Hamburg. Franz Wilhelm Kaiser verlässt kurz vor der geplanten Neueröffnung das Ausstellungshaus. Die Gründe sind rätselhaft.
Es ist die überraschendste Personalie in einem ohnehin sehr turbulenten Hamburger Museumsjahr: Am Dienstagmittag verkündete die Zeit-Stiftung, dass Direktor Franz Wilhelm Kaiser das Bucerius Kunst Forum Ende des Monats verlässt und „sich neuen Aufgaben zuwendet“. Kaiser war seit Mitte 2016 Leiter des durch die Stiftung finanzierten Ausstellungshauses.
Zuletzt hatte er den niederländischen Superstar der Fotografie, Anton Corbijn, nach Hamburg geholt und ihm mit „The Living And The Dead“ eine großangelegte Retrospektive ausgerichtet. Auch das von Kaiser, einem gebildeten und ausgesprochen angenehmen Menschen, kuratierte Projekt „Die Geburt des Kunstmarktes. Rembrandt, Ruisdael, van Goyen und die Künstler des Goldenen Zeitalters“ sorgte für große Aufmerksamkeit.
„Mit dem Verhältnis zwischen Kunst und Markt oder der Frage, wann Fotografie zu Kunst wird, haben seine Ausstellungen in außergewöhnlicher Weise den Platz der Kunst in einer globalisierten Welt diskutiert. Für diese neuen Perspektiven danken wir Herrn Professor Kaiser sehr“, sagte Michael Göring, der Vorstandsvorsitzende der ZEIT-Stiftung.
Bucerius Kunst Forum steht vor neuer Ära
Überraschend ist diese Entscheidung nicht nur, weil drei Jahre eine extrem kurze Zeit sind, um ein Haus in eine bestimmte Richtung zu lenken (zuletzt hatte nur Christoph Martin Vogtherr mit zweijähriger Kunsthallen-Direktion dieses Zeitfenster unterschritten). Das Bucerius Kunst Forum steht nur wenige Tage vor seinem Umzug vom bisherigen Gebäude am Rathausmarkt ins neue, aufwendig gebaute Gebäude am Alten Wall und damit in eine neue Ära.
Neben großzügigeren Räumlichkeiten für die Veranstaltungen der Stiftung wird es künftig auch deutlich mehr Platz und Weite für Ausstellungen geben. Mit „Here We Are Today. Das Bild der Welt in Foto- und Videokunst“ feiert das Haus am 6. Juni mit viel Tamtam seine Neueröffnung. Dann aber eben ohne Direktor Kaiser.
„Der Umzug ins neue Gebäude war von Anfang an mein Herzensprojekt, konzeptionell wie baulich“, sagt Andreas Hoffmann, der bislang zusammen mit Kaiser an der Spitze stand und nun ab Ende Mai alleiniger Geschäftsführer des Bucerius Kunst Forums sein wird.
„Herr Kaiser war 2016 in diesen laufenden Prozess dazugestoßen, konnte also darin keine zentrale Rolle spielen. Ich bin ihm aber sehr dankbar, dass er durch seinen soziologisch-philosophisch geprägten Blick auf die Kunstgeschichte unsere Perspektive maßgeblich erweitert und bereichert hat. Unsere gemeinsam entwickelte Linie werden wir auch weiterhin verfolgen, nämlich uns stets fragen: Wie gesellschaftlich relevant ist das, was wir hier tun?“
Kaisers Rückzug deutete sich leise an
Die künstlerische Leitung wird Kathrin Baumstark, seit 2016 Kuratorin des Bucerius Kunst Forums und zuletzt mit Kaiser für die Ausstellung „Welt im Umbruch – Kunst der 20er-Jahre“ verantwortlich, übernehmen. Schon bei den letzten Terminen war Kaisers Rückzug spürbar gewesen: Ob zur Präsentation von „Welt im Umbruch“ oder bei der Baustellenbegehung – stets hatten Baumstark und Hoffmann das Zepter in die Hand genommen.
Franz Wilhelm Kaiser, der seinen Resturlaub genommen hat und schon jetzt nicht mehr im Forum anzutreffen ist, wird Hamburg nicht den Rücken kehren, er hat an der hiesigen Hochschule für Bildende Künste eine Honorarprofessur. Daneben ist er in der Karel Appel Foundation engagiert. Hauptsächlich wird der scheidende Direktor in Zukunft „als selbstständiger Ausstellungskurator für unterschiedliche Häuser tätig sein, um sich seiner Leidenschaft mit noch mehr Zeit widmen zu können“, sagt der Geschäftsführer.
Brosda: "Hamburg zieht hochkarätige Museumsleute an"
Kultursenator Carsten Brosda (SPD), dessen Behörde hier nicht für die Nachfolgeregelung zuständig ist, zeigt sich – „zumal vor dem Hintergrund einer attraktiven Neueröffnung“ – dennoch zuversichtlich: „Zu der Personalie einer privaten Stiftung können wir natürlich nichts sagen. Das Verfahren zur Neubesetzung der Direktion der Kunsthalle hat aber gezeigt, dass Hamburg ein sehr guter Museumsstandort ist, der hochkarätige Museumsleute anzieht.“
Am 6. Juni wird sich das Kuratorium des Bucerius Kunst Forums treffen, um „die neue Leitungsstruktur“ zu diskutieren, so Hoffmann. Für’s Erste sei aber das Haus mit ihm in der Managementspitze und Kathrin Baumstark „als neuer, starker künstlerischer Leitung“ an seiner Seite „in sicherem Fahrwasser“.
„Alle für 2019 kuratierten Ausstellungen werden auch wie geplant umgesetzt“, so Hoffmann – darunter eine große „Amerika!“-Schau mit Werken von Disney, Rockwell, Pollock, Warhol. Für 2020 ist eine vielversprechende Ausstellung über den momentan teuersten lebenden Künstler geplant: David Hockney.
Großartige Projekte, die Franz Wilhelm Kaiser als Spiritus rector angestoßen hat. Die er nun aber nur noch als Betrachter von außen sehen wird.