieblingstier“.
Thees Uhlmann, der Anti-Frevert
Ziemlich entzückend ist die Stephen-King-Ode „Danke für die Angst“, und offensichtlich sind grundsätzlich die HipHop-Unterströmungen, denn es ist nicht nur so, dass Uhlmann die erfolgreichste Popspielart der Gegenwart beständig zitiert (Songtitel: „Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach HipHop-Videodrehs nach Hause fährt“), er textet ganz im Dienste der „Lines“, um die es im Rap immer geht.
Das macht seine Texte zu Bastarden aus tief empfundenen Gefühl und verbaler Maximalpenetranz („Die Leute sehen aus wie ausm Playboy/Und wissen trotzdem, was in der Nido steht“), denen Kohärenz nicht wirklich ein Anliegen ist („Ein Scheinwerfer leuchtet suchend durch die Menge/Als wären wir zwei unter vier/Dinosaurier liebt man nur, weil sie ausgestorben sind/Und dann fängt die Band an zu spielen“).
Uhlmann ist der Gegenentwurf zum so zurückhaltend dichtenden Poppoeten Niels Frevert, und jenen muss es halt unbedingt auch geben, oder? „Junkies und Scientologen“ knallt man sich rein, bevor man ins Stadion geht. Freverts unlängst erschienene Hochleistungs-Songwriter-Platte „Putzlicht“ wenn man später, viel später wieder nach Hause kommt.