Hamburg. Alexander Klar tritt am 1. August sein Amt als Direktor der Kunsthalle am Glockengießerwall an. Ein erstes Gespräch mit ihm.
Im wichtigen Jubiläumssommer 2019 übernimmt der Kunsthistoriker Alexander Klar die Direktion der Hamburger Kunsthalle. An den 50-Jährigen werden große Erwartungen geknüpft: Er soll neue Zielgruppen erschließen und solide Besucherzahlen liefern und das Haus gleichzeitig international an die Spitze führen. Ein Gespräch über die Rolle großer Kunstmuseen der Gegenwart, Klars Faible für lebende Künstler und darüber, was man in der Hamburger Kunsthalle und nicht im Pariser Louvre findet.
Was verbinden Sie mit der Hamburger Kunsthalle?
Alexander Klar: Mit der Hamburger Kunsthalle verbinde ich den ganz großen Bogen der Kunstgeschichte. Außerdem die Ausstellung zu Anselm Feuerbachs Musen im Jahr 2014. Sie wurde von Wiesbaden und Hamburg gemeinsam organisiert und in der Kunsthalle unglaublich schön gehängt. Und – ganz spontan – den Blick auf die Alster von der Galerie der Gegenwart aus.
Wann waren Sie das erste Mal dort?
Alexander Klar: Im Jahr 2002, als ich von Emden aus den Norden Deutschlands erkundet habe.
Auf was freuen Sie sich am meisten, wenn Sie am 1. August in Hamburg starten?
Alexander Klar: Auf das Neue. Eine Sammlung in ihrer Breite und Tiefe neu kennenzulernen, gehört zu den schönsten Dingen, die einem als Kunsthistoriker widerfahren. Darauf freue ich mich ebenso wie auf den Austausch mit den neuen Kolleginnen und Kollegen. Man denkt selten so intensiv über die Zukunft nach wie zum Zeitpunkt eines Neuanfangs.
Welche Vorstellung haben Sie von Ihrem künftigen Publikum?
Alexander Klar: Das Publikum eines Museums sollten alle Menschen sein, alle Altersklassen, alle Einkommensverhältnisse, alle Erfahrungs- und Bildungshintergründe. Kunst betrachten, sich daran erfreuen, sich inspirieren lassen, neue Gedanken in sich entdecken – all das kann jeder Mensch, wenn er sich in einer stimulierenden Umgebung befindet. Die Aufgabe der Kunsthalle ist es, allen Menschen deutlich zu machen, dass das Museum ihnen gehört: Es waren vor 150 Jahren Bürger, welche es begründet haben, und es waren Bürger, die ihre Werke oder sogar ihre Sammlungen dem Haus schenkten oder vermachten. Die Tradition eines Hauses von und für Bürgerinnen und Bürger möchte ich fortführen. Die Kunsthalle gehört tatsächlich uns allen.
Sie kuratieren selbst leidenschaftlich gerne: Welche Ausstellung möchten Sie unbedingt in den nächsten Jahren realisieren?
Alexander Klar: Bei den vielen hervorragenden Kuratorinnen und Kuratoren der Kunsthalle weiß ich nicht, ob ich da je zum Zuge kommen werde… Aber im Ernst: Die Frage ist, ob kuratierende Direktoren immer so gute Kuratoren sind. Ich sehe meine Rolle als Impulsgeber für ein zusammenhängendes Ausstellungsprogramm und als Sparringspartner bei der Arbeit an den Ausstellungen. Wenn ich einmal selbst etwas zum Programm beitragen wollte, wäre das wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit lebenden Künstlerinnen oder Künstlern, also am ehesten in der Gegenwartskunst.
Die Kunstwelt ist auch eine Glamourwelt: Alles spricht über Leonardo da Vinci im Louvre oder die immer neuen Auktionsrekorde. Wie kann die Kunsthalle da mit ihrem Angebot Aufmerksamkeit generieren?
Alexander Klar: Der Louvre ist natürlich, zumindest was Leonardo da Vinci betrifft, der Hamburger Kunsthalle gegenüber ein wenig im Vorteil. Allerdings nur ein wenig. Gerade kann man ja in der Kunsthalle die einzigartige Gelegenheit wahrnehmen, die vier Zeichnungen von da Vinci, welche die Kunsthalle besitzt, in einer preziösen Ausstellung besichtigen. Da es in Deutschland nur insgesamt neun Zeichnungen da Vincis gibt, ist der Bestand der Kunsthalle etwas wahrlich Besonderes. Im Falle des Werkes von C. D. Friedrich und P. O. Runge ist die Hamburger Kunsthalle dem Louvre gegenüber aber klar im Vorteil … Aufmerksamkeit „generiert“ man mit Werbung und Marketing, und da befindet man sich als Kulturinstitution im Wettbewerb mit Wirtschaftsunternehmen, die deutlich mehr Geld in Werbung stecken können. Das sollte uns aber nicht schrecken. Der Markenwert der Hamburger Kunsthalle ist hoch und kann sicher auch noch gesteigert werden. Das „Angebot“ sind die Sammlungen, die Architektur des Hauses und die Sonderausstellungen; alle drei Themenfelder werden in der Kunsthalle schon lange auf hohem Niveau „bespielt“. Auch diese Seite des Museumsbetriebes ist wichtig, sie mit den Kolleginnen und Kollegen im Haus weiterzuentwickeln reizt mich sehr.
Würde man Ihnen ein Kunstwerk aus der Kunsthalle für einen ganzen Tag überlassen – welches würden Sie auswählen?
Alexander Klar: Richard Serras „Measurements Of Time“ im Sockelgeschoss, das ab dem 30. August nach langer Absenz wieder gezeigt werden wird. Angesichts der 13 Tonnen geschmolzenen Bleischrotts wäre das aber ein ziemlicher Aufwand für einen Tag. Vielleicht ist es dann doch die bessere Idee, für einen Tag in die Kunsthalle zu kommen...
Der Supersommer 2018 hatte sich verheerend auf die Besucherzahlen der Kunsthalle ausgewirkt. Warum sollte man bei 25 Grad trotzdem und unbedingt ins Museum gehen?
Alexander Klar: Wenn man Hitze nicht verträgt (wobei die bei mir ehrlich gesagt erst bei 30 Grad anfängt) und gerne mit der Kunst ungestört allein sein möchte, dann ist der Sommer eine gute Zeit für den Museumsbesuch. Ich möchte aber keinesfalls dem Strand Konkurrenz machen. Das Leben sollte an allen Orten stattfinden, am Strand wie im Museum. Mein größerer Ehrgeiz wäre es, an einem nieseligen Sonnabend dem allgemeinen Drang zum Shopping in der City eine Alternative anzubieten: Der Erwerb von Dingen beschwert, die Aneignung von Eindrücken befüllt und erleichtert einen zugleich.
Welche Aufgabe hat ein großes Kunstmuseum heute?
Alexander Klar: Das Museum ist der öffentliche Ort, der die Gesellschaft auf angenehme, stimulierende Weise zusammenbringen kann. Ein Museum sollte sich also nicht allein der Präsentation von Kunst verschreiben, sondern sich auch als ein Ort des Austausches von Ideen anbieten. In der Gegenwart der Kunst kann man über sich, über Ethik, Politik, Geschichte und über die Werte nachdenken, die uns verbinden. Vor Kunst kann man sich austauschen (deswegen kann ich Audioguides nicht so recht viel abgewinnen) oder in Ruhe sehen und denken. Die Aufgabe des Kunstmuseums ist, einen Ort zu bieten, an dem Geschichte und Gegenwart zusammenkommen und manche aufgeregte Diskussion der Jetzt-Zeit relativiert wird.
Welche Rolle spielt die Kunsthalle innerhalb der Hamburger Kulturszene? Welche sollte sie spielen?
Alexander Klar: Eine unserer Aufgaben als Museum ist es, den Kunstkanon unserer Zeit zu prägen: Wir wollen Plattform für die Kunst sein und ein Ort, an dem Künstlerinnen und Künstler ihrem Publikum begegnen. Das alles gilt international, national, und es gilt für die Stadt Hamburg, für deren Kunstproduktion wir uns zuständig fühlen sollten. Last but not least: Wir sollten dem derzeitigen guten Ruf der Stadt, Musik- (und Musical-)stadt zu sein, einen ähnlich kraftvollen Akzent für die Kunst hinzusetzen.